Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

Göttliche Führung.

Aus der Mai 1905-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Das Verlangen zu wissen, was die göttliche Bestimmung für das Menschengeschlecht ist, hat immer im Menschenherzen gelebt. Wer nach dem höchsten Ideal strebt, sehnt sich, über den Bereich unserer begrenzten Wahrnehmung hinauszublicken, und Gottes Willen betreffs des Menschen und des Weltalls zu erkennen. Unter christlichen wie auch nichtchristlichen Völkern finden sich unzählige verschiedene Anschauungen über das Wesen, die Gesetze und den Willen Gottes; aber allen Menschen, ob aus Hunger nach höheren Dingen oder aus bloßer intellektueller Neugierde, ist der eine Wunsch gemeinsam, mehr über das zu wissen, was die Welt erschafft und regiert, als durch die fünf Sinne zu erkennen ist.

Die Tatsache, daß der Mensch und das Universum existieren, ist an sich schon ein Beweis dafür, daß das Dasein und Leben des Geschöpfes auf seiner Verbindung mit dem Schöpfer beruht, aber der Weg zu einem einfachen, ungehinderten Zugang zum Vater hat bis jetzt keine Theorie entdeckt. Der Apostel Paulus sagt: „Denn wir wissen, daß alle Kreatur sehnet sich mit uns, und ängstet sich noch immerdar ... nach der Kindschaft, und warten auf unsers Leibes Erlösung.” Die Menschen haben vergeblich mit dem Verstande nach einer Lösung dieser Frage gesucht, und sie müssen ihre Blicke in eine ganz andere Richtung lenken, um die einfachen Schritte zu wahrer Erkenntnis zu erlernen. Jesus beschrieb das geistige Verhältnis, welches zwischen jedem Menschen und seinem Schöpfer besteht, wenn er sagte: „So jemand will des Willen thun, der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei.” Ferner war sein ganzes Leben, sein treuer, stetiger Gehorsam gegen den Willen des Vaters, ein willkommenes Beispiel und Darstellung dieses Verhältnisses. Hätte er dem, was er als Gottes Willen erkannte, nicht gehorcht, so hätte er den Weg der Erkenntnis verfehlt.

Heute sagen die Menschen wohl häufig: „In unserem Leben fehlt so vieles an der Vollkommenheit, unsere sittlichen Maßstäbe gehen so weit auseinander, wir sind so unzählig vielen verschiedenen Einflüssen unterworfen; wir sind in solch selbstsüchtige Methoden verwickelt, so fest an irdische Rücksichten gefesselt, daß es unmöglich scheint, den Willen Gottes wirklich zu erkennen.” Dies mag richtig sein, aber gibt es wohl einen Menschen, der nicht weiß, welche Handlungsweise recht und welche unrecht ist, wenn er in seinen täglichen Geschäften die Wahl hat? Er mag den auf die ganze Menschheit sich erstreckenden Willen Gottes nicht begreifen, jedoch kann er sagen, weshalb ein gewisser Schritt, den er heute tut, sittlich besser ist, als ein anderer; er kennt den Unterschied zwischen Ehrlichkeit und Unehrlichkeit, zwischen Selbstsucht und Selbstlosigkeit in seinem geschäftlichen sowohl wie in seinem häuslichen Leben. Mit dieser Einsicht kann er den besseren Weg wählen, und durch solchen Gehorsam wird er zu der Erkenntnis von einem noch höheren Guten gelangen. Selbst wenn er in der Mitte von Sünde und Verderbtheit lebt, so kann er doch wenigstens in den Einzelheiten der täglichen Erfahrung immer das geringere Übel wählen, und damit tut er einen direkten Schritt vorwärts auf dem Wege zu schließlicher Vollkommenheit. Täglicher, stündlicher Gehorsam gegen das höchste Gute, das ein Mensch kennt, bringt ihn zu einer besseren Erkenntnis von den Anforderungen der Gerechtigkeit. Wenn jeder Versuchung einem niederen Triebe oder Motive zu folgen ein unerbittliches: „Heb dich weg von mir, Satan,” entgegengehalten wird, so wird Denken und Leben sich zu einer innigeren Vereinigung mit allem Guten und Reinen erheben. Man mag es nun Gewissen, Charakter, geistiges Empfindungsvermögen oder irgend etwas anderes nennen, so viel ist sicher, daß der Antrieb, der den Menschen bewegt, sich in jedem Falle von dem größeren Übel abzuwenden, um Frieden im Gemüte zu finden — aus der ewigen Forderung nach sittlicher Lauterkeit entspringt, und so schwach er auch wahrgenommen werden mag, nichts geringeres ist, als die tatsächliche göttliche Führung.

