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Ein Weg vom Krieg zur Brüderlichkeit

Aus der November 2004-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Herr Prof. Dr. Beck, ich möchte mich gern mit Ihnen über die Folgen des Irak-Kriegs unterhalten. Wie kann man selbst mit so etwas umgehen?

Man kann es auf verschiedenen Ebenen betrachten. Rein horizontal (auf der Ebene der menschlichen Interaktion bzw. fehlenden menschlichen Interaktion) und vertikal (auf der Ebene der göttlichen Vorsehung, der göttlichen Macht und Weisheit).

Ja, vor allem die Frage, wie passt das in das Verständnis hinein, welche Beziehung man selbst zum Göttlichen hat.

Also ich meine, es ist eine göttliche Zulassung, die einen sehr weisen und liebevollen Zweck verfolgt, nämlich angefordert zu werden. Gott möchte angefordert werden, indem der Mensch an sein Ende kommt und erfahren muss, dass er mit all seiner Überlegung, all seinen – teilweise sicher sehr guten Absichten – nicht den Frieden stiften kann, sondern sich derart verhakt, dass die Verhältnisse immer unerträglicher werden. In dieser Not sucht man nach dem Not-Wendenden, dem Notwendigen. Das wäre eine neue Erschließung der göttlichen Quelle. Ich meine, dass es Gott ähnlich wie uns geht: wenn wir etwas sehr lieben, dann wollen wir tätig werden, helfend einspringen. Das können wir aber nicht, wenn wir nicht angefordert werden, wenn der Betreffende sich nicht öffnet und sich nicht im Vertrauen hingibt. Das scheint durch diese Verhältnisse, das ist mein Eindruck, fast erzwungen zu werden.

Womit man durch solch eine Sache regelrecht konfrontiert wird.

Ja, dass man sieht, es geht so nicht mehr. Die Friedenswilligkeit ist teilweise da, doch die Friedensfähigkeit setzt nicht genügend ein. Das Erste ist die Erfahrung, gebraucht zu sein, die Erfahrung, dass neue Kräfte erschlossen werden müssen. Und dann kommt es eben zu der Notwendigkeit, an der Quelle zu arbeiten oder sich selbst so zu disponieren, dass die Quelle wieder strömen kann.

Im Afrikanischen und im Asiatischen ist das Ideal die Harmonie, das Sich-Integrieren in das große Ganze, eine übergreifende Sinneinheit.

Wie kann man sich Ihrer Meinung nach mit dieser Quelle verbinden?

Die Frage ist jetzt, welche Bedingungen müssen in der horizontalen Ebene eintreten, damit die vertikale Ebene in Aktion treten kann. In erster Linie ist es die Erfahrung, dass eine Notsituation entsteht, in sich selbst und bei den Mitmenschen, in der die bisherigen Überlegungen und Einsätze nicht genügend greifen. Man muss die eigene Begrenztheit erstens erkennen und zweitens akzeptieren. Und drittens transzendieren! Das ist natürlich eine gewisse Entscheidung. Vielfach ist es eben leider noch so, dass man die eigene Begrenztheit in seinem Bewusstsein nicht recht zulassen möchte. Man hat immer wieder versucht, aus eigenen Kräften Herr der Lage zu werden. Wobei aber die Kräfte nicht ausreichen.

Weil wir zu menschen-zentriert, also ego-zentriert sind?

Ja, weil wir zu vordergründig sind.

Und doch ist es letztendlich die einzige Hilfe, sich ganz und gar in die Arme der göttlichen Liebe zurück zu lehnen, um dann das Richtige tun zu können.

