Allein die Erwähnung des Wortes Jihad lässt manche Menschen irrtümlicherweise an Bombenterror denken, der als Heiliger Islamischer Krieg gerechtfertigt wird. Und dennoch wurden im Jemen aufsässige Gefangene, die der Al Quaida angehörten, durch eine gründliche Betrachtung des Korans dazu inspiriert, der Gewalt abzuschwören. Wie im Christian Science Monitor vom 4. Februar 2005 berichtet wurde, konfrontierte Richter Hamoud al-Hitar diese Männer mit folgender Aussage: „Wenn ihr uns davon überzeugen könnt, dass eure Ideen durch den Koran gerechtfertigt sind, werden wir uns eurem Kampf anschließen." Wenn nicht, müssten sie der Sichtweise des Richters folgen. Das war vor über zwei Jahren. Diese Männer arbeiten heute völlig gewaltfrei für den Frieden im Jemen.
Vor ein paar Jahren wurde mein eigenes Verständnis vom Jihad bei einer Gedenkfeier für die Opfer des 11. September um einen frischen Aspekt erweitert. Ich besuchte eine Moschee, wobei einer der Sprecher, ein christlicher Pfarrer, darüber sprach, dass das Wort Jihad tatsächlich zwei verschiedene Bedeutungen hat. Die eine, wohl am meisten verbreitete, bedeutet Heiliger Krieg. Die zweite, tiefere Bedeutung bezieht sich auf das Streben und beinhaltet notwendigerweise den inneren Kampf, sich Gott völlig zu ergeben — ein Kampf des Herzens. Dies erinnert mich an die Worte des Apostel Paulus: „Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören. ... und nehmen gefangen alles Denken in den Gehorsam gegen Christus." (2. Korinther 10)
Es war mein erster Besuch einer Moschee. Wie alle anderen zog ich beim Betreten meine Schuhe aus und wie die anderen Frauen bedeckte ich meinen Kopf mit einem Schal. Diese Handlung war für mich kein normaler Vorgang, doch schien es eine gewisse Demut zu symbolisieren, die so viele Menschen zusammengebracht hatte, um bei Gott Antworten, Heilung und Erneuerung zu finden. Und die Moschee war bis in den letzten Winkel mit dem Geist der Hochherzigkeit und Liebe erfüllt.
Immer wieder denke ich darüber nach, was es bedeutet Gottes Töchter und Söhne zu sein. Der Gedanke gibt mir eine greifbare Vorstellung davon, dass Frieden und Einheit im Bereich des Möglichen liegen.
Ich dachte daran, wie die Idee, sich Gott zuzuwenden — Gott zu lieben —, in meinem eigenen Leben im Mittelpunkt stand. Wie das Verstehen Seiner Güte und Kraft mir Frieden und Heilung gebracht hat. Als wir uns zum Gedenken zusammengefunden hatten, um zu beten, im Herzen vom Fortschritt überzeugt, bekam ich für einen kurzen Moment einen Schimmer von Gottes unendlichem, grenzenlosen Sein. Ich spürte, dass es Gott möglich war „(s)meine Söhne von ferne" zu bringen „und (s)meine Töchter vom Ende der Erde" (Jesaja 43).
Immer wieder denke ich darüber nach, was es bedeutet, Gottes Töchter und Söhne zu sein. Der Gedanke gibt mir eine greifbare Vorstellung davon, dass Frieden und Einheit im Bereich des Möglichen liegen. „Gott ist allumfassend", schrieb Mary Baker Eddy, „an keinen Ort gebunden, durch kein Dogma bestimmt, keiner Sekte ausschließlich zu eigen. Für einen nicht mehr als für alle ist Gott als göttliches Leben, göttliche Wahrheit und göttliche Liebe demonstrierbar; und Sein Volk sind jene, die Ihn widerspiegeln — die die Liebe widerspiegeln." (Vermischte Schriften, S. 150) Um diese Wahrheiten zu verstehen, braucht es eine große Portion Jihad — ein inneres Streben, an der konstanten, unteilbaren, sanften Allmacht Gottes festzuhalten.
Ich bin mir sicher, dass wir nicht Gefahr laufen, uns selber zu verlieren, wenn wir uns Ihm hingeben, wenn wir das Prinzip des konfessionellen Unterrichts oder unsere Gebietsansprüche, Selbstsucht und Furcht loslassen. Stattdessen werden wir einen heiligen, wichtigen Raum der Liebe betreten. Wir werden uns bewusst, was es bedeutet, ein unentbehrliches Kind des Unendlichen zu sein. Geliebt. Auserwählt. Unfähig, dieser heiligen Gegenwart zu entfliehen.
Die hebräische Bibel erzählt, wie Mose seine siebzig Auserwählten aus den Älteren des Volks vom Lager zur Stiftshütte führte, wo der Geist Gottes auf ihnen ruhte und sie dort wie Propheten sprachen. Die Geschichte erzählt weiter, dass Eldad und Medad — sie gehörten nicht zu den Auserwählten — die Kraft Gottes ebenfalls genau da spürten, wo sie sich befanden, und im Lager Dinge vorherzusagen begannen. Doch Josua erhob Einspruch: „Mose, mein Herr, bring sie zum Schweigen!" Und Mose antwortete: „Ich wünschte, alle im Volk Gottes wären Propheten und, dass der Herr über alle seinen Geist ausschütten möge!" (Neue Internationale Version, 4. Mose 11)
Wie wäre unser Leben, wenn wir wirklich wüssten, dass wir alle Kinder des einen Elterngemüts sind? Was würde sich ändern, wenn wir jedermann mit dem Respekt behandelten, der aus dem Wissen resultiert, dass er oder sie nach Gottes Gleichnis geschaffen wurde? Was wäre, wenn wir wirklich erwarten würden, die mächtige Gegenwart des Allerhöchsten in unserem täglichen Leben zu erfahren, die Gegenwart, die einen jeden von uns umhüllt, egal in welcher Situation wir gerade sind? Ob in einem „Lager", im Schützengraben, im Stau, in welchem Moment auch immer? Und in der Tiefe unseres eigenen Herzens? Ich denke oft über folgenden Gedanken nach: „Wir haben nichts zu fürchten, wenn Liebe am Steuer des Denkens ist, vielmehr werden wir uns aller Dinge auf Erden und im Himmel erfreuen." (Vermischte Schriften, S. 113)
Wie wäre unser Leben, wenn wir wirklich wüssten, dass wir alle Kinder des einen Elterngemüts sind? Was würde sich ändern, wenn wir jedermann mit dem Respekt behandelten, der aus dem Wissen resultiert, dass er oder sie nach Gottes Gleichnis geschaffen wurde?
Und so bedeutet Jihad für mich Folgendes: dass ich der göttlichen Liebe erlaube, mein Leben in die Hand zu nehmen — verschwenderisch und unaufhörlich zu lieben, demütig und voller Freude. Und zu wissen, dass ich das kann, dass wir das alle können und dass dadurch, dass wir lieben, unser Leben und die Welt von innen nach außen umgewandelt werden.