Henry Van Dyke beschreibt in seinem Werke „Schiffe und Häfen” diese Tätigkeit der göttlichen Führung folgendermaßen: „Ein Charakter geistiger Natur wird von Gott beherrscht und ist höheren Gesetzen unterworfen; er tut nicht seinen eigenen Willen, sondern den eines anderen, und strebt nach den Zielen der Tugend, der Heiligkeit und selbstloser Liebe. Er mag viele innere Kämpfe, viele Niederlagen, bittere Opfer und Enttäuschungen durchzumachen haben. Er mag weniger friedevoll, regelrecht und mit sich selbst zufrieden erscheinen, als mancher, der heimlich dem anderen Ideal folgt. Mancher Heilige scheint in seiner Entwicklung durch Fehler und innere Konflikte, von denen der glatte, vorsichtige, angesehene Sinnenmensch frei ist, entstellt zu sein. Der Unterschied der beiden liegt nicht in der Stellung, vielmehr in der Richtung ihrer Entwicklung. Der eine, so hoch er auch stehen mag, bewegt sich abwärts; der andere, so niedrig er auch anfangen mag, bewegt sich aufwärts.”

So braucht der Mensch also nicht auf ein höheres Licht, als das, was ihm heute zu teil wird, zu warten, um die göttliche Führung zu finden und ihr zu gehorchen. Er kann, ohne sich darum zu sorgen, wie viel oder wie wenig Erkenntnis er besitzt, heute anfangen, seinen Lebenswandel mit dem Besten, das ihm wirklich bekannt ist, in Einklang zu bringen. Hierdurch tut er den nächsten und allein möglichen Schritt zu einer höheren geistigen Stufe, wo das Wesen des göttlichen Geistes besser erkannt werden kann. Einer Frau, deren christlicher Lebenswandel großen Segen in einer orthodoxen Gemeinde gewirkt hatte, wurde einst gesagt: „O, wenn ich nur Ihren Glauben hätte! Ich würde solch eine Freude haben an all dem Guten, das ich tun, und all dem Trost, den ich anderen bringen könnte.” Sie erwiderte sofort: „Warum machen Sie nicht Gebrauch von dem, was Sie haben? Das ist Ihre Aufgabe für heute.”

Es hat einmal jemand gesagt: „Gott läßt uns immer genug Licht, um einen Schritt zu tun. Höre nicht auf, vorwärts zu gehen, so lange etwas Licht wahrzunehmen ist.” Überblicke das Feld, wie es sich dir heute darbietet. Ist nicht Licht genug vorhanden, um einen Schritt zu tun? Sieh dir die Aufgaben deiner Nebenmenschen, — der Welt im großen, an. Ist irgendwo, in irgend einer Erfahrung ein Kampf, eine Entwicklung, oder ein Unglück zu finden, bei denen nicht Licht genug für einen Schritt vorhanden wäre? Der Grund unserer Sorge liegt darin, daß wir nach hinreichend Licht verlangen, um viele Schritte vor uns sehen zu können; wir wollen gleich das Ende der Reise oder die völlige Lösung der Aufgabe erblicken. Wir vergessen, daß wir immer nur einen Schritt zur Zeit tun können, und daß wir in Wirklichkeit weiter keines Lichtes, als was für diesen Schritt ausreicht, bedürfen. Es ist fraglich, ob Jesus im Alter von zwölf Jahren, im bewußten Besitze alles des Lichtes war, welches er nötig hatte, um die Kreuzigung siegreich zu überstehen, jedoch hatte er genug, um die Gelehrten im Tempel zu beschämen. Im Laufe der Jahre sammelte er Kraft und Einsicht, und in der Stunde der Kreuzigung war das Licht, das er besaß, hinreichend klar, um ihn sicher zur Auferstehung hindurch zu führen. Unser großer Meister, welcher seinen Nachfolgern gebot: „Sorget nicht für den andern Morgen,” wußte sicherlich, daß der Gehorsam von heute für den folgenden Tag Sorge trägt. Er erkannte deutlich, daß unsere Aufgaben sich vereinfachen, daß Unruhe und Verwirrung aufhören würden, wenn wir uns mit genügend Licht für einen Schritt zufrieden geben und unseren Gehorsam im Tun dieses Schrittes zeigen. Solch ein Gemüt verlangt nicht ungeduldig nach großen Taten in der Zukunft, sondern wächst denselben durch das ruhige Verrichten der Arbeit von heute geduldig und zufrieden entgegen.