Sehen Sie, wir in der europäischen Kultur sind zu sehr auf das Machen ausgerichtet. Wir sind geradezu in einer Verkrampfung, alles durch immer perfektere Technik selber bewältigen zu wollen. Wir erfahren fortschreitend unsere eigene Ohnmacht, die wir aber nicht akzeptieren. Es gibt immer wieder neue Anläufe, es durch Konferenzen und politische Anstrengungen zu schaffen. Aber wie man sieht, nehmen die Übel nur zu, weil man sich zu wenig öffnet — zu sich selbst, zu dem anderen hin und zu der gemeinsamen Quelle. Im Afrikanischen und im Asiatischen ist das Ideal die Harmonie, das Sich-Integrieren in das große Ganze, eine übergreifende Sinneinheit. Während im europäischen und westlichen Kulturkontinent mehr eine anthropozentrische Neigung vorherrscht. Das sind zwei verschiedene Denkansätze, die sich ja auch gegenseitig ergänzen könnten.

Aus der absoluten Einheit des göttlichen Grundes strömt die Einheit auch auf seine Schöpfung und auf die Kultur über.

Wenn man es zulassen würde!

Die Schwierigkeit für den Westen ist, die andere Kultur zu verstehen. Der Islam kommt ja aus dem afroasiatischen Kulturbereich. Es gibt nur einen Gott, nicht in drei Personen, wie in der christlichen Sicht. Allah ist nur eine Person. Aus der absoluten Einheit des göttlichen Grundes strömt die Einheit auch auf seine Schöpfung und auf die Kultur über. Das kann so weit führen, dass man die Unterschiede gar nicht mehr akzeptiert. Das geht dann in einen Fundamentalismus, in eine Unduldsamkeit hinein, in der der Einzelne als solcher gar nicht so zum Zuge kommen kann, sondern sich absolut in das Ganze integrieren muss. Das ist dann eine Übersteigerung des Einheitsgedankens. Aber positiv ist überhaupt der Einheitsgedanke als solcher. Während im Westen umgekehrt immer die Unterschiede hervortreten. Das sieht man in der Erklärung der jedem einzelnen Individuum zukommenden Menschenrechte, die ja aus der europäischen Kultur heraus formuliert wurden. In der westlichen Kultur wird das Individuum besonders herausgestellt. Der Westen neigt zum Pluralismus, der Osten mehr zum Monismus. Beides zusammen würde eine wunderbare dynamische Ordnung ergeben können, eine Viel-Einheit.

Also können wir eigentlich nur die gegenseitige Brüderlichkeit aktiv pflegen, die die Einzelnen zu einer umfassenden Ordnung verbindet.

Ich könnte mir vorstellen, – weil wir ja eben von der vertikalen Dimension, der göttlichen Quelle, gesprochen haben –, dass die Erfahrung der Grenzen des Dominierens und des rationalen In-den-Griff-Nehmens, vor allem in der westlichen Kultur, geradezu zwingt, sich nun dem Gegenpol zu öffnen. Dies verlangt eine größere Offenheit auch zur göttlichen Quelle, aus der beides heraus wichtig ist, was zu einer gegenseitigen Achtung und Wertschätzung und damit zum Frieden führen kann.

Man kann im Moment also eine Art produktives Brodeln empfinden, was sich dann irgendwann glättet.

So kann man das deuten. Die Menschheit liegt in den Wehen der Geburt zu einem neuen Menschentum, zu einem integralen Menschentum, in dem die positiven Aspekte der westlichen und der afroasiatischen Hemisphäre integriert sind. Das wäre Heilung. Ich sehe den Gedanken der Heilung kosmisch, menschheitlich, nicht so sehr auf das einzelne Individuum begrenzt. Das ist dann der Friede. Und der Friede ist eigentlich die Gesundheit. Und die Gesundheit ist Friede. Bei Comenius, sogar bei Augustinus schon, wurde der Friede als „Ruhe in der Ordnung” aufgefasst. Wobei die Ordnung als Sinnordnung zu verstehen ist, die vom göttlichen Schöpfer her begründet ist.

Und nicht als Stillstand, sondern als produktive Ruhe.

