Es war der Abend vor meiner Prüfung in Vertragsrecht, und ich saß völlig verzweifelt in meinem Zimmer auf dem Boden. Ich wusste, dass ich nicht auf die Prüfung vorbereitet war, und fand, dass Büffeln in letzter Minute nichts bringen würde.
Als im Semester davor die Noten verteilt wurden, war ich schockiert gewesen zu sehen, dass ich eine der schlechtesten bekommen hatte. Dieser Kurs geht über zwei Semester, und die jeweiligen Noten setzen sich ausschließlich aus den beiden Abschlussprüfungen zusammen. Nach dem Debakel im Herbstsemester hatte ich mir vorgenommen, im Frühjahr besonders hart zu arbeiten. Doch hier saß ich nun am Abend vor der Prüfung und hatte nichts Besonderes getan, um mich vorzubereiten. Ich war in Panik und schämte mich. Voller Wut auf mich selbst dachte ich, dass ich es wohl nicht wert war, Jura zu studieren.
Ich hatte mein Leben lang die Sonntagsschule der Christlichen Wissenschaft besucht, aber zu dem Zeitpunkt spielte die Christliche Wissenschaft keine große Rolle in meinem Leben. Und doch kam ich in dem Moment zu dem Schluss, dass nur Beten helfen konnte. Ich schlug wahllos die Bibel auf und sah diese Worte: „Herr, auf dich traue ich, lass mich niemals beschämt werden; errette mich durch deine Gerechtigkeit!“ Meine Furcht ließ sofort nach und ich las die nächsten Verse, und zwar: „Neige dein Ohr zu mir, hilf mir doch bald! Sei mir ein starker Fels und eine Burg, indem du mir hilfst! ... wegen deines Namens führe und leite mich. Befreie mich doch aus dem Netz, das sie mir gelegt haben; denn du bist meine Stärke. In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott“ (Psalm 31:2–6).
Ich war tief beeindruckt! Die Tatsache, dass ich sofort auf diese Stelle gestoßen war, gab mir das Gefühl, direkt mit Gott zu kommunizieren. Mein Denken wurde von Gottes Liebe zu mir erfüllt, und ein tiefes Gefühl von Frieden breitete sich aus. Schuldgefühle und Selbstverdammung verschwanden völlig. Ich verstand, dass Gott, das einzige Gemüt, die Quelle aller Intelligenz ist, und Er würde mich durch die Prüfung führen und leiten. Ich ging mit dem Gefühl ins Bett, in Gottes Liebe geborgen zu sein.
Am folgenden Morgen hatte ich ein paar Stunden Zeit, um mich auf die Prüfung am Nachmittag vorzubereiten. Mir kam der Gedanke, einige Notizen zu lesen, die ich ganz vergessen hatte. Dann ging ich in die Bibliothek der Juristischen Fakultät, um weiter zu lernen, und nahm auch meine Bibel mit. Während ich dort saß, fragte mich ein Student, ob ich die Beispielfragen und die Antworten darauf in einem unserer Lehrbücher gesehen hätte. Ich hatte keine Ahnung von deren Existenz gehabt und vertiefte mich nun in sie.
Kurz vor der Prüfung las ich die Verse aus dem Psalm noch einmal. Trotz meiner anfänglichen Nervosität war ich mir der Liebe Gottes sicher. Ich wusste, dass Gott mir nicht böse war und sich meiner nicht schämte.
Während der Prüfung waren mir die Beispielfragen und -antworten, die ich gerade gelesen hatte, eine große Hilfe. Außerdem wurde ein Essay verlangt – der mit einem Drittel gewichtet war –, und ich war völlig darauf vorbereitet, weil ich am Morgen genau diese Notizen gelesen hatte. Sie hatten alles enthalten, was ich für den Essay brauchte. Einige Wochen später erfuhr ich, dass ich die Prüfung mit Gut bestanden hatte. Ich war überglücklich und sehr dankbar für Gottes Güte.
Diese Erfahrung erneuerte meine Hingabe an die Christliche Wissenschaft und änderte mein Konzept von Intelligenz völlig. Ich hatte das Jurastudium mit der Erwartung begonnen, dass ich sehr gute Leistungen erbringen würde – bis dahin waren meine Prüfungen und Referate alle sehr hoch benotet worden. Ich war sehr stolz auf meine eigene Intelligenz, und meine Zensuren und akademischen Errungenschaften machten meinen Selbstwert aus. Das änderte sich, als ich das Jurastudium anfing. Plötzlich war ich nicht mehr die Klügste in der Klasse und kämpfte mit niedrigem Selbstwertgefühl. Mein Stolz war verletzt und ich wollte gern wieder wegen meiner Intelligenz geschätzt werden. Doch die Heilung am Abend vor der Prüfung in Vertragsrecht lehrte mich, dass ich meinen Glauben an eine persönliche Intelligenz loslassen musste, denn es gibt nur ein Gemüt, und alle intelligenten Ideen gehen von diesem einen Gemüt aus.
Von da an ging ich auch völlig anders an Prüfungen heran. Ich erkannte, dass jede Prüfung eine Gelegenheit ist, Gottes Eigenschaften auszudrücken und Dank zu sagen für alles, was Er für uns tut. Vor jeder Prüfung betete ich demütig zu meinem Vater-Mutter-Gott, und ich war weniger an persönlicher Glorifizierung interessiert. Außerdem hörte ich auf, die Prüfungsvorbereitungen als Belastung zu sehen, sondern zielte darauf ab, Möglichkeiten zu erkennen, um jedes der sieben Synonyme für Gott auf Seite 465 von Mary Baker Eddys Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift auszudrücken:Gemüt, Geist, Seele, Prinzip, Leben, Wahrheit und Liebe. Diese Vergeistigung des Denkens erwies sich als großer Segen. Meine Noten und mein Studienverhalten verbesserten sich, und mehrere Kommilitonen bemerkten, wie gut ich die Fachinhalte verstand.
Diese neue Sicht von Intelligenz und Prüfungsvorbereitungen erweisen sich auch in meiner juristischen Laufbahn als nützlich. Ich wusste von Anfang an, dass ich bei jeder Verhandlung Gott diene und Seine gewaltigen Qualitäten ausdrücke. Und mir war klar, dass Er mich auf jedem Schritt durch teilweise komplexe und unüberschaubare Fälle begleitet.
In allem, was wir tun, ob groß oder klein, können wir Gott dienen und Ihm für Seine Güte danken. Selbst wenn wir Fehler gemacht haben, wird Gott uns liebevoll zum rechten Weg zurückgeleiten, wo wir die ununterbrochene Güte erleben, die Er uns bereitet hat.
Emily Wickham