Ist dies nicht offenbar die Art und Weise, in welcher Mrs. Eddy die Schwelle erreichte, wo sie die in ihrem Buche „Science and Health“ offenbarte, Entdeckung machte? In ihrer Kindheit begriff sie nicht alles, was sie später über das Verhältnis von Gott zu Seinem Menschen und zu Seinem Weltall entdeckte. Im reiferen Alter rang sie sich durch Furcht, Verlust und Kummer hindurch, ohne das Ziel der Wanderung sehen zu können. Zu allen Zeiten jedoch folgte sie gehorsam dem höchsten Licht, das ihr zu teil wurde, und hierdurch wurde der Weg für die weiteren Schritte frei. Solch ein treues, standhaftes Fortschreiten mußte sie notwendigerweise auf die geistige Höhe bringen, auf welcher ihrem geklärten, geistigen Auge die positive Erkenntnis der Wahrheit selber zu teil wurde. Im Besitz der offenbarten Wahrheit fühlte sie jetzt die Notwendigkeit zu wissen, wie sie dieselbe der Welt am besten verkünden würde, sie bedurfte der Weisheit im Fördern und Beschützen einer Sache, welche ihren Anhängern solche freudigen Resultate brachte, daß sie häufig zu ungestüm und eifrig in ihren Bestrebungen derselben zu helfen waren; sie bedurfte unermüdlicher Treue und unendlicher Geduld in ihrer Arbeit für den Einzelnen wie für die Gesamtheit. Ihr Leben ist ein unzweifelhafter Beweis dafür, daß ihr immer auf der ganzen langen Wanderung genug Licht zu teil wurde, um einen Schritt zu tun, und durch ihre Handlungen wissen wir, daß der Schritt immer in Glauben und Gehorsam getan worden ist.

Die Welt ist voll von solchen, welche ihre Blicke auf eine höhere Gerechtigkeit gerichtet halten. Sie werden sicherlich auf Pfade der Freude geleitet werden, denn Christian Science wirft ein so klares Licht auf das Lebenswerk unseres Meisters, daß allen denen, welche Verlangen danach tragen, das erfolgreiche Forschen nach dem wahren Gehorsam gegen den Christus offen steht, wodurch sie von dem Makel der Sünde, den Schmerzen der Krankheit, und dem Stachel des Todes befreit werden. John Henry Newman hat gesagt:

„Freundliches Licht, durch Trübsal, Not und Sturm
Führe Du mich!
Schwarz ist die Nacht, ich bin der Heimat fern, —
Führe Du mich!
Sei Du mein Schutz! — Nicht will ich sehen das Ziel,
Nur einen Schritt; — gern ich Dir folgen will.”

