Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus.
Diese Zeile aus dem Psalm 34 war kürzlich der Goldene Text einer Wochenlektion. Die Frage, ob wir Gott tatsächlich „fürchten" müssen, hatte mich schon mehrmals beschäftigt und nun nahm ich dieses Zitat zum Anlass, einmal intensiver darüber nachzudenken. Dieses Eingangszitat ist ja noch verhältnismäßig sanft formuliert, der Engel und die Zusicherung von Schutz und Hilfe mildern die Aussage ab, aber wie soll man denn Sätze wie diesen verstehen: „...schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern"? (Philipper 2)
Müssen wir tatsächlich aus Furcht vor Gott zittern? Wenn man etwas fürchtet, dann erwartet man etwas Unangenehmes. Aber ist es denn wirklich beabsichtigt, dass wir von Gott etwas Unangenehmes erwarten sollten? Im 1. Johannesbrief lesen wir, dass Gott Liebe ist, das heißt, Er ist nicht nur ein lieber Gott, sondern Gott ist die Liebe selbst. Dies ist eine der großartigsten Aussagen der Bibel! Aber steht die Aufforderung, Gott zu fürchten, nicht im eklatanten Widerspruch zu Seiner Liebe? Nachdem ich in diversen Erklärungsbibeln und auch bei Mary Baker Eddy nachgeforscht habe, kann ich sagen: nein, das ist kein Widerspruch. Man muss nur, wie so oft, ganz genau hinschauen – und um es vorweg zu nehmen, es besteht ein großer Unterschied zwischen „Gott fürchten" und „sich vor Gott fürchten".
Die erste Aussage in der Bibel, dass jemand sich vor Gott gefürchtet hat, finden wir in der Fabel von Adam, der sich vor Gott versteckte, weil er nackt war. (siehe 1. Mose 3) Adam ist ungehorsam gewesen, er hatte gegen Gottes Gebot verstoßen und deshalb fürchtete er sich – weil er eine Strafe erwartete. Der Gedanke an einen strafenden Gott, vor dem man sich fürchten muss, hat seinen Ursprung genau an dieser Stelle, in dieser Allegorie von Adam und Eva, die Mary Baker Eddy bezeichnet als:„... die Geschichte des unwahren Bildes Gottes, das man einen sündigen Sterblichen nennt". (WuG, S. 502)
Es gibt die Redewendung „bei Adam und Eva anfangen", was so viel bedeutet wie, bis zum allerersten Anfang zurückgehen'. Oder auch: ganz von vorne anfangen. Aber das ist genau so falsch wie die Fabel von Adam und Eva selbst, denn diese Geschichte beschreibt keineswegs den Beginn der Menschheit. Wenn man wirklich bis an den Anfang der Bibel und der Menschheit zurückgehen möchte, muss man beim ersten Schöpfungsbericht beginnen. (siehe 1. Mose 1) Dort wird berichtet, dass Gott sprach – und dadurch „den Menschen zu seinem Bilde" schuf. Diese Formulierung beschreibt sowohl den wahren Menschen selbst (nämlich als geistig, also durch das Wort Gottes gemacht) als auch seine Beziehung zu Gott (nämlich als dessen Bild, also Seine Widerspiegelung).
William Barclay schreibt „Fürchtet Gott...Das ist die Aufforderung, den Gott anzubeten, zu fürchten und zu ehren, der der Schöpfer und Erhalter aller Dinge ist – sich von den falschen Göttern ab und dem lebendigen Gott zuzuwenden." William Barclay, Auslegung des Neuen Testaments, Offenbarung des Johannes 2, Seite 129 Und Mary Baker Eddy bringt an Hand eines Zitates aus dem Bibel-Kapitel Prediger den „christlich-wissenschaftlichen Gedanken" mit wenigen Worten folgendermaßen auf den Punkt: „... Fürchte Gott und halte Seine Gebote ... Mit anderen Worten ... Liebe Gott und halte Seine Gebote", denn, so fährt sie fort: „das ist der ganze Mensch in Seinem Bild und Gleichnis." (WuG, S. 340) Aber immer und immer wieder machen die Menschen den großen Fehler, ein anderes „Menschenbild" zu kultivieren und die Fabel von Adam und Eva als den Ursprung der Menschheit zu akzeptieren. Daraus resultieren alle Probleme, die wir haben, einschließlich des Missverständnisses über die Gottesfurcht!
Die Ermunterungen, Gott zu fürchten, die sich wie ein roter Faden durch die Bibel ziehen, wollen uns immer auf den „ersten Schöpfungsbericht" hinweisen, in dem, wie gesagt, von dem wahren Menschen, also von Ihnen und mir, die Rede ist. Sie dienen dazu, uns in unserem eigenen Interesse zur Wachsamkeit anzuhalten. Sie wollen uns sagen: „Vergiss nicht, wer du in Wirklichkeit bist. Du bist nicht Adam (oder Eva), sondern du bist der zu Gottes Bild geschaffene Mensch."
Jesus Christus zeigt uns noch einen anderen Weg, auf dem wir uns der Lösung nähern können. Er hat uns gelehrt, dass wir Gott „Vater" nennen dürfen und dass Er die Liebe ist. Das bedeutet doch, dass dieser Vater gar nicht umhin kommt zu lieben. Und ein Kind, das weiß, dass es von seinem Vater geliebt wird, wird sich doch nicht vor ihm fürchten. Es wird versuchen, nur das zu tun, was diesem Vater gefällt. Und so verstehe ich (heute) die Aufforderung, Gott zu fürchten, als die Ermahnung, sorgfältig darauf zu achten, dass wir Ihn erfreuen mit unserem Tun, oder anders ausgedrückt: dass wir persönlich beteiligt sind, wenn es heißt: „Und Liebe spiegelt sich in Liebe wider".
So gesehen bedeutet denn auch der Rat „...schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern" keinesfalls, dass wir aus Frucht vor einer Strafe zittern und uns vor Gott verbergen müssen (wie Adam), sondern ganz im Gegenteil, dass wir mit allen Fasern unseres Herzens Seine Nähe suchen sollten. Weil wir wissen, dass wir ohne Gott und Seine Hilfe verloren sind, dass wir aber alles durch Seine Liebe erreichen können. Es ist also hier nicht die Furcht vor Strafe angesprochen, sondern die Furcht der Liebe: Wir sollen und wollen Gott und Seine Liebe nicht enttäuschen.
Fazit: Die biblische Ermahnung fürchte Gott bedeutet also nichts anderes als liebe Gott. Und wenn wir Gott wirklich lieben, dann wollen wir immer nur das tun, was Ihm Freude macht. Und wenn wir das beherzigen, dann spüren wir, dass Er uns tatsächlich liebt, und wir erleben, dass Er seinen Engel um uns lagern lässt.