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Ist gewaltfreie Konfliktlösung möglich?

I. Teil

Aus der Juli 2003-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Herold: Sie arbeiten am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Was ist denn dort Ihre Position?

Johannsen: Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin an diesem Institut und spezialisiere mich auf die Region des Nahen und Mittleren Ostens. Ich bin damit zur Zeit sehr, sehr beschäftigt, weil sowohl der Israel-Palästina-Konflikt als auch der Krieg gegen den Irak eine hohe Nachfrage nach meiner Expertise nach sich zieht.

Herold: Was kann sich ein Laie unter Friedensforschung eigentlich vorstellen?

Johannsen: Konflikte scheinen normal in der Welt zu sein, sowohl auf privater Ebene als auch zwischen Gesellschaften, und es ist nicht unbedingt negativ zu bewerten, wenn man unterschiedliche Interessenlagen hat. Aber wir untersuchen Möglichkeiten, dass Konflikte nicht mit Gewalt ausgetragen werden, sondern mit friedlichen Mitteln: Versöhnung, Prävention.

Und da gibt es viele negative Erfahrungen weltweit, aber es gibt auch ganz viele Problemlagen, in denen es den Bevölkerungen gelungen ist, mit friedlichen Mitteln einen Interessensausgleich herbeizuführen. Auch das untersuchen wir und versuchen herauszufinden, ob man die Lehren, die man daraus ziehen kann, auf drohende Gewaltkonflikte anwenden kann.

Herold: Sind Konflikte nicht eigentlich etwas Unvermeidliches?

Johannsen: Ich denke wirklich, dass Konflikte etwas sind, was einerseits der menschlichen Psyche, andererseits der menschlichen Gesellschaft innewohnt. Es geht uns darum, nicht die Konflikte zu leugnen, sondern zivile Mittel zu finden, sie auszutragen.

Herold: Was für eine Grundlage finden Sie im menschlichen Wesen, um Frieden zu finden?

Johannsen: Ich denke, dass Menschen in ihrer Entwicklung eigentlich gelernt haben, dass man langfristig besser zurechtkommt, wenn man sich auf die kooperativen Fähigkeiten des Menschen stützt. Natürlich gibt es immer wieder Einzelfälle, in denen sich ein Mensch Machtmittel bemächtigt um gegen den Rest der Welt zu bestehen. Und eine Weile mag das auch gut gehen, aber die meisten Menschen machen die Erfahrung, dass sie langfristig besser klarkommen, wenn sie sich auf Werte wie Solidarität, Loyalität, Mitgefühl, Mitmenschlichkeit verlassen können.

Der Preis dafür, dass man Konkurrenz gnadenlos austrägt, ist ein erheblicher. Man mag Reichtümer ansammeln, aber man ist dann manchmal auch allein gegen den Rest der Welt und die psychischen Lasten sind dann enorm. Insofern haben die Menschen, die glauben, es ist sinnvoll, das Gute im Anderen zu sehen, in einem tieferen Sinne oft recht.

Herold: Wie sind Sie dazu gekommen, so eine Einstellung zu haben?

Johannsen: Zum einen sind es Erfahrungen im kollegialen Kreis.Hier im Institut arbeiten rund 50 Leute. Da gibt es natürlich auch Konkurrenz um Jobs, um Aufstieg. Es gibt auch an einem Institut für Friedensforschung unterschiedliche Meinungen, wie ein Konflikt zu beurteilen ist.

Ich arbeite hier seit 16 Jahren und habe festgestellt, dass einen Einsamkeit im Kollegenkreis außerordentlich belastet. Wenn man seine Position offen legt und nicht versucht, hinter dem Rücken seiner Kollegen etwas durchzudrücken, fährt man damit langfristig besser.

Und im Bereich der internationalen Politik ist eigentlich etwas Ähnliches zu verzeichnen. Nehmen wir einmal etwas Extremes: so ein Krieg, wie er zur Zeit zwischen Israelis und Palästinensern tobt, zerstört in beiden Kulturen den gesellschaftlichen Reichtum. Eine Wirtschaftskrise in Israel, nicht nur in den Palästinensergebieten, mit Armut, mit Fehlernährung, ist eben die Folge von Gewaltkonflikten. Das heißt, auch diese Gesellschaften wären besser beraten, wenn sie versuchen würden, Kompromisse zu schließen. Und wenn die politischen Führer dieser Gesellschaften versäumen, ihren Völkern diese manchmal schmerzhaften Kompromisse beizubringen, dann leiden beide Gesellschaften.