Wenn der Schüler von Christian Science die sonnenerhellten Pfade, auf denen er den Sieg über das Böse erringen kann, vor sich sieht, so wird er wohl manchmal ungeduldig, weil er nur geringe und langsame Fortschritte nach dem ersehnten Ziel hin zu machen scheint. Seine Füße sind derart von den unzähligen Trieben des materiellen Selbst beschwert, die Fähigkeit der Selbstprüfung ist so unentwickelt, daß es ihm oft mißlingt das hindernde Element sofort zu erkennen und auszutreiben. Dann beklagt er den Mangel seines Verständnisses, seine Unfähigkeit das Ziel zu erreichen, und verfällt in eine Selbstverurteilung, welche zu der Last, die ihn drückt, noch Mutlosigkeit hinzufügt. Auf solch einem Punkte angelangt, wird man vielleicht versucht zu glauben, daß man von der göttlichen Führung weit abgeirrt ist, und hier ist es eine große Hilfe, wenn man sich gewisser Dinge erinnert. Ein Trost läßt sich darin finden, wenn wir erkennen, daß wir gerade das Wichtigste und Nötigste im Leben dann lernen, wenn uns nicht sofortige Erlösung zu teil wird. Anhaltendes Leiden wird den analytischen Gedanken zu einer Tiefe der Selbsterkenntnis drängen, die sonst unsondiert bliebe, und wer bereit ist, der ganzen Frage der Erlösung in ihrer weitesten Bedeutung ins Antlitz zu schauen, der wird immer deutlicher erkennen, daß dieselbe nicht durch selbstsüchtige Methoden oder durch einen menschlichen auf Bequemlichkeit oder Wohlergehen abzielenden Plan gelöst werden kann. Das, was den Fortschritt hindert, wird fortfahren dies zu tun, bis sein selbstsüchtiger Charakter erkannt und durch geduldiges Überwinden entwaffnet worden ist. Nur wenn der Schüler die Pflichten des heutigen Tages erfüllt und aus seinem Pfade die das geistige Wachstum hindernden menschlichen Eigenschaften des Geistes und Herzens fortschafft, kann er eine deutlichere Enthüllung von Gottes Absichten für ihn gewinnen und Frieden des Herzens erlangen. Die Pfade, welche in den Bereich der Selbstlosigkeit führen, sind nicht selbsterwählt, sondern sind die Wege Gottes.

Samuel Longfellow sagt:

„Du führst mich auf ungesuchten Pfaden
Und wandelst Trauern um zu Lob und Preis.”

Solche Geduld in der Trübsal bedeutet jedoch durchaus nicht, daß man sich dem Bösen fügen, oder seinen Anforderungen nachgeben soll. Aus der jüdischen Geschichte wissen wir, daß Daniel zu der Zeit, wo er sich als Opfer einer Verschwörung gegen sein Leben wußte, öffentlich zu seinem Gott um Rettung betete, trotzdem dieses Gebet gerade dem Bösen den Anlaß gab ihn zu binden. Vielleicht mag Daniel, der die drohende Gefahr vorhersah, in seinen ersten Gebeten gehofft haben, vor der Löwengrube bewahrt zu bleiben; er mag gefühlt haben, daß die rechte Beweisführung göttlicher Hilfsbereitschaft die Absicht seiner Feinde sofort völlig vereiteln würde. So sind auch wir in der gleichen Lage wohl geneigt, uns einen Beweis von Gottes Macht auszumalen, welcher die bösen Absichten, schon ehe sie zur Reife kommen, vernichten würde. Wir wollen lieber über die Löwengrube hin- oder daran vorbeigehen, anstatt durch dieselbe hindurch, und zuweilen sehen wir wohl gar mit zweifelnden Blicken auf einen anderen Daniel, dessen Schritte ihn in die Höhle geführt haben, und halten seine Arbeit für einen Mißerfolg, weil wir die geistigen Vorgänge in seinem Innern nicht kennen und die mit dem Morgen erscheinende Errettung nicht sehen. Wir wünschen uns alle zweifelsohne eine schnelle Erlösung, welche uns die Erfahrung in der Höhle, wo wir nach früheren Anschauungen sicher verschlungen würden, völlig erspart. Könnten wir jedoch solch einen Plan für unsere Erlösung machen, würden wir dann nicht gänzlich der wunderbaren freudigen Erfahrung beraubt werden, wie im Moment der äußersten Gefahr, der Gewalt der Löwen völlig überlassen, der Rachen derselben zugehalten wird, und sie selber unfähig sind, dem recht Denkenden Schaden zuzufügen? Wir können versichert sein, daß Daniel nur dadurch, daß er den Löwen gerade ins Antlitz schaute, die Kraft gewann, welche ihm in ihrer Gegenwart sicheren Schutz gewährte.

