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Spiritualität & Heilen

Mit Gedanken malen

Aus der November 2011-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Unser Verlangen formt unsere Taten, sagt der Lehrer und Praktiker der Christlichen Wissenschaft, den wir in diesem Monat vorstellen — und das, wonach wir verlangen, und das, was wir tun, trägt zu einem globalen Wandgemälde bei.

Lyle Young lernte die Christliche Wissenschaft kennen, als er an der Universität war. Er studierte Musik an der Ball State Universität in Munice, Indiana, USA, als er an den wöchentlichen Treffen der Hochschulvereinigung der Christlichen Wissenschaft teilzunehmen begann, die an der Universität stattfanden. Nach seinem Hochschulabschuss zog er wieder zurück in sein Heimatland, Kanada, wo er dann regelmäßig eine Zweigkirche der Christlichen Wissenschaft in Ottawa besuchte.

Er studierte ein Jahr lang die französische Sprache und Kultur in Quebec, im Jahr darauf internationale Beziehungen und lateinamerikanische Geschichte in Buenos Aires und begann anschließbend ein Masterstudium in Politikwissenschaft an der Universität von Saskatchewan. Als Hochschulabsolvent arbeitete er 1984-1985 als Praktikant im kanadischen Parlament. Er traf führende Regierungsvertreter, Politiker und Diplomaten in London, Belfast, Brüssel und Washington, DC. Er sagt, dass diese Erfahrungen ihn davon überzeugten, „dass alle Veränderungen, die in der Welt geschehen, das Denken widerspiegeln. Ich kam zu der Schlussfolgerung, dass ein Praktiker der Christlichen Wissenschaft immer auf dieser geistigen Ebene arbeitet, in der sich die wahren Veränderungen abspielen. Also dachte ich, ich könnte als Praktiker den besten Beitrag dazu leisten."

Deshalb verließ er 1987 das Programm zum Erwerb des Mastertitels und ging in die Vollzeitpraxis der Christlichen Wissenschaft. Vier Jahre später wurde er Lehrer der Christlichen Wissenschaft. Er diente der Mutterkirche als Vertreter des Komitees für Veröffentlichungen in Ontario, als Landesrepräsentant für Kanada und als Erster Leser. Zurzeit reist er als Mitglied des Vortragsrates um die Welt und hält Vorträge über die Christliche Wissenschaft auf Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch.

„Mein Karriereziel", sagt Mr. Young, als wir kürzlich hier in Boston miteinander sprachen, „wechselte von Musiker über Diplomat zu Praktiker der Christlichen Wissenschaft." Und auf dem ganzen Weg hat er das große Ganze im Blick behalten. Er hat das, was er in der Christlichen Wissenschaft über Gebet gelernt hat, auf etwas Größeres als sich selbst angewendet: auf die Welt.

Mr. Young, Sie studieren jeden Tag die Bibel und Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy und Ihr Leben und Ihre Heilarbeit bauen Sie auf dem auf, was Sie von diesen zwei Büchern lernen. Zusammen ergeben sie ein vollständiges Bild der Wirklichkeit. Aber ich weiß, dass Sie auch viele andere Bücher lesen.

Ich lese sehr gerne, um besser über die Siege und Kämpfe der Welt informiert zu sein – und um der Welt Heilung zu bringen. Ich lese zum Beispiel gerade ein Buch von Simon Epstein: Histoire du peuple juif au XXe siècle.

Sie lesen es auf Französisch.

