Dankbarkeit ist ein großes Thema in der Christlichen Wissenschaft. Sobald man beginnt, sich mit dieser Wissenschaft zu beschäftigen, begegnet man der Aufforderung zur Dankbarkeit. Ob in der Sonntagschule, im Elementarunterricht oder in der Zusammenarbeit mit dem Praktiker, immer wieder wird man dazu animiert, dankbar zu sein. Zunächst mag einen das vielleicht ein wenig überraschen — so war es zumindest bei mir–, dann aber merkt man schnell, dass es einerseits sozusagen fair ist, Danke zu sagen, wenn man etwas bekommen hat, zumal wenn man zuvor ausdrücklich darum gebeten (gebetet) hat. Zum anderen bewirkt die Dankbarkeit auch ein sehr angenehm sanftes und wohltuendes Gefühl.
Und dennoch fragt Mary Baker Eddy in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift auf Seite 3, ob wir wirklich dankbar sind. Warum wohl?
In meiner Praxis erlebe ich zuweilen Folgendes: Jemand ruft mich an und bittet um gebetvolle Unterstützung. Wir arbeiten bzw. beten gemeinsam, aber die Sache scheint sich nicht zu bewegen. Dann bitte ich den Hilfesuchenden, weniger auf das Problem zu schauen und sich statt dessen mehr des Guten bewusst zu sein – und wenn ich dann sage, er solle doch mal überlegen, wofür er dankbar sein könne und ob er sich das nicht mal alles aufschreiben möchte, dann kann es geschehen, dass ich etwas höre wie:
„Na klar, bin ich dankbar. Ich weiß schon, Dankbarkeit ist wichtig – und das mit dem Aufschreiben, das habe ich auch schon mal gemacht. Das war damals wirklich ganz interessant und hilfreich, aberwie gesagt, ich habe es schon mal gemacht."
Ich frage dann schon mal nach, ob sich seit „damals" keine weiteren Gründe fürs Danken ergeben haben. Außerdem kann es sehr gut sein, dass man heute für das eine oder andere sogar eine tiefere Dankbarkeit empfindet als damals.
„Dankbarkeit ist Reichtum" heißt es in einem unserer Kirchenlieder. Das großartige an diesem Reichtum ist, dass er sich durch die Benutzung nicht aufbraucht, sondern vermehrt! Wer oder was aber hindert uns daran, auf diese „unerschöpfliche Quelle" zurückzugreifen? Mrs. Eddy nannte dieses Phänomen „Mechanismus des menschlichen Denkens." Dieser Mechanismus ist sehr subtil und leider sind seine Auswirkungen nie zu unseren Gunsten. Seien wir also wachsam.
Mary Baker Eddy fragt: „Sind wir wirklich dankbar für das schon empfangene Gute?" Wenn wir diesen Satz aufmerksam lesen, dann fällt das Wort „wirklich?" ins Auge. Sind wir es wirklich? Für alles?
Sehr häufig höre ich: „Ach, wissen Sie, ich habe immer und immer wieder mit dem gleichen Problem zu tun, es ist einfach schrecklich. Können Sie mir bitte mit ein paar neuen Gedenken weiterhelfen? Wenn dieser Wunsch an mich herangetragen wird, dann denke ich manchmal: Warum eigentlich? Der Irrtum ist wirklich nicht sehr einfallsreich und wenn ich doch eine erfolgreiche Methode gefunden habe, mit der ich ihm begegnen kann, warum sollte ich sie dann ändren? Ja, und wenn ich das Gefühl habe, dass diese Methode im Augenblick nicht sehr erfolgreich ist, ist es dann nicht die bessere Idee, zunächst einmal die Intensität der bewährten Methode zu verstärken? Mir sozusagen eine stärke Dosis des Mittels (in dem Fall der Dankbarkeit) zu verabreichen?
Dann höre ich manchmal ein müdes: „Ach, ja, schon...ich bin ja auch dankbar, das ist doch klar, aber hier ist jetzt ein Problem, das ich erst mal überwinden muss und dann..."Aber stimmt diese Reihenfolge wirklich? Mary Baker Eddy fragt: „Sind wir wirklich dankbar für das schon empfangene Gute?" Wenn wir diesen Satz aufmerksam lesen, dann fällt das Wort „wirklich" ins Auge. Sind wir es wirklich? Für alles?