Herold: In der Bibel liest man auf der einen Seite von „Auge um Auge”, auf der anderen Seite von „die andere Backe hinhalten”. Ist so etwas praktikabel?

Johannsen: Die Lesart, die ich bei „Auge um Auge, Zahn um Zahn” angenommen habe, ist die, dass es hier um ein Rechtsprinzip geht. „Auge um Auge, Zahn um Zahn” heißt ja nicht, dass jeder das Recht in die eigenen Hände nimmt und dann möglicherweise für ein Auge nicht ein Auge nimmt, sondern hundert, oder für einen Zahn nicht einen Zahn, sondern hundert. Eigentlich hat man damit ein Rechtsprinzip angesprochen, das jeder, der gegen Recht verstößt auch gewiss sein muss, dass er zur Rechenschaft gezogen wird.

Auf diese Art und Weise bildet sich ein Standard in der Gesellschaft aus und auch das Zutrauen der Menschen in das Rechtssystem wächst, wenn sie sehen, dass begangenes Unrecht nicht ohne Risiko für denjenigen ist, der dieses Unrecht verübt hat.

Dazu ist natürlich die Voraussetzung, dass die Gesellschaft, die sich in gewisser Weise entwaffnet — in dem Sinne, dass wir nicht immer unser Recht mit dem Messer in der Hand suchen — auch Instanzen schafft, die Recht sprechen und Recht durchsetzen können.

Und die andere Wange hinhalten, so wie Jesus Christus in der Bergpredigt gesagt hat, das ist natürlich eine außerordentlich hohe Forderung. Ein Weg dahin ist immerhin, dass man lernt zu verzeihen. Das ist die erste Voraussetzung für eine Einstellung zu seinen Mitmenschen, die vielleicht auch dazu führen könnte, dass man es einmal lernt, seine Feinde zu lieben.

Jemanden als Feind zu bezeichnen bedeutet ja, dass man den Mitmenschen gar nicht mehr misst an dem, was er tut, sondern nur noch an dem, was er ist, dass man ihn gar nicht mehr als Mensch wahrnimmt.

Also, dem anderen die eigene Wange hinhalten, also nicht mit Hass begegnen, heißt ihm mit einem menschlichen Gesicht begegnen, dass man an seine Menschlichkeit appelliert.

Herold: Ihre Mutter war eine außergewöhnliche Komponistin und hat sich in ihrem Kompositionswerk auch sehr mit religiösen oder geistigen Themen beschäftigt. Was bedeutet denn dieses Lebenswerk Ihrer Mutter für Sie?

Johannsen: Ich liebe die Musik meiner Mutter. Sie ist vor anderthalb Jahren gestorben und ich bin immer wieder hingerissen von den Themen, die meine Mutter bewegt haben. Die Themen haben oft mit Liebe zu tun.

Es sind auch oft Texte aus der Bibel und zwar auch aus dem alten Testament, aus dem Hohenlied des Salomo zum Beispiel, voller Emphase, voller Liebe zum Leben. Meine Mutter ist eine große Humanistin gewesen und auch von den christlichen Werten der Barmherzigkeit und des Mitgefühls sehr stark bewegt gewesen.

Aber sie war auch sehr couragiert und hat gegen Entwicklungen in der Gesellschaft protestiert, die ihr genau diese Werte zu verletzen schienen. Sie hat in Berlin, wo sie studiert hat, mehrere Jahren lang im Krieg eine Jüdin versteckt. Das war ein hohes persönliches Risiko und sie hat das getan, wie sie sagte, aus Anständigkeit. Sie hat das gar nicht hochgehängt, obwohl es sehr riskant war.

Und das sind so Dinge, die ich enorm bewundere.

Ich habe sie mal gefragt: „Wieso hast du das getan? Das hat dich doch auch selber sehr gefährdet.” Und da hat sie gesagt: „Ja, so was tut man. Ich konnte das gar nicht anders.” Sie konnte dieser Frau, die da gerade noch den Schergen entgangen war, ihren Judenstern abgerissen hat, durch den Hinterausgang floh und dann vor ihrer Tür stand, der konnte sie die Tür nicht zuschließen.

Und erst später, als meine Mutter älter wurde, hat sie sich auch religiösen Themen in ihrer Musik zugewandt. Dadurch hat sich auch in mir der Blick angefangen für diesen Teil der Welt zu öffnen.

Ich war als junge Frau eigentlich sehr gottlos. Aber ich würde mich heute nicht mehr als einen solchen Menschen bezeichnen.

Das Interview führte Michael Pabst. Lesen Sie im nächsten Monat den zweiten Teil.

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