Ja. Der Titel könnte auf Deutsch übersetzt lauten: Die Geschichte des jüdischen Volkes im 20. Jahrhundert. Ich möchte dem Nahen Osten Heilung bringen und ich finde dieses Buch sehr hilfreich. Der Autor schreibt über Deutschland im Jahr 1922 und wie es dort etwa 70 000 Mitglieder des Zentralverbandes der Deutschen Bürger mit jüdischem Glauben gab – das waren 70 000 Menschen in etwa 600 Ortsvereinen, die sich dazu verpflichtet hatten, die Rechte der Juden in der deutschen Gesellschaft zu verteidigen – als der deutsche Außenminister, der Jude war, ermordet worden war. Die Menschen im ganzen Land protestierten massenweise bei Demonstrationen. Es gab in mehreren deutschen Städten Demonstrationen. Fast eine Million Menschen nahmen an der Demonstration in Berlin teil. Und doch übernahmen die Nazis nur elf Jahre später das Land. Und 1938 begann der Holocaust – der staatlich gestützte Genozid an Millionen von Juden. Für mich ist dieser Zeitabschnitt des Geschehens so aufschlussreich, weil er zeigt, wie aktiv wir dabei sein müssen, das Böse zu überwinden. 1922 zeigten über eine Million Deutsche ihre Unterstützung für die volle Teilnahme der Juden an der deutschen Gesellschaft. Und doch ging alles so schnell und ganz und gar bergab.

Solche Ereignisse können uns zeigen, wie aggressiv das Böse sein und wie schnell es sich ausbreiten kann – und wie wir deshalb metaphysisch entgegenwirken müssen.

Und auch die Initiative ergreifen. Nicht nur auf das Böse reagieren, sondern aktiv in unserem Denken und unserem Leben durch unsere Taten das bestätigen, was wahr ist: Gott – das Gute – hat alle Macht und deshalb hat das Böse nicht meht Macht, als die Menschen ihm zugestehen, wie mächtig es auch zu sein scheint.

Lassen Sie uns noch ein wenig bei diesem Punkt bleiben. Wie kann ein christlicher Metaphysiker die Initiative ergreifen, um dem Bösen entgegenzuwirken?

Ich denke, als Erstes müssen wir zu erkennen beginnen, dass das Denken unser Handeln bestimmt. Und dann machen wir mit größter Demut weiter, weil es große Demut verlangt, Gottes Gedanken zu hören. Der Stille, dem Lauschen auf Gott den Vorrang geben, die Bibel und Wissenschaft und Gesundheit studieren – das sind für mich Schritte, die wirksam sind. Dies befähigt mich und jeden Menschen, Herrschaft über die anscheinende Macht des Bösen zu erlangen. Und für mich geht es beim Bibelstudium und dem Studium der Werke von Mary Baker Eddy um mehr als um den Inhalt. Beim Studium dieser Bücher geht es auch um die Disziplin, seinen eigenen Willen zu beugen, um sich wahrhaft mit dem Göttlichen zu vereinen. Denn um regelmäßig die Gedanken zu hören, die von Gott kommen, müssen wir unseren Willen beständig auf Gott ausrichten.

Wenn Sie Gott sagen, könnten einige an Jesus denken, während anderen etwas Abstrakteres und Mysteriöses in den Sinn kommt. Wie würden Sie Gott definieren?

Als reines, unendliches Gutes. Und ein wunderbarer Ausdruck dieses Begriffs erscheint im 1. Johannesbrief: „Und das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkünden: Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. (1. Johannes 1)

Und wenn Sie sagen, dass Gott das reine, unendliche Gute ist – oder dass Gott, bildlich gesprochen, Licht ist – sprechen Sie nicht über ein inaktives Wesen, ein Wesen, das weit weg oder untätig ist.

Nein. Ich denke an Gott als das vollkommene Sein, das einzige Sein – in Bibelbegriffen als der große „ICH BIN DER ICH BIN" (2. Mose 3, nach der King James Bibel). Ich sehe Gott als unendliche Liebe, warm und zärtlich und dynamisch.

Mary Baker Eddy gibt uns neben Liebe noch sechs andere Synonyme für Gott. Ich habe zum Beispiel über das Synonym Geist nachgedacht. Die Bibel weist uns durch Zeilen wie „... und Jesus kam in der Kraft des Geistes wieder nach Galiläa" (Lukas 4) darauf hin, dass Gott und Geist Synonyme sind. Die Kraft des Geistes befähigte Jesus zu heilen. Sie gab ihm Autorität über menschliche Umstände. Und Mary Baker Eddy erkannte, dass Gott auch unser göttlicher Geist ist. Nun, ich habe darüber nachgedacht, wie der göttliche Geist in uns Enthusiasmus inspiriert. Enthusiasmus stammt von dem griechischen Wort en Thoes ab, was „Gott in dir" bedeutet, mit Gott eins zu sein oder von Gott inspiriert zu sein. Also inspiriert der göttliche Geist in uns Liebe und den Enthusiasmus, das reine, unendliche Gute auszudrüken, von dem Sie sprachen – und den Enthusiasmus, dem Bösen entgegenzuwirken.

