Vor 100 Jahren wollte man in den warmen Tälern Südtirols noch viel mehr Obst ernten. Und so setzte man noch viel mehr Obstbäume. Da kamen noch viel mehr Kleinlebewesen, die an dem reichen Tisch noch viel mehr mitfressen wollten. Gegen diese kamen Zorn, Hass und Furcht auf. Bekanntlich sind das die schlechtesten Ratgeber. Man hätte viele richtige Fragen stellen können. Aber man stellte die verhängnisvollste: „Das sind Schädlinge! Wie kann man sie schnellstens ausrotten?" Lange vor dem heute geläufigen Begriff „Terroristen" sprach man auch diesen Lebewesen Gotteskindschaft, Bruderschaft und Lebensrecht ab. Es ist weltweit ein einträglicher Wirtschaftszweig daraus geworden: in Deutschland 10 kg Gift je Hektar und Jahr! Unverantwortbar. Und wenn der Gärtner im nächsten Jahr „noch viel mehr" Gift braucht, ist doch nichts geheilt.
Folgende Fragen wären aus meiner Sicht wichtiger gewesen: Warum treten so viele Tierchen auf? Worauf weisen sie hin? Was haben wir verkehrt gemacht? Was müssen wir lernen? Was müssen wir tun, um den Einklang aller Wesen wiederherzustellen?
Der Einklang ist möglich. Aber nicht durch „noch viel mehr" Gewalt. Wissenschaft und Gesundheit [WuG] fragt (S. 394): „Sind materielle Mittel die einzige Zuflucht vor verhängnisvollen Zufällen? Gibt es keine göttliche Berechtigung, Disharmonie jeder Art durch Harmonie, durch Wahrheit und Liebe zu besiegen?“ Jesus warnte in der Bibel: „Sorget nicht!“ Neben seiner Veheißung des nahegekommenen Himmelreiches forderte er als Erstes ein Umdenken, einen Sinneswandel. Diese grundlegende Wende des gesamten Weltbildes hätte vor 2000 Jahren kommen sollen. Heute ist sie unaufschiebbar.
Warum streben in Zeiten der Globalisierung, der Spaß- und Aufbrauchgesellschaft, viele nach „noch viel mehr" Geld, Macht, Einfluss, Herrschaft? Aus Angst vor Unterversorgung? Können wir nicht mehr vertrauen, daß „der Herr ... mein Hirte [ist]" (Psalm 23)? Wie Mary Baker Eddy Gott sprachlich mit „gut" gleichsetzt, so hörte man in „Jahwe" (Herr) einen Anklang an „das Sein". Dieses Ursein, dieser rein geistige Urquell allen Daseins und Lebens gewährleistet, daß „mir ... nichts mangeln [wird]" (ebd.). Oder deutlicher: Das Ursein selbst ist meine Versorgung. Ich lebe in Fülle.
Worauf ich blicke, das ziehe ich heran. Blicke ich ängstlich auf Mangel oder dankbar auf das, was ich habe?
Die heutige Forschung erkennt immer tiefer, ja, ehrfürchtiger ein Wirkungsgefüge, eine Vernetzung aller Wesen und Dinge. „Wir leben in einem hoffnungslos miteinander verwobenen Weltall, in dem jedes einzelne Ding auf fast wunderbare Weise mit jedem und allen anderen Dingen verbunden ist". (Ken Wilber über Ervin Laszlo, „Holos. Die Welt der neuen Wissenschaften", Verlag Via Nova) Legen solche Erkenntnisse nicht nahe, auch in den vermeintlichen Schädlingen Helfer statt Feinde zu suchen? „Alles ist unendliches Gemüt und seine unendliche Manifestation“ – Offenbarung, Sichtbarmachung, Erlebbarkeit. Gemüt ist eins! Ohne Gegenkräfte! Kein Wesen ist geschaffen, andere niederzufressen, auszurotten.
„Das Sein ist Heiligkeit, Harmonie und Unsterblichkeit.“ (WuG S. 492) Für mich heißt das:
1. Alle Geschöpfe Gottes sind mir heilig. „Du sollst nicht töten!“ ist nie auf Menschen beschränkt worden!
2. Alle Wesen können in Harmonie in einer Lebensgemeinschaft leben, deren Glieder mehr erzeugen, als sie selbst verbrauchen und eher für andere sorgen als für sich.
3. Wir können und sollten die Unsterblichkeit sowohl des Menschen als auch der anderen Geschöpfe anerkennen:
a) Wir Menschen müssen keinen Mangel, kein Verhungern fürchten;
b) unseren Gewächsen können wir täglich sagen: „... ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit" (Jesaja 41);
c) Die vermeintlichen Schädlinge können wir sowieso nicht ausrotten, denn sie haben genau wie wir eine Aufgabe auf dieser Welt!
„Wenn eines Menschen Wege dem Herrn wohlgefallen, so lässt er auch seine Feinde mit ihm Frieden machen“ (Sprüche 16).
„Alle Geschöpfe Gottes, die sich in der Harmonie der Wissenschaft bewegen, sind unschädlich, nützlich und zerstörbar“ (WuG, S. 514).
Das habe ich erlebt: Auf der Suche nach Regenwürmern zerwühlten mir Amseln Saaten und Setzlinge. Mit meiner Wut wuchsen auch die Schäden. Ich vergeudete jährlich mehrere volle Arbeitstage mit dem Ausspannen und Umhängen vieler Vogelnetze zum Schutze meiner Beete. Vergeblich. Dann lernte ich Eike Braunroth (Verfasser von „Heute schon eine Schnecke geküsst?") kennen. Er hat aufbauend auf Gedanken, die der Christlichen Wissenschaft sehr nahe kommen, in jahrzehntelanger Beobachtung und Forschung einen Frieden mit allen Mitlebewesen lehr- und erlernbar gemacht. Ich begriff, daß ich als einst hungerndes Nachkriegskind mit Tieren nicht hatte teilen wollen. Also vernichtete ich alle Vogelnetze und übte mich im Loslassen. Jetzt singen und brüten die Amseln recht zahlreich im Garten, ernähren sich aber hauptsächlich außerhalb. Und ich brauche nicht mehr ständig als „lebendige Vogelscheuche" in den Garten zu stürmen. Welch eine Erlösung ist mir dieser Friede!
Zu schwarzen Bohnenläusen, die mir früher trotz Biogiften die Bohnen oft flächendeckend überzogen und die Ernte beendet hatten, sagte ich die letzten drei Frühsommer: „Herzlich willkommen im gemeinsamen Garten!" Beim letzten Mal vermehrten sie sich noch. Mir kam es vor wie eine Prüfung. Ich blieb aber liebe- und vertrauensvoll und so verschwanden sie bald völlig.
Den Rosenläusen dankte ich, daß sie vor der Blüte den Saftstau absogen, anschließend verschwanden sie. Einmal überfielen Hornissen meine unreifen Birnen, sodass sie verfaulten. Es war ein niederdrückendes Gefühl: Die Bäume hatten reicher angesetzt denn je und jetzt war wohl „wieder alles umsonst!" Dieses Gefühl kam mir bekannt vor. Ich habe einige böse Rückschläge im Leben einstecken müssen, etwa eine Handvoll. Dann überlegte ich und begann die Erfolge und Gottesgeschenke meines Lebens zusammenzuzählen: Da reichten Finger und Zehen nicht mehr. Sofort blieben die Hornissen weg. Also hatte ich ihre Botschaft verstanden: Ich sollte mich nicht mehr als Versager fühlen, sondern für die vielen Gottesgeschenke danken. Als ich dann überzähliges Obst trocknete, kamen die Hornissen wieder, verjagten die Fliegen und nahmen die Wespen gleich mit nach Hause. So waren aus vermeintlichen Feindinnen Helferinnen geworden. – Im folgenden Jahr kamen dann keine mehr.
In meinem Gärtchen wächst jetzt so viel, daß wir selbst mit dem Verschenken oft nicht mehr nachkommen.
Krieg zehrt – Friede nährt – Liebe heilt.
