Vor einiger Zeit sah ich einen Beitrag aus dem amerikanischen Fernsehen, in dem zwei Männer inmitten einer größeren Menschenmenge angeregt miteinander diskutierten. Sie stritten über die notwendige Reaktion auf die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington. Der eine vertrat eine eher moderate Haltung. Es war die Rede von Besonnenheit, um nicht wieder unschuldige Menschen zu gefährden. Der andere war von seinen Rachegefühlen beherrscht, forderte den erbarmungslosen Gegenschlag gegen die Urheber dieses Leides, ohne Rücksicht auf Verluste.
Aber viel interessanter war mir eine Frau, die zunächst dicht neben dem letztgenannten, wütenden Herrn stand. Noch während er sprach, rückte sie Stück für Stück von seiner Seite weg. Und mir schien, mehrere Zuhörer hatten dasselbe Bestreben. Sie wollten im Fernsehen nicht hinter diesem Mann gesehen werden. Sie bekundeten auf stille Weise ihre Haltung, indem sie physisch von ihm abrückten.
Oftmals haben wir das Gefühl einer Gruppe von Menschen gegenüberzustehen — das können Moslems, Pakistanis, Sportler oder Akademiker sein. Und man könnte meinen, weil es viele sind, die sich in ihren Überzeugungen und Ansichten wohl einig sind, ist es schwieriger, eine eigene, von der Mehrheit abweichende Haltung einzunehmen.
Solange es dabei um religiöse oder ethische Werte geht, die auf Menschenwürde und gegenseitiger Achtung beruhen, sind solche gemeinsamen Überzeugungen eine große Stärkung für alle.
Anders sieht es bei strittigen Themen aus: Der eine zeigt moralischen Mut, wo sich der andere lieber versteckt. Der oder die eine plädiert für Verständnis, wo sich der oder die andere in Vorurteilen ergeht. Also bei Fragen, die Nachdenken, Mitgefühl und ein stabiles Wertesystem erfordern und die Bereitschaft, für eine solche Haltung auch einzutreten.
In nicht wenigen Gruppen, ob bei Arbeitskollegen oder bei Jugendlichen in der Schule, gibt es Menschen, die bei ungesetzlichen oder unmoralischen Aktionen nicht „Nein” gesagt haben. Sie haben nicht „Nein” gesagt zu ihrer Gruppenzugehörigkeit oder zu dem manchmal ausgeübten Gruppenzwang. Sie haben sich nicht bewusst gegen ihr Dazugehören und Mitmachen entschieden.
Aber jeder Mensch hat — unabhängig von äußeren Umständen — die von Gott gegebene Freiheit sich in jedem Moment neu und richtig zu entscheiden. Sich zu fragen, wem nützt bzw. wem schadet mein Handeln und Tun. Sich notfalls auch auf seine innere Stimme, sein Gewissen, seinen geistigen Sinn zu verlassen und im entscheidenden Moment womöglich eine neue Entscheidung zu treffen. Jeder Mensch hat eine ihm schon innewohnende Beziehung zum Guten. Jeder Mensch hat eine direkte, unmittelbare Beziehung zu Gott. Und jeder Mensch hat die Fähigkeit, diese göttliche Stimme, diese göttliche Führung zu hören, aufzunehmen und ihr zu folgen. Selbst, wenn er dadurch aus dem Gruppenbild herausfallen sollte.
Ihre Entscheidung ist wichtig. Jede einzelne Ihrer Entscheidungen ist wichtig. Sie sind wichtig! Denn Ihre Überzeugung wird wahrgenommen. Und wenn es eine gute, liebevolle, lebensbejahende, freiheitsliebende Überzeugung ist, trägt sie zu nötigen Veränderungen bei anderen bei. Wir können öfter bestehende (oft nur vermeintliche) Regeln verlassen, ohne Rücksicht auf menschliche Gewohnheiten. Je vertrauter es uns wird, unsere ureigene Überzeugung zu bekennen, desto leichter fällt es uns in Momenten, in denen vielleicht ein besonderer Druck der Erwartung auf uns lastet. Je selbstverständlicher wir auch einmal dort, wo es erforderlich ist, „aus der Reihe tanzen”, je normaler und souveräner dies geschieht, desto mehr Kraft und Ermutigung geht für andere davon aus.
Lassen Sie sich nicht einreden, Sie könnten nichts tun gegen falsche Gedankenhaltungen anderer! Wir können nicht darauf warten, dass die anderen sich ändern. Und nur selten haben wir Gelegenheit, anderen ihre Überzeugungen „auszureden”. Aber wir können uns ändern. Wir können mutig und entschlossen unsere Überzeugung bekennen — um andere zu stärken und anzuspornen und notwendigen Wandel und geistigen Fortschritt zu fördern.
Eine einzelne Frau in diesem Fernsehbeitrag begann sich von der radikalen und sehr einseitigen Haltung des Sprechers zu distanzieren. Und sehr bald folgten ihr andere nach. Ein radikaler Fundamentalist, der womöglich den Auftrag hat zu töten und sich im entscheidenden Moment davon distanziert, weil er eine eigene Entscheidung trifft, hätte viele Menschenleben retten können.
Jeder einzelne Gedanke des Mutes, der Nächstenliebe, des Lebens und des Friedens ist entscheidend — er ebnet anderen den Weg, sich für das Leben und den Frieden und den Respekt füreinander zu entscheiden.