Aber die Frage bleibt: „Wie führt ein durch Geist begeistertes Leben zu einem weltverändernden Einfluss? Zu der Art des Einflusses, die den Bann der Alpträume bricht, wie der, der Deutschland erfasst hatte?

Ich denke, dazu braucht es tiefes Gebet – und ein Leben, das beständig mit diesem Gebet in Einklang steht. Und für mich bedeutet Gebet, mich nach Gott auszustrecken und Gott auf praktische Weise in mein Denken und in mein Leben zu bringen. Es ist ein von Herzen kommendes Verlangen danach, besser zu sein, ein tiefes Verlangen danach, selbstloser zu sein, ein ernsthaftes Verlangen danach, in jedem Gedanken reiner zu sein. Mary Baker Eddy sprach in Wissenschaft und Gesundheit darüber, wie wir beten sollen: „In dem stillen Heiligtum ernsten Sehnens müssen wir Sünde verneinen und für Gottes Allheit eintreten." (S. 15) Das steht im Kapitel „Gebet". Und das ist genau das, was wir tun müssen. In der Bibel steht, wenn Gott die Sünde zählen würde, wer würde bestehen? („Wenn du, Herr, Sünden anrechnen willst–/Herr, wer wird bestehen?" [Psalm 130]) Gebet bedeutet also einen sündigen Sinn der Dinge zu verneinen und das Denken nach der Vollkommenheit Gottes auszustrecken–der Gnade Gottes, die jeden Menschen einschließt.

Je mehr ich in dem Buch Wissenschaft und Gesundheit lese, desto mehr sehe ich das Kapitel „Gebet" als einen Ausgangspunkt für die anderen Kapitel. Im Kapitel „Die Praxis von Christian Science" spricht Eddy sehr genau darüber, wie wir mit Furcht umgehen sollen und wie wir Krankheit heilen können. Aber im ersten Kapitel, „Gebet", erwähnt sie Verlangen. Auf diesen 17 Seiten benutzt sie das Wort Verlangen und seine Ableitungen 23-mal. Das bestätigt mir, dass Gebet wahrhaftig eine von Herzen kommende Sehnsucht danach ist, besser zu sein, es besser zu machen und damit in Einklang zu sein, was Gott über uns weiß. In demselben Kapitel spricht sie über Aufrichtigkeit und drängt den Leser dazu, sich von Heuchelei zu befreien. Sie spricht viel darüber, wie wichtig es ist, ein offenes Herz zu haben, ein Herz, das absolut ernsthaft dabei ist, Gutes tun zu wollen. Und obwohl sie viele sehr zielgerichtete Argumente in den Kapiteln „Die Praxis von Christian Science" und „Das Lehren von Christian Science" anspricht, geht Gebet für mich doch auf die ersten 17 Seiten zurück, in denen sie sagt: „Was wir am dringendsten brauchen, ist das Gebet innigen Verlangens nach Wachstum in Gnade, das sich in Geduld, Sanftmut, Liebe und guten Werken ausdrückt." (S. 4)

Ich bin der Auffassung, Mrs. Eddy dachte, es braucht diese Art Gebet, um uns für das zu öffnen, was im menschlichen Denken Erlösung und Heilung benötigt und uns befähigt, anderen Menschen und der Allgemeinheit zu helfen, diese segensreiche Berichtigung zu erfahren. Also Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit, die kindliche Natur, die in der Bergpredigt hervorgehoben wird–diese Bereitschaft, wie „ein kleines Kind zu werden" (Markus 10)–ich denke, dass diese Eigenschaften eine sehr praktische Auswirkung auf die Welt haben. In meinem Vortrag „Sie können die Welt verändern – durch Gebet" benutze ich den Vergleich, dass alles in der menschlichen Welt ein großes Wandgemälde ist, zu dem wir alle beitragen – nicht durch Farbe, sondern durch unsere Gedanken.