Ebenso erklärten die drei jüdischen Männer, denen mit dem feurigen Ofen gedroht wurde, mit wahrem Heldenmute: „Unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl erretten aus dem glühenden Ofen, dazu auch von deiner Hand erretten. Und wo er’s nicht thun will, so sollst du dennoch wissen, daß wir deine Götter nicht ehren.” Das Böse, voll Grimms, „befahl, man sollte den Ofen siebenmal heißer machen, denn man sonst zu thun pflegte,” und diese drei Männer „fielen hinab in den glühenden Ofen, wie sie gebunden waren.” aber bald sah man sie von den Fesseln befreit inmitten des Feuers ohne Schaden umhergehen, und der Sohn Gottes war bei ihnen. Es ist in der Tat wahr, daß wir manchmal die Höhle betreten und durch den feurigen Ofen gehen müssen, damit wir lernen und damit der Welt in unzweideutiger Weise die Fruchtlosigkeit menschlicher Pläne, und die Herrlichkeit der Wege Gottes gezeigt werden möge. „Denn Er ist der lebendige Gott, der ewiglich bleibet, und sein Königreich ist unvergänglich, und seine Herrschaft hat kein Ende. Er ist ein Erlöser und Nothelfer, und er thut Zeichen und Wunder, beide, im Himmel und auf Erden. Der hat Daniel von den Löwen erlöset.”

Es muß noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß diese Bibelerzählungen es durchaus nicht rechtfertigen, sich in das Böse widerstandslos zu ergeben. Diese Männer, die in der Gefangenschaft waren, suchten die Löwengrube und den feurigen Ofen nicht auf, und es ist zweifelhaft, ob sie sich darin ergaben (wenn wir den Ausdruck in seiner gewöhnlichen Bedeutung gebrauchen), in dieselbe hineinzugehen; vielmehr vertrauten sie trotz allem was sie bedrohte, fest auf Gott, und dank dieses Vertrauens erfuhren sie, wie alle Gefahren beseitigt wurden. Die Worte des Apostels Paulus: „Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem,” sind ein Verbot, dem Bösen auch nur einen Augenblick nachzugeben; und Jesu Erklärung: „Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen,” warnt uns dagegen, unnötigerweise schwierige Lagen aufzusuchen, oder sich des verheißenen Sieges im voraus zu rühmen. Aber durch die Erfahrungen der Propheten, Apostel und unseres großen Meisters ist es über jeden Zweifel hinaus bewiesen worden, daß Erlösung sicher ist für den, der mit unerschütterlichem Vertrauen seine Augen von der drohenden Gefahr fort zu einer Gegenwart, einer Macht, einem Gesetz erhebt, welche für die körperlichen Sinne nicht wahrnehmbar ist. Solch ein Vertrauen mag vielleicht nicht jede Einzelheit der kommenden Errettung offenbaren, zeigt wohl nicht einmal die Gewißheit eines glücklichen Ausganges. Die jüdischen Männer sagten: „Und wo er’s nicht thun will,” ein Beweis, daß sie nur wenige Schritte vor sich sehen konnten. Trotzdem hörten sie nicht auf, vorwärts zu gehen, noch dem Licht des gegenwärtigen Augenblicks zu trauen, noch den Schritt zu tun, den dies Licht zeigte; und durch solchen Gehorsam gegen die göttliche Führung schritten sie durch das drohende Verderben hindurch zu glorreichem Siege. Diesen wie allen, welche vertrauensvoll die Wege göttlicher Führung wandeln, ruft Friedrich Wilhelm Faber die Worte zu:

„Arbeiter Gottes, laßt sinken nicht den Mut,
Merkt auf, und lernt die Wege unseres Herrn;
Wenn hart bedrängt von grimmer Feinde Wut,
Sollt sehen ihr, daß Er war nimmer fern.

O, selig wer ein Herz sein eigen nennt,
Das selbst wenn wandernd durch das finstre Tal,
Doch unsres Gottes Nähe fühlt und kennt,
Und freudig harret der Erlösung Strahl.”

