Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

Geistiges Heilen in der stalinistischen Ära

Aus der November 1998-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Als 1918 ein dunkler Sturm des Wandels durch Russland fegte und eine 70 Jahre währende Periode des Kommunismus ins Land brachte, erlebte eine junge russische Frau namens Olga Alexandrowna Bartenewa eine Revolution in ihrem eigenen Denken. Ihr gerade begonnenes Studium von Christian Science sollte sich als ein Fels der Ruhe und Stärke erweisen im Angesicht von staatlichem Atheismus und stalinistischem Terror.

Bartenewa machte sich diese Religion mit solcher Überzeugung zu eigen, dass nichts sie dazu bringen konnte, ihren Glauben an die Botschaft des geistigen Heilens vor anderen zu verbergen, selbst dann nicht, als sie verhaftet und zum Straflager verurteilt wurde, wo sie ohne ihre Bibel und Wissenschaft und Gesundheit ein Jahrzehnt lang nichts anderes hatte als Gottes Gedanken und ihr eigenes Gebet, die ihr durch Kälte, Hunger und Furcht hindurch Kraft und Halt gaben.

Bartenewa ist anscheinend die einzige unter den in den dreißiger Jahren wegen Spionage angeklagten Christlichen Wissenschaftlern, die den sowjetischen Gulag überlebt hat. Diejenigen, die sie vor ihrem Tod im Jahre 1974 gekannt haben, waren erstaunt, dass sie keine Bitterkeit empfand über das angetane Unrecht.

„Es erfordert ein so tiefes Bewusstsein von Liebe, um von solch ungerechter Behandlung frei zu werden, dass ihre außerordentliche Heilung mir immer im Gedächtnis blieb", sagt Morag Frager, Frau des verstorbenen amerikanischen Konzertpianisten Malcolm Frager. Auf dessen Konzertreise durch die UdSSR 1963 traf sich das Ehepaar, beide Christliche Wissenschaftler, heimlich mit Bartenewa.

Einzelheiten aus Bartenewas Leben, die durch inzwischen zugängliche Akten in russischen Staatsarchiven, von der KGB, aus dem Archiv Der Mutterkirche und durch Gespräche mit Leuten, die sie kannten, ans Licht gekommen sind, bieten aufschlussreiche Fäden im Gewebe ihrer geistigen Odyssee.

Bartenewa war eines der zehn Gründungsmitglieder der St. Petersburger Christian Science Vereinigung, die Anfang der 20er Jahre neu erstand aus den Überresten einer früheren Vereinigung, die nicht weiter bestehen konnte, nachdem ihre ausländischen Mitglieder gezwungen worden waren, in den unruhigen Zeiten nach der Oktoberrevolution das Land zu verlassen.

Der sowjetische Kontrollmechanismus zur Überwachung der Gesellschaft war noch nicht bis ins Kleinste ausgearbeitet, so dass die Christian Science Gruppe sich sogar in einem Klima zunehmender religiöser Unterdrückung 1921 offiziell eintragen lassen und bis 1928 legal öffentliche Gottesdienste abhalten konnte. Trotz der Schwierigkeiten, von den sowjetischen Behörden einen Pass zu erhalten, reiste Bartenewa während dieser Zeit nach London, um am Christian Science Klassenunterricht teilzunehmen.

Bartenewa, eine ausgebildete Krankenschwester und Sprachlehrerin, war zu verschiedenen Zeiten als Schriftführerin, Vorstandsmitglied, Sonntagsschulvorsteherin und Leserin tätig. Regierungsakten über Christliche Wissenschaftler zählen sie als Tochter eines zaristischen Armeegenerals zum früheren „Adel". Durch ihre höhere Schulbildung (sie beherrschte drei Fremdsprachen) und ihr selbstbewusstes Auftreten in der Gesellschaft war sie besonders geeignet für die Aufgabe, vor der neuen kommunistischen Bürokratie für die Rechte der Christian Science Gruppe einzutreten.

Die Christlichen Wissenschaftler erfüllten pflichtbewusst alle staatlichen Auflagen. Sie unterrichteten die Behörden über jeden Gottesdienst und alle Beschlüsse, die auf Vorstandssitzungen gefasst wurden. Bartenewa arbeitete sich durch das bürokratische Labyrinth hindurch, um die Erlaubnis zu bekommen, ein Exemplar von jeder Christian Science Zeitschrift durch den russischen Zoll empfangen zu können. Die Vereinigung überließ den Behörden Dokumente, die in der „Geheimakte Nr. 384" des KGB aufbewahrt wurden. Sie stellten eine Papierfährte dar, die letztlich zu der Anklage auf „Spionage" gegen Bartenewa und andere Mitglieder führten wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Religion, deren Sitz im Ausland war.

Die Vereinigung wurde offiziell im März 1928 aufgelöst, weil sie nach dem Gesetz nicht die geforderten 50 Mitglieder für eine Religionsgemeinschaft nachweisen konnte, obgleich die Besucherzahl wahrscheinlich diese Höhe erreichte. Doch die Vereinigung legte Berufung ein gegen diesen Beschluss und hielt trotz dieser Schikanierung durch das Gesetz und der Inhaftierung dreier Mitglieder weiterhin Versammlungen ab.