Wenn wir mit Gedanken von Gott, dem göttlichen Gemüt, beginnen, Gedanken über Frieden und Brüderlichkeit und wenn wir ständig in Übereinstimmung mit diesen Gedanken leben, dann tragen wir zu diesem Wandgemälde einen sehr realen Einfluss des Guten bei.

Mit Gedanken malen

Genau, mit Gedanken malen. Also was zum Beispiel sind unsere Gedanken über Afghanistan? Man könnte sagen: „Das ist eine unmögliche Lage. Leute von verschiedenen Stämmen und mit unterschiedlichen religiösen Ansichten haben seit Jahrhunderten gegeneinander gekämpft und jetzt sind dort Armeen aus anderen Ländern. Es wird dort nie Frieden geben." Was immer unsere Gedanken sind, sie sind es, die wir zu diesem Wandgemälde beitragen.

Oder anders ausgedrückt, wenn wir an Gedanken von drohendem Unheil, Verzweiflung, Ärger und Hass festhalten, tragen wir negative Gedankenfarbe zu dem Weltbild bei.

So ist es. Aber wenn wir mit Gedanken von Gott, dem göttlichen Gemüt, beginnen – noch eins der Synonyme für Gott–,Gedanken über Frieden und Brüderlichkeit, Gedanken über das Gute und Erwartung des Guten und wenn wir ständig in Übereinstimmung mit diesen Gedanken leben, dann tragen wir zu diesem Wandgemälde einen sehr realen Einfluss des Guten bei.

Unsere Gebete sind in dem Verhältnis wirksam, in dem wir sie leben. Sagen wir mal, wir beten für eine Atmosphäre des Fortschritts in Afghanistan, für ein Gefühl der Sicherheit, ein Gefühl der Einheit–dann werden unsere Gebete in diese Richtung in dem Maße erfolgreich sein, wie wir selber dieses Gefühl der Brüderlichkeit, dieser Liebe, zum Ausdruck bringen. Oder sagen wir einmal, wir beten für die Politiker unseres Landes und sie müssen wichtige Entscheidungen treffen. Wir wollen, dass diese Politiker Weisheit, Intelligenz, Mut, Sensibilität, sogar Liebe ausdrücken. Unsere Gebete in diese Richtung werden in dem Maße erfolgreich sein, wie wir selbst diesen Mut ausdrücken, in dem Maße, wie wir diese Intelligenz und diese Ehrlichkeit und diese Rechtschaffenheit ausdrücken. Ich bin völlig davon überzeugt, dass die tiefe, unbeugsame Hoffnung Nelson Mandelas und seine Hingabe an ein von Rassismus völlig befreites Südafrika erfolgreich waren, weil er konsequent im Einklang mit dieser Hoffnung und dieser Hingabe lebt.

Gebet ist das Verlangen, Gutes zu tun, wie es im Kapitel „Gebet" zum Ausdruck gebracht wird. Es ist das Verlangen, selbstlos zu sein, das Verlangen, andere zu segnen.

Was mir gerade in den Sinn kam, ist ein Gemälde, das von dem pointilistischen Künstler Georges Seurat gemalt wurde. Seurat hat sein Leinwandgemälde durch kleine Farbtupfer aufgebaut. Während Sie sprechen, stelle ich mir also Myriaden kleiner Punkte vor. Und wir alle tragen in jedem Augenblick zu diesem pointilistischen Gedankenbild des Planeten Erde bei.

Und dies kann auch auf einer viel lokaleren Ebene, wie zum Beispiel in meiner Familie geschehen. Was denke ich über meine Familie? Habe ich Gedanken wie: „Meine Schwester und mein Bruder kämpfen immer miteinander und wahrscheinlich werden sie immer so weiter machen." Sehen Sie, wenn ich diesen Gedanken akzeptiere, werde ich dies zu meiner Familie beitragen. Denn was ist eine Familie? Sie wird aus den Gedanken über Familie gebildet, die wir voneinander haben. Also könnte ich auch über meine Familie wissen und gebetvoll bekräftigen, dass jedes Familienmitglied ein friedliebendes Gotteskind ist.