Aus diesen alten Bibelberichten können wir viel lernen. Für das Kind, welches diese Erzählungen liebt, ist Daniel ein Held; wenn jedoch mit dem kommenden Mannesalter die Bilder und Ideale der Jugend ihre Energie und Frische unter dem Druck praktischer Verantwortlichkeit verlieren, so behält diese wunderbare Geschichte oft weiter keine Bedeutung als die einer Erinnerung aus der Kinderzeit. Und doch kann der Mensch, wenn er es will, das, was uns dieselbe lehrt, täglich in seinem eigenen Kampf mit den Mächten der Sünde und Krankheit praktisch anwenden. Ein jeder trifft jeden Moment die Wahl, ob er auf nichts als seine eigene menschliche Kraft vertrauend, unter den Schwierigkeiten, die ihn bedrohen, niedersinken, oder ob er ein Daniel sein und alles der unfehlbaren Errettung durch Gott anvertrauen soll. Wenn er ein Daniel ist, so werden die Mächte des Bösen seinen Mut oft auf die Probe stellen, sich dagegen verschwören und seine Treue auf Schritt und Tritt prüfen; weil er ein Daniel ist, so wird die Krisis des Bösen nur sich selber zerstören, und er wird nicht allein einen größeren Erfolg erringen, sondern auch eine höhere Stufe des Bewußtseins gewinnen, von nichts berührt außer der neuen geistigen Bereicherung und Entfaltung, zu der er hingedrängt wurde. Ein großer und reicher Besitz ist jetzt sein, denn die läuternde Erfahrung hat ihm die „friedsame Frucht der Gerechtigkeit” gebracht, und hat seinen Begriff von dem Unendlichen so erweitert, daß er niemals wieder in gleicher Weise versucht und bedrängt werden, niemals in dieselbe Furcht und Bestürzung versetzt werden kann.

Heute gibt es viele, welche, wie vor Zeiten Daniel, angesichts von Krisen, welche für menschliche Kraft ebenso furchtbar sind, wie die Löwengrube, ihr Vertrauen auf Gott setzen. Die Bedingungen, welche zu Trennung, Unglück und Verlust zwingen, welche Sünde und unheilbare Krankheit unseren Lieben auferlegen, die Gesetzlosigkeit, welche im Reich der Arbeit und des Kapitals herrscht, das unbefriedigende Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, — all diese Dinge haben sich gegen den Frieden der Menschheit verschworen, und drohen mit geistigem, sittlichem und körperlichem Verderben. Allen denen, welche diesen Einflüssen gegenüberstehen, bringt die Botschaft von Christian Science mit ihrer Verkündigung von einer großen Offenbarung Mut und Hoffnung, und von dem Augenblick, wo sie in das Leben ihres Anhängers eintritt, gibt sie ihm immer hinreichend Licht, um einen Schritt zur Zeit in der Richtung völliger Erlösung zu tun.

Christian Science verkündet die grundlegende Wahrheit der Schöpfung: daß der unendliche Geist alles machte, was existiert, und daß es gut ist; daß die Gesetze, durch welche der Schöpfer einer guten Welt dieselbe beherrscht, die Tätigkeit des Guten erhalten und bewahren; und daß durch diese Tätigkeit des Guten die angebliche Tätigkeit des Bösen zu nichte gemacht wird. Von dieser erhabenen Grundlage aus baut sie in logischer Weise weiter und von dem Augenblick an, wo ein Menschenleben sich vor der unwiderlegbaren Logik der offenbarten Wahrheit beugt, fängt die jetzt erfolgende geistige Umwandlung an, jeden Gedanken, der an die Notwendigkeit des Bösen glaubte, durch einen Gedanken, der die Alleinherrschaft des Guten anerkennt, zu ersetzen. Dieses Licht der Offenbarung setzt uns in den Stand, Schritt für Schritt, den ersten Weg zu sehen und zu gehen, oder wir können sagen, Gedanken für Gedanken richtig zu erkennen und zu denken, und der Geist Daniels und der drei jüdischen Gefangenen wird unter den Menschen der Gegenwart wieder lebendig. Dieses Zeitalter erzeugt nicht nur einen vereinzelt dastehenden Daniel, sondern viele Daniels, und zwar aus dem Grunde, weil Mrs. Eddy durch ihre Erklärung der Wahrheit über Gottes schützendes Verhältnis zu Seinen Kindern, ein so klares Verständnis von Gottes Fürsorge möglich gemacht hat, daß Hunderte von Männern und Frauen die gerechtfertigte Überzeugung gewinnen, daß auf ein verständnisvolles und unerschütterliches Gottvertrauen stets völlige Erlösung folgen wird. Wenn der Christ von heute das göttliche Prinzip, welches das ganze Lebenswerk unseres Meisters Jesus von Nazareth beherrschte, versteht, so ist es nicht schwer ein Daniel zu sein, denn er ist der Möglichkeit der Befreiung sicher und verliert die Furcht vor dem Bösen. Für diese Aufklärung schuldet die Welt Mrs. Eddy unbegrenzte Dankbarkeit.