Eine kurze lllustration: Ich war mit meinem Mann in eine Großstadt zum Einkaufen gefahren. Wir hatten verschiedene Dinge zu erledigen und mussten deshalb lange Wege in der Innenstadt zurücklegen, sozusagen „von Pontius zu Pilatus" laufen. Wir haben unsere Erledigungen gemacht und waren im Großen und Ganzen erfolgreich. Nach etlichen Stunden saßen wir dann recht zufrieden wieder in unserm Auto und fuhren nach Hause.
Auf der Heimfahrt fiel mir ein, dass es eine Zeit gegeben hat, in der mir meine Füße oft so weh getan haben, dass jeder Schritt eine Qual war. Wenn ich damals solche Wege zu gehen hatte, dann dehnten sie sich in meiner Vorstellung schon vorher zu unübersehbaren Herausforderungen aus. Ich bin immer mit großer Beharrlichkeit dagegen „angegangen" und habe es auch immer mit viel Gebet überwunden und jedes Mal war ich sehr dankbar. Wirklich dankbar. Das kann ich mit Fug und Recht sagen.
Und nun fiel mir plötzlich ein, dass das schon sehr lange zurückliegt und dass dieser Anspruch von schmerzenden Füßen völlig verschwunden war. Ich hatte ganz und gar aufgehört, daran zu denken. An diesem Tag hatte ich stundenlanges „Pflastertreten" hinter mich gebracht, ohne ein einziges Mal an meine Füße zu denken! Nun war ich „wirklich" dankbar.
Das begrenzte Denken hat die Angewohnheit, das Schlechte zu sehen und zu vergrößern. Unsere Aufgabe ist es, dieses Denkmuster zu durchbrechen und das Gute zu sehen und das zu vergrößern.
Manchmal kommt es uns komisch vor, für etwas zu danken, was doch ganz selbstverständlich ist. Aber ist es wirklich selbstverständlich? Mir fielen auf dieser Heimfahrt noch eine ganze Reihe anderer Dinge ein, für die ich wirklich dankbar sein konnte. Und ich habe in diesem Zusammenhang eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Wir erkennen das Gute leider oft erst, wenn wir zuvor etwas Schlechtes überwunden haben, wenn wir es im direkten Vergleich erleben.
Wenn zum Beispiel ein Schmerz vergangen ist, dann sind wir aufrichtig dankbar für die momentane Schmerzfreiheit, die wir in diesem Augenblick auch ganz intensiv spüren. Oder wenn sich ein schwelendes zwischenmenschliches Problem aufgelöst hat, dann sind wir sehr dankbar für die Harmonie, die sich jetzt so angenehm anfühlt.
Und was geschieht danach mit der Dankbarkeit und der Anerkennung des Guten?
Nun, in den meisten Fällen verliert sich das im Einerlei des „täglichen Tun und Treibens." Es ist ja jetzt auch alles gut und nun hat man halt noch anderes zu bewältigen, nicht wahr?
Aber ist das richtig? Ist das die wirkliche Dankbarkeit? Ist nur das gut, was wir empfinden, wenn sich zuvor etwas Schlechtes aufgelöst hat? Das kann eigentlich nicht sein, wenn wir akzeptieren, dass Gott das Gute ist. Denn dann muss das Gute dauerhaft und immer-gegenwärtig sein. Dann haben wir eigentlich immer Grund zur Dankbarkeit. Immer!
Das begrenzte Denken hat die Angewohnheit, das Schlechte zu sehen und zu vergrößern. Unsere Aufgabe ist es, dieses Denkmuster zu durchbrechen und das Gute zu sehen und das zu vergrößern. Das ist nicht nur eine Pflicht, die wir als Christliche Wissenschaftler haben, sondern es ist auch eine ganz wunderbare Möglichkeit, uns selbst in einen dauerhaften Zustand der Harmonie zu versetzen – und darin zu verweilen und zu bleiben.
Das Fazit aus all diesen Überlegungen ist für mich, dass das Gute keine Selbstverständlichkeit ist, sondern der Ausdruck Gottes. Und Dankbarkeit ist die Anerkennung des Guten. Die Anerkennung Gottes.