Und dadurch ein wunderschönes Familiengemälde schaffen.

Ja. Und ein Arbeitsgemälde. Ein Stadtgemälde. Alles in der menschlichen Welt ist eine Zusammensetzung dessen, was die Menschen denken. Und durch Gebet, durch Demut und durch diese Aufrichtigkeit des Herzens, die uns für die Ideen Gottes öffnet, kann jeder dazu beitragen, ein besseres Gemälde zu schaffen.

Nun, ich weiß, dass Sie den Worten Taten folgen lassen, da Sie den Christian Science Monitor schon lasen, bevor Sie Praktiker der Christlichen Wissenschaft wurden, und jede Woche viele Stunden mit der Art des Malens durch Gedanken verbrachten, über die Sie sprechen.

Ja, weil ich so stark, so leidenschaftlich fühlte, dass Christen, wie auch anderen Menschen, die an Gott glauben, das Werkzeug des Gebets zur Verfügung steht. Also dachte ich, wenn ich Christ sein will, bedeutet das, dass ich das Werkzeug eines Christen–Gebet–nutze, um die Welt zu verändern und zu einem besseren Ort zu machen. Aber das bedeutet nicht, dass Gebet auf der einen Seite des Raumes steht und das praktische Handeln auf der anderen. Es bedeuter, dass Gebet eine tiefgreifende Offenheit für das Gute ist, eine tiefgreifende Offenheit für die Ideen Gottes. Also beten die Menschen manchmal, ohne es zu wissen – zum Beispiel Wangari Maathai, die Gewinnerin des Nobelpreises aus Kenia. Maathai wurde hauptsächlich für ihre umweltpolitische Arbeit geehrt. Sie hatte umweltpolitische Schritte unternommen, die auf Liebe und Achtung für andere Menschen beruhten. Die Menschen mögen dies nicht als ein traditionelles Gebet bezeichnen. Aber, wie gesagt, Gebet ist das Verlangen, Gutes zu tun, wie es im Kapitel „Gebet" zum Ausdruck gebracht wird. Es ist das Verlangen, selbstlos zu sein, das Verlangen, andere zu segnen.

Und wie im Fall von Wangari Maathai kann Gebet mit einem Verlangen anfangen und in guten Taten enden. Können Sie über die Zeichen sprechen, an denen Sie gesehen haben, dass Ihr Gebet wirkt?

Es ist nicht immer leicht, den individuellen Einfluss auf einer globalen Ebene zu erkennen, aber wenn wir beständig für die Familie der Menschheit beten – einfach jeden Tag beten: „Lieber Vater-Mutter, hilf mir meine Brüder und Schwestern mehr als Kinder Gottes zu erkennen"–, dann werden wir meiner Meinung nach etwas verändern, etwas auf der Seite des Guten verändren. Lassen Sie mich einige Beispiele erzählen.

Ich habe einige Zeit bei der Nachbarschaftswache gedient und wir hatten von der Polizei Kriminalstatistiken über Hauseinbrüche, über Diebstähle aus Autos und über Autodiebstähle le bekommen. Ich hatte für die Nachbarschaft gebetet, also beschloss ich: „O.k., ich werde mich an diesem Programm beteligen." Wir legten uns auf bestimmte Formen der Kriminalität fest, die wir in der Nachbarschaft reduzieren wollten. Ich betete also ganz besonders über diese Formen und bekräftigte, dass die Menschen in Sicherheit lebten und in der Nachbarschaft Gutes tun wollten. Und in zwei von den drei Kategorien sank die Kriminalitätsrate deutlich.