Die Kinder der Gefangenschaft von heute haben die verschiedenartigsten und verwickeltsten Bedingungen zu bekämpfen und zu überwinden, aber die Löwengrube und der feurige Ofen sind ein Sinnbild für jede Form des Bösen, welche unüberwindlich scheint. Die Lage auf geistigem Gebiete ist unverändert geblieben, was für eine äußere Form die Prüfung auch annehmen mag. Daniels Vertrauen auf Gott war in Gegenwart der Löwen gewiß nicht geringer, als vorher zu einer Zeit, wo er vielleicht hoffte, daß ihm diese Begegnung erspart bliebe. Das Licht, nach welchem er seine Schritte richtete, forderte, daß er dem großen Retter zu allen Zeiten vertraute, ohne die Gefahr, beziehungsweise die Sicherheit auf den verschiedenen Stufen seiner Wanderschaft in Rücksicht zu ziehen. Wenn ein im Gehorsam gegen seine höchste Erkenntnis getaner Schritt ihn nach den Löwen hinführte, so geschah dies nur deshalb, weil die darauffolgenden Schritte ihn zu einem Ort der Sicherheit bringen würden; und unter solcher Führung führte in Wirklichkeit jeder Schritt zu sicherem Zufluchtsort hin.

Ist der Daniel von heute ebenso standhaft? Oft beginnt er voll Mutes den ersten Drohungen des Irrtums entgegen zu gehen. Dann vermehren sich vielleicht, während er arbeitet und betet, die Symptome des Bösen, anstatt zu verschwinden. Da er das Ende der Aufgabe nicht sehen kann und dem glücklichen Ausgang nicht vertraut, wird er von Furcht und Zweifel ergriffen; durch solch eine schwankende Haltung zieht er sich weitere Angriffe und schließlich eine Niederlage zu. Jetzt unterstützt ihn die Kraft des Daniel, und in solch einer Krisis wird geistige Kraft immer Hilfe und Rettung bringen, wenn das Vertrauen nur die Furcht überwiegt. Es handelt sich niemals um die Frage: „Wie fühlst du dich?” sondern immer „Auf was hörst du?” Wenn man auf die unaufhörlichen Drohungen des Irrtums hört, so schenkt man ihnen schließlich Glauben und verfällt dadurch der hiermit verknüpften Strafe. Hört man jedoch, wenn auch noch so hart bedrängt von Versuchung, Furcht oder Schmerz, auf die Erkenntnis der Tatsachen der Wahrheit, so wird man triumphierend durch die Höhlen und die Feuersglut hindurchgehen. Und weshalb? Weil man auf die Wahrheit horchend, sein Vertrauen aufbaut, und wo Vertrauen herrscht, kann Furcht und Unglück keinen Fuß fassen. Vertrauen ist ein Geisteszustand, welcher einfach durch seine Gegenwart allein Ungeduld, Unruhe, Klagen und Unzufriedenheit ausschließt, und Christian Science baut ein bleibendes Vertrauen auf Gott auf, denn die Gründe für solch ein Vertrauen werden in ihrem Lichte in unwiderlegbarer Weise klargelegt.

Alle Menschen können diese göttliche Führung finden und ihr folgen. Die Gewißheit, daß ein allweiser, allgütiger göttlicher Geist da ist, welcher sich dem Menschen je nach seiner Empfänglichkeit offenbart, stärkt das Vertrauen auf solche Führung. Diese Erkenntnis ist das Licht, welches den Weg erleuchtet und das Vertrauen ist der