Und als kreative Ruhe. Nicht das Gleichgewicht des Schreckens ist Ruhe, sondern Ruhe ist Leben, strömendes Leben. Aber nur dann kann das Leben strömen, wenn jedes Glied des Ganzen seinen Sinn–Ort hat. Das gibt dann Sicherheit. Genau das haben wir im Biologischen. Die Gesundheit ist Friede im Organismus, im Menschen als Ganzem. Die Menschheit muss gesunden im Frieden. Das findet dann statt, wenn die verschiedenen Kulturen sich gegenseitig einander erschließen und akzeptieren und bereit sind, sich zu ergänzen. Anders gibt es keine Zukunft. Man kann sagen, dass das die Notwendigkeit ist, die einzige Überlebenschance für die Menschheit.

Das heisst, wir können genau hier in unserer eigenen kleinen Zelle, in unserer Stadt, Strasse, oder wo auch immer, anfangen, damit das Kreise ziehen kann.

Wir sind alle dazu aufgerufen, Geburtshelfer zu sein und uns zur Verfügung zu stellen, und zwar jeder an seinem Ort, um daran mitzuwirken, dass die Gerechtigkeit, der gegenseitige Respekt sich verwirklichen. Und wir alle können zu diesem universellen Frieden beitragen, indem wir versuchen, im jeweils eigenen Lebenskreis und jeweils mit uns selbst diesen Frieden kommen zu lassen. Das kann man nicht „machen”.

Wir alle können zum universellen Frieden beitragen, indem wir versuchen, im jeweils eigenen Lebenskreis und jeweils mit uns selbst diesen Frieden kommen zu lassen.

Wie die Europäer, die Sie am Anfang als die beschrieben, die gerne etwas „machen”, herstellen.

Das ist die Gefahr, das wäre ein Konstrukt, ein „Machwerk”. Der Friede muss „kommen”. Man muss erst reif werden, dass der Friede von sich aus kommen kann und damit die Bedingungen entstehen, unter denen er kommen kann. Wie ich am Anfang sagte, ist die Friedenswilligkeit zum Teil da, zum Teil allerdings auch nicht, aber die Friedensfähigkeit noch zu wenig, weil wir noch nicht reif sind. Das ist auch eine Frage der Übung. Man muss versuchen, mit sich selbst in Einklang zu kommen, mit seinen biologischen, psychischen und geistigen Fähigkeiten und Bedürfnissen, um Frieden mit sich selbst zu stiften, Frieden mit den Mitmenschen, mit seiner Familie, seiner Kultur, Friede mit der Natur und vor allem eben mit dem göttlichen Grund, so dass der Friede eigentlich ein Grundverhältnis zur Wirklichkeit betrifft. Weil man das eine vom anderen nicht trennen kann. Wenn ich mich bemühe, Frieden mit mir selbst zu stiften, mit mir selbst in Einheit, in Einklang, in Übereinstimmung zu kommen, dann strahle ich das auch aus, diese Harmonie. Und ich „wirke” dann den Frieden. Ich „mache” nicht den Frieden, sondern ich wirke friedensstiftend, es strömt Friede von mir aus. Das gibt Freiheit, das gibt „Zu-FRIE-DEN-heit”.

Das Leben ist eine Grundtätigkeit. Ich tue leben, indem ich mich zur Wirkung kommen lasse. In der Erziehung ist es ja eine tägliche Erfahrung. Ein Erzieher wirkt nicht in erster Linie durch das, was er sagt, auch nicht durch das bemühte Beispiel, sondern er wirkt durch seine Wirklichkeit, durch die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit. Seine Worte werden nur in so weit akzeptiert, als er in seiner Persönlichkeit glaubwürdig ist und sich selbst zu Worte bringt in seinen Worten. Das gibt dann Resonanz und Antwort, die auch von selber kommt.

Der zweite Teil des Interviews folgt in der Dezember-Ausgabe des Christian Science Herold.

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