Ein anderes Beispiel: Im Jahr 1986, kurz nachdem ich im kanadischen Parlament gearbeitet hatte, führte die Partei, die die Wahlen gewonnen hatte, eine Kampagne für eine freie Abstimmung im Parlament, um die Todesstrafe wieder einzuführen. Seit den 60er Jahren hatte es in Kanada keine Todesstrafe mehr gegeben. Aber eine neue politische Partei hatte die Regierung übernommen und versprochen, es würde eine freie Abstimmung zu dieser Frage geben. Ich wusste – weil ich auf dem Gipfel gearbeitet hatte und wegen der Umfragen – dass die MPs (Mitglieder des Parlaments) die Wiedereinführung der Todesstrafe deutlich befürworteten. Als der Zeitpunkt der Abstimmung näherrückte, betete ich, um alles zu verneinen, das dem Leben in meiner eigenen Erfahrung entgegensteht. Mit tiefer Ernsthaftigkeit bekräftigte ich, dass Leben an sich unendlich ist und niemals endet.

Wenn Sie Leben sagen, meinen Sie Leben als Synonym für Gott – das vierte Synonym, das wir bislang erwähnt haben.

Genau, Leben als Synonym für Gott. Und weil Gott unendlich ist, kann es nichts geben, das dem Leben entgegensteht. Ich arbeitete mit diesen Gedanken und wusste, dass Gott die MPs regiert, die zur Abstimmung gingen. Natürlich wusste ich, dass auch andere Menschen beteten. Nun, zur Überraschung so ziemlich aller Analysten ging die Abstimmung gegen die erneute Einführung der Todesstrafe aus. Also hatte ich das Gefühl, dass dies ein sehr besonderes Ereignis war, das von Gebet beeinflusst worden ist.

Und heir ist noch ein anderes Beispiel, das sich auch auf das Leben in meinem Heimatland bezieht. Kanada hat eine lange Geschichte von zwei Sprachgruppen, die hart daran arbeiten, gut miteinander auszukommen–und das gelang auch die meiste Zeit. Die Beziehung der französisch sprechenden und der englisch sprechenden Gruppe war ein bestimmendes Merkmal der kanadischen Geschichte, genauso wie die Beziehung zwischen afrikanischen Amerikanern und europäischen Amerikanern ein bestimmendes Merkmal der Geschichte der USA war. Es gab einige Referenden in Kanada, die sich wesentlich damit befassten, ob Quebec sich vom restlichen Kanada abspalten sollte oder nicht – eins 1980 und eins 1995. Und als ich 1995 darüber gebetet habe, wurde ich dazu geführt, darüber nachzudenken, wie ich mich selbst definiere. Sehe ich mich als jemand, der aus einem bestimmten Land stammt? Wenn das Land, in dem ich lebe, ein Drittel seiner Fläche verlieren würde, würde ich mich dann andres fühlen? Kanada erstreckt sich von Britisch Columbia im Westen bis nach Neufundland im Osten und hinauf bis in das Gebiet von Nunavat und dem nördlichen Polarmeer im Norden. Ich habe mich gefragt: „Gibt es etwas, was dieser Geographie innewohnt, das bestimmt, wer ich bin?" So betete ich weiter und wusste, dass das, was jeden von uns bestimmt, was jeden Menschen auf der ganzen Welt bestimmt, was jeden Menschen in Kanada bestimmt, nicht Geschichte oder menschliche Kultur ist, nicht ethnische Zugehörigkeit oder die Sprache ist, die wir sprechen. Keiner dieser Faktoren bestimmt, wer wir als Kinder Gottes sind. Jeder von uns wird durch seine Einheit mit Gott bestimmt. Seele – noch ein Synonym für Gott – formt, wer wir sind, und gibt unserer Individualität die Bestimmung.

Gebet verlangt, dass wir unseren begrenzten menschlichen Willen aufgeben und uns stattdessen Gott überlassen. Gebet bedeutet, uns und andere der Fürsorge Gottes zu übergeben.

Haben Sie in Ihren Gedanken kein Gewicht darauf gelegt, was Sie darüber dachten, wie die Abstimmung ausgehen sollte?

Ich habe ganz bestimmt eigene politische Ansichten, aber ich hatte das Gefühl, dass ich tiefer gehen wollte. Ich wollte ein Gefühl der Sicherheit haben, das nicht in der Geschichte oder der Geographie leigt, sondern ausschließlich von Gott kommt.