Im November 1928 beschlagnahmte die Polizei die Wohnung, in der die Vereinigung Gottesdienste abhielt. Bartenewa forderte sofort eine Erklärung dafür. Unterlagen in ihrer Handschrift vom Februar 1929 zeigen, dass die unerschrockene Gruppe, wie gesetzlich vorgeschrieben, die Behörden davon in Kenntnis setzte, dass sie noch Versammlungen abhielt und sich erneut um Genehmigung bemühen würde, legal zu bestehen.

Doch die Gruppe wurde in den Untergrund gedrängt und Bartenewa wurde von den Obrigkeiten zur Arbeit nach Moskau geschickt. Dortverhaftete man sie im Oktober 1930, nachdem sie mit einer Handvoll Christlicher Wissenschaftler einen stillen Sonntagsgottesdienst abgehalten hatte. Sie wurde zu zehn Jahren Straflager in Uchta im fernen Norden Russlands verurteilt.

Nach ihrer Freilassung wurde sie in den baschkirischen Teil des Urals verbannt, wo sie für einen Minister der regionalen Regierung arbeitete. Sie brachte die Frau dieses Staatsbeamten durch eine Heilung zu Christian Science.

Als Verbannte hatte sie keine Reiseerlaubnis. Aber Bartenewa reiste oft heimlich mit dem Zug nach Moskau, wo es ihr gelang, ins Land geschmuggelte Christian Science Literatur zu finden. Auf einer dieser Reisen im Jahr 1943 lernte sie Tatjana Sokolowa kennen, eine Musikverlegerin, die an Tuberkulose litt.

Sokolowa, beeindruckt von Bartenewas liebevollem, furchtlosem Verhalten, wurde schließlich durch Christian Science geheilt. Während eines Interviews im Juli 1997, das hier in Auszügen erscheint, kräuselte sich ihr Gesicht zu einem humorvollen und zugleich dankbaren Lächeln, als sie von Bartenewas heimlichen Besuchen berichtete. Es waren Zeiten hochgespannter geistiger Energie, in denen theologische Diskussionen in lautstarke Debatten umzuschlagen drohten — eine gefährliche Sache unter dem Stalinismus, wo die Wände Ohren hatten und der Atheismus die Staatsreligion war. Sokolowa und eine Handvoll anderer, die Christian Science studierten und durch Bartenewa zusammengebracht wurden, lasen Bibellektionen aus den zwanziger Jahren, übersetzten sie und schrieben sie mit der Hand ab.

1956 wurde Bartenewa „rehabilitiert". Ihr Name wurde von allem Makel befreit und sie durfte nach Leningrad zurückkehren, wo ihr ein Zimmer in einem Wohnhaus zugeteilt wurde, das sich acht Familien teilten.

Frau Frager berichtet, wie Bartenewa sich nach ihrer Freilassung bemühte wieder Verbindung zu der christlich-wissenschaftlichen Gemeinschaft von früher aufzunehmen. Sie reiste nach Estland und suchte den Ort auf, wo sich vor der Revolution die Christian Science Vereinigung in Tallinn befunden hatte. Der Hausmeister des Gebäudes erzählte ihr von einer Christlichen Wissenschaftlerin aus Wilna, Litauen, die auf einer ähnlichen Suche gewesen war und ihre Adresse zurückgelassen hatte. Die Verbindung nach Wilna, die größere Offenheit und Nähe zum Westen, half Bartenewa mehr christlich-wissenschaftliche Literatur zu bekommen.

Bartenewas Suche nach anderen, die mit Christian Science vertraut waren, brachte sie häufig nach Moskau, wo sie sich mit Leuten wie Sokolow traf. Oft besuchte sie Lina Prokofjew, die Frau des verstorbenen Komponisten Sergej Prokofjew, die auch Anhängerin von Christian Science war. Frau Prokofjew nutzte ihre privilegierte Stellung, um ins Land geschmuggelte Literatur weiterzuleiten.

Diejenigen, die Bartenewa in ihren späteren Jahren kannten, waren beeindruckt von ihrem ungewöhnlichen Freiheitsgeist: Trotz zunehmender Sehschwäche und der Einschränkungen, die der Religionsausübung auferlegt wurden, fuhr sie allein durch Leningrad, ja quer durchs Land nach Moskau und ließ sich nicht von ihrer Mission abhalten.

Solokow spricht von Bartenewas leidenschaftlicher Liebe zu Christian Science. In ihrer engen, aus der Sowjetzeit stammenden Plattenbauwohnung, wo sie jahrelang Christian Science mit Freunden studiert hat, erklärte sie entschlossen: „Ich möchte, dass die Welt über Olga Bartenewa erfährt."


Apr. 1923 Neues Gesetz verlangt fünfzig Mitglieder für Religionsgemeinschaft.

1924 Lenin stirbt. Stalin kommt an die Macht.

1924 Die Mutterkirche erkennt Leningrader Vereinigung wieder an.

Apr. 1925 Die Vereinigung eröffnet eine Sonntagsschule.

Juli 1926 Behörden informieren Vereinigung, dass Kinder nur zu Hause Religionsunterricht bekommen dürfen.

1927 Kleine Gruppen in Moskau, Kiew und Wladiwostok studieren Christian Science.

1996 Die Christian Science Vereinigung in St. Petersburg wird gegründet.

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / November 1998

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.