Obwohl den Bürgern der früheren Sowjetunion die Religionsfreiheit in ihrer Verfassung garantiert war, sah die Wirklichkeit doch anders aus. Verhaftung und eine verkürzte Karriere drohten denjenigen, die das ungeschriebene Gesetz außer Acht ließen, dass ein guter Kommunist ein atheistischer Kommunist ist.
Nach dem Tode Leonid Breschnews jedoch begann sich eine neue Atmosphäre erleuchteten Denkens in der russischen Gesellschaft auszubreiten, und in den späten achtziger Jahren brachte Michail Gorbatschows Politik der Perestroika oder „Umgestaltung" einen Aufbruch im Bereich der Politik, Gesellschaft und Religion.
Ungefähr um diese Zeit erschien Christian Science wieder in der religiösen Landschaft in St. Petersburg. Lange als „Fenster zum Westen" betrachtet, wurde St. Petersburg erneut ein Versuchsfeld für Individualisten, die genug moralischen Mut hatten, um den engen Rahmen religiöser und sozialer Freiheiten zu sprengen. Nach jahrzehntelanger Herabwürdigung der Religion als „Opium des Volkes" kehrten die Menschen in Scharen zur Orthodoxen Kirche zurück und strömten sogar zu den vom Ausland gesponserten evangelikalen Massenveranstaltungen.
Inmitten dieses freiheitlichen Aufschwungs wurde das Buch Wissenschaft und Gesundheit in die Hände dreier Anglistikstudenten in St. Petersburg gelegt. Diese Studenten öffneten später ein neues Kapitel der Christian Science Bewegung in dieser Stadt und bauten wieder die Vereinigung auf, die 1928 gezwungen worden war, ihre Türen zu schließen.
Seitdem ist Christian Science in Russland und den anderen ehemaligen sowjetischen Republiken stetig gewachsen. Christliche Wissenschaftler halten inzwischen inoffizielle Gottesdienste ab in Moskau, Uchta (im Ural) und Komsomolsk am Amur. Andere Gruppen kommen in Riga, Lettland, und in Kiew in der Ukraine zusammen.
Ferner hat sich in St. Petersburg eine russischsprachige Praktikerin, Hildegard Arnesen, angesiedelt. Und sowohl in St. Petersburg als auch in Moskau, Uchta, Kiew und Riga finden jährlich Vorträge über Christian Science statt.
Neue Herausforderungen
Im Herbst 1997 wurde in der russischen Duma ein neues Gesetz verabschiedet, das viele der in Russlands Verfassung von 1993 garantierten reliösen Freiheiten aufgehoben hat. Dieses Gesetz schränkt die Rechte so genannter „ausländischer Religionen" ein.
Gegenwärtig bemüht sich die Christian Science Vereinigung in St. Petersburg beim Justizministerium eine neue Zulassung zu bekommen, durch die der Vereinigung der volle Rechtsstatus gewährt wird.
Unterdessen wird der wichtige Beitrag anerkannt, den die Christlichen Wissenschaftler in der Stadt St. Petersburg leisten. Zum Beispiel erhielt Arnesen im vergangenen Februar eine besondere Auszeichnung vom Präsidenten der Universalen Akademie der Wissenschaft, Kunst und Kultur. Diese Akademie ist eine Organisation Intellektueller zur Förderung von Spiritualität und gegenseitigem Verständnis zwischen Wissenschaft und Religion.
Der Präsident der Akademie, Herr Dvoirin, hob besonders hervor, dass die Auszeichnung keine persönliche Ehrung für Arnesen ist, sondern eine Anerkennung ihrer öffentlichen Arbeit und „des Systems, das sie in ihrer Arbeit verwendet"— Christian Science.
30. Okt. 1930 Olga Bartenewa wird als Spionin verhaftet und nach Sibirien geschickt.
20. Dez. 1940 Olga Bartenewa wird aus dem Straflager nach Baschkirien entlassen.
15. Dez. 1956 Olga Bartenewa wird rehabilitiert und kehrt nach Leningrad zurück.
1961 Erste Übersetzung von Wissenschaft und Gesundheit erscheint.
28. Jan. 1990 Der Christian Science Herold beginnt Ausstrahlung russischer Kurzwellensendungen.
1991 Zusammenbruch der Sowjetunion.
Von einem Gründungs mitglied der Christian Science Vereinigungin St. Petersburg
Als ich 15 war, begann ich in einem Club am Ort Englisch zu lernen. Ein paar Jahre später lud eine der Lehrerinnen unsere Gruppe ein, einen Film über Jesus Christus auf Englisch anzusehen. Es stellte sich heraus, dass sie eine russische Christliche Wissenschaftlerin war, aber zu der Zeit hatte ich keine Ahnung, was das bedeutete. Später lud sie uns ein, eine Freundin von ihr kennen zu lernen, die auch Christliche Wissenschaftlerin war und zusammen „Der kleine Prinz" auf Englisch zu sehen.
Während dieser ungewöhnlichen Party erzählte sie uns von Christian Science und was diese Wissenschaft ihrer Familie bedeutet. Ich erkannte, dass sie etwas hatten, auf das sie sich verließen und was sie benutzten, um alle möglichen Herausforderungen zu bewältigen. Als wir gingen, bekamen wir Exemplare des Christian Science Sentinel und des Christian Science Monitor.
Nachdem dieser Kontakt hergestellt war, wurden ein Freund und ich regelmäßig zu ihr eingeladen. Sie zeigte uns, wie man die Bibellektion aus dem Christian Science Vierteljahresheft studiert und wie sie sich jede neue Idee an den Rand schrieb.
Im Herbst 1990 wurden wir zwei dann eingeladen, zu dem Internationalen Jugendtreffen in Hamburg, Euro '90, zu kommen. [Dieses Treffen wurde von Der Mutterkirche in Boston veranstaltet.] Ein weiterer junger Mann war auch eingeladen, der uns bis dahin unbekannt war. So wurde der Kern der neuen Vereinigung in St. Petersburg geformt.
Nach unserer Rückkehr kamen wir weiter zusammen und lasen gemeinsam die Bibellektion. Wir luden unsere Freunde ein, die wiederum ihre Freunde einluden. Gelegentlich stellte jemand zu einem bestimmten Thema eine Lesung zusammen [aus der Bibel und den Schriften von Mary Baker Eddy] und das brachte uns zu einer weiteren Tee- und Studierparty während der Woche zusammen. Nachdem jemand spontan auf einer dieser Versammlungen von einer Heilung erzählt hatte, sagte ein Gründungsmitglied, sie empfand, dass aus der Gruppe eine Kirche geworden war.
Als wir mehr Platz brauchten, bot ein Mitglied seine Wohnung an — zwei Zimmer in einem Apartmentblock. Das wurde für fast vier Jahre unser Hauptquartier — eine Zeit des Reifens. Als wir dann 1994 in öffentliche Räume zogen, hatten wir schon wöchentliche Sonntagsgottesdienste, Mittwochabend-Zeugnisversammlungen und eine Sonntagsschule. Und 1996 wurden wir von Der Mutterkirche als Christian Science Vereinigung anerkannt.