Welchen Erfolg hatte das?

Es scheint gut ausgegangen zu sein. Kanada blieb bestehen. Und seit 1995 hat es kein anderes Referendum mehr gegeben. Aber das ist wiederum eine politische Frage, es gibt also verständlicherweise verschiedene Gesichtspunkte. Aber ich hatte das Gefühl, dass das Gefühl von Frieden, das ich gefunden hatte, dazu beigetragen hat und immer noch dazu beiträgt, die französisch-englischen Beziehungen zu harmonisieren.

Ich frage mich, wie Sie sich durch die politische Dimension des Gebets, das Sie beschreiben, hindurch finden, denn Leser könnten zu diesem Punkt sagen: „Ich bin für die Todesstrafe." Oder sie könnten sagen: „Ich bin für die Abspaltung."

Nun, Gebet bedeutet nicht, zu Gott zu gehen und zu sagen: „Ich will, dass dies so geschieht. Lass es so geschehen, Gott." Also war ich sehr vorsichtig, dass ich bei den Beispielen, von denen ich sprach, nicht versucht war, auf diese Weise zu beten. Gebet ist in der Tat das Gegenteil. Es beinhaltet, dass wir unsere menschlichen Bewertungen aufgeben. Es verlangt, dass wir unseren begrenzten menschlichen Willen aufgeben und uns stattdessen Gott überlassen. Gebet bedeutet, uns und andere der Fürsorge Gottes zu übergeben.

In gewisser Weise geht es im Gebet darum zu bekräftigen, dass das unsterbliche Gemüt alles im menschlichen Bereich regiert. Im Interesse des Wandgemäldes der Gesellschaft bekräftigen, dass nur Weisheit, nur die höchste Form dessen, wie man einer bestimmten Lage begegnen kann, alle Entschlüsse und Handlungen der beteiligten Menschen regieren kann.

Ja. Jesus hat uns im Garten von Gethsemane gezeigt, wie wir beten sollen, als er sagte: „Doch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe!" (Lukas 22) Er vertraute darauf, dass Gottes Wille immer harmonisch ist und jeden einbezieht.

Weil wir über den beständigen, allumfassenden Willen der Liebe sprechen, den Willen der göttlichen Weisheit, den Willen der göttlichen Gerechtigkeit, den Willen des göttlichen Prinzips–ein sechstes Synonym für Gott. Wir sprechen über den Willen der göttlichen Barmherzigkeit, des göttlichen Fortschritts und der Erleuchtung und den Willen der göttlichen Pflege, die den Einzelnen und die Gesellschaften erhebt und inspiriert und segnet. Wenn wir dabei bleiben–wem sollte es nicht recht sein, dass dieser Wille den Tag erobert?

So ist es. Eines der Dinge, die ich am christlichen Glauben am meisten liebe, ist dass er auf individuelle Erlösung ausgerichtet ist, aber auch auf Erlösung, die auf die ganze Welt ausgerichtet ist. Es ist also nicht genug für uns, irgendwie die Dinge nur für uns selbst auszuarbeiten. Wir sind berufen, der Welt Erlösung zu bringen. Und das ist die Berufung, die ich im Neuen Testament ausgedrückt sehe: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur." (Markus 16) Das Neue Testament sagt uns nicht, wir sollen die Harmonie des Himmels in uns selber finden und dann aufhören. Es gibt eine strenge Richtung sowohl im Alten wie im Neuen Testament, dass jeder eine Verpflichtung gegenüber jedem anderen Menschen auf diesem Planeten hat.

Das erinnert mich an den barmherzigen Samariter – den Helden des Gleichnisses, das Jesus erzählte, um die Berufung, unserem Nächsten zu helfen, zu illustrieren. (siehe Lukas 10) Jesus lehrte, dass der Christusgeist bedeutet, anderen zu helfen, und dass es nicht in Ordnung ist, nur uns selbst zu helfen. Es reicht nicht, nur uns zu erheben, wenn es anderen schlecht geht, weil wir alle Brüder und Schwestern sind. Und natürlich lebte Jesus uns dieses Verhalten vor. Er bewegte sich im Einklang mit Wahrheit–ein siebtes Synonym für Gott, und deshalb ein Synonym für Liebe. Er half den Menschen und heilte sie, wo immer er hinging. Was bedeuter, wenn wir uns als Christi Nachfolger bezeichnen, müssen wir das Gleiche tun oder wir sind Heuchler.

Ja, genauso ist es. Der Geist des barmherzigen Samariters ist der Kern alles dessen, worüber wir gesprochen haben. Und dieser barmherzige Samaritergeist ist der Kern der Christlichen Wissenschaft. Die Christliche Wissenschaft inspiriert grenzenloses Wohlwollen für die Menschen – und mehr noch, die Christliche Wissenschaft hilft den Menschen, Gutes durch dieses Wohlwollen zu schaffen, auf effektive, auf Gebet beruhende Weise.

Ich bin als Christ verpflichtet, den Einzelnen im Licht dieser universalen Wissenschaft des Seins zu sehen. Und so Heilung zu bewirken.

Mir gefällt der Gedanke sehr gut, dass die Christliche Wissenschaft das Gesetz Gottes ist – das Gesetz der Liebe – das in „unser Herz" geschrieben ist, wie es bei Jeremia steht (Kapitel 31). Und dieses göttliche Gesetz ist universal. Es ist also in das Herz eines jeden Menschen geschreiben. Es ist in das Herz eines jeden Menschen in Kamerun, Chile, Indien und Pakistan geschreiben – Orte, an denen ich Vorträge gehalten habe. Es ist in das Herz eines jeden Menschen überall geschrieben. Bereit offenbart zu werden.

Also das Verlangen danach, liebevoll zu sein, das Verlangen danach, selbstlos zu sein, das Verlangen danach, an einen anderen zu denken, bevor wir an uns selbst denken, sogar das klare metaphysische Verständnis, das die Christliche Wissenschaft uns gibt–ich glaube, dass all dies rechtmäßig zu uns gehört, genau wie Streifen zu einem Tiger gehören. Ein Teil der geistigen Definition von Mensch in Wissenschaft und Gesundheit beschreibt den Menschen als „die vollständige Darstellung des Gemüts" (S. 591). Und es ist meine Verantwortung als barmherziger Samariter, mich und andere so zu sehen–als vollständige Darstellung des Gemüts. Ich habe das Gefühl, dass es im Christentum zu oft darum ging, jemanden zu bekehren oder zu überzeugen, etwas auf eine bestimmte Weise zu tun. Dabei sollte es beim Christentum mehr darum gehen, dass ich selber die Disziplin und die Demut habe, das Göttliche in meinem Bruder zu sehen; darum, dass ich die Disziplin und die Demut habe, das Gute in einer Schwester oder in einem Nachbarn zu sehen, selbst wenn dieser Mensch oberflächlich gesehen gar nicht gut zu sein scheint. Ich bin als Christ verpflichtet, den Einzelnen im Licht dieser universalen Wissenschaft des Seins zu sehen. Und so Heilung zu bewirken.

Martin Luther King, Jr., der Liebe predigte und Liebe lebte, hatte in seinem Vortrag zum Friedensnobelpreis diesen Satz des britischen Historikers Arnold Toynbee eingebaut: „Liebe ist die ultimative Kraft, die sich für die rettende Wahl des Lebens und des Guten und gegen die verdammende Wahl des Todes und des Bösen einsetzt. Deshalb muss die erste Hoffnung in unserem Inventar die Hoffnug sein, dass Liebe das letzte Wort haben wird."

Das ist sehr bewegend, nicht wahr? Ja, und durch Gebet können wir bekräftigen–tiefgehend, ernsthaft und erwartungsvoll bekräftigen – dass Liebe das letzte Wort hat. Und wir können dies Gebet ehren durch die Art, wie wir leben. In der Tat hat die göttliche Liebe, Gott, das einzige Wort – das erste und das letzte Wort.

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