Im ersten Teil des Artikels über Tor Norretranders Buch „The User Illusion” sprachen wir davon, dass es ein Bewusstsein gibt, auch Verstand genannt, das nur sehr wenig lnformation auf einmal verarbeiten kann. Unsere Sinnesorgane nehmen mehr als das Tausendfache auf. Unser Verstand gibt uns das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Ist das die „User Illusion” oder Benutzer-Illusion?
In Experimenten stellte sich heraus, dass das Gehirn bereits aktiv ist, bevor wir bewusst eine Entscheidung treffen, einen Finger zu bewegen. Das Bewusstsein täuscht uns, indem es sich als den aktiven Entscheidungsträger präsentiert. Dabei taucht es erst auf, nachdem das Gehirn eine Aktivität begonnen hat, aber bevor die Hand sich bewegt.
Oder unsere Sicht auf die Dinge, unser Sehen: laut Tor Norretranders ist es eine Interpretation. Wir haben einen blinden Fleck auf der Netzhaut, der uns niemals bewusst wird, weil das Gehirn ihn überdeckt und ein Bild kreiert. Oder der Necker-Würfel: Linien auf dem Papier und dennoch sehen wir sie als dreidimensional und können dies nicht ausschalten. Wir sehen alles durch unsere eigene Brille. Es gibt keine Welt „an sich”, wie Kant es ausdrückte, sondern nur „das Ding für uns”. Es gibt keine subjektive Beschreibung der Welt. Unser Bewusstsein, so Norretranders weiter, setzt uns Daten vor, die bereits verarbeitet worden sind. Zum Beispiel sehen wir nicht das Wellenlängen-Profil des Lichts oder die verschiedenen Farben des Spektrums, sondern wir sehen Licht in einer zusammengefassten Form. Was für einen Menschen eine Tragödie ist, ist für einen anderen eine Chance oder Herausforderung.
Der Autor beschreibt die große Unwissenheit über uns selber und unsere Umgebung. Dieses Unwissen, dessen wir uns meist nur wage bewusst sind, führt dazu, dass wir in einer immer stärker werdenden linearen Zivilisation leben. In der Natur gibt es im Gegensatz zu unserer Gesellschaft keine geraden Linien. Bei geraden Linien gibt es kaum etwas zu erspüren, sie sind leicht zu beschreiben und vorherzusehen (z.B. ein moderner Wohnungsblock). Wir versuchen fast verzweifelt aufzuräumen und Ungerades wie Flussläufe gerade zu ziehen. Nicht alles ist schlecht, wie reines Wasser oder gerade, gepflasterte Straßen. Aber die Gefahr der Langeweile und Sterilität bleibt.
Im ersten Teil haben wir über Information gesprochen und über den Fakt, dass sie viel Platz benötigt. Der Autor stellt zur Debatte, dass es zu wenig Information in der Informationsgesellschaft gibt. Der Mensch ist ausgestattet, Millionen von Informationen zu verarbeiten, als Computerarbeiter geht er mit einigen Bit pro Sekunde auf einem Computerbild-schirm um. Bei der Arbeit mit dem Computer fehlt es an Sinnlichkeit, es ist trocken, kühl, eine minimalisierte Informationsdiät, kreative Armut. Es ist ein Zeichen der linearen Zivilisation, alles durch den Verstand beherrschen zu wollen.
Es muss aber nicht so sein. Alles was wir brauchen ist ein wenig mehr Vertrauen. Vertrauen, dass das Leben größer ist, als wir es bewusst erleben und trotzdem damit umgehen können, wenn vielleicht auch nicht allein.
Die Benutzeroberfläche eines Computers ist nicht der Computer, sondern eine Illusion. Es gibt im Computer keine Ordner, keine Mülleimer oder sonstige Strukturen. Der Computer besteht aus Bauteilen und Recheneinheiten, die Nullen und Einsen verarbeiten.
Unsere eigene Benutzerillusion ist unser Bewusstsein, unser Verstand. Die Welt, die unser Verstand uns präsentiert, ist eine Illusion, sie ist nicht identisch mit dem, was unsere Sinne wahrnehmen. Es ist eine Interpretation. Wir sehen, was wir sehen wollen und bauen uns unsere eigene Welt. Die meisten Menschen machen den Verstand zu ihrem Gott und versuchen alles andere in sich zu unterdrücken.
Dieses Verneinen von etwas Anderem in sich verursacht immensen Schaden. Menschen töten einander und ihre Umwelt und rationalisieren dies („Es ist für den Frieden”).
Wir müssen den Mut haben, menschlich zu sein und dieses „Andere” in uns zum Zug kommen lassen. Wir wissen bereits alles darüber, können es nur nicht immer in Worte fassen. Wir müssen lernen, das Leben fließen zu lassen und Gott in uns wirken zu lassen. Der Autor endet mit der Aussage, dass der Himmel nur eine halbe Sekunde von uns entfernt ist, aber in die andere Richtung. In der Bibel steht: „Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch” (Lukas 17:21). Das innere Gutsein, das im Christentum eine so wichtige Rolle spielt, ist nur mit Hilfe von etwas Größerem als dem Verstand möglich.
Wenn ich fünf Mal am Tag bewusst an Gott denke, erscheint mir das vielleicht schon viel. Gott jedoch denkt ohne Pause an mich, denkt mich kontinuierlich neu. Und nicht nur mich, sondern jeden Mensch auf der Erde. Er denkt auch all die Ideen, die noch nicht in Erscheinung getreten sind. Für unseren Kleinen 40-Bit-Verstand ist das schwer vorstellbar, aber für das in uns, das größer ist, das Gott wiederspiegelt, ist es möglich.
In welcher Realität leben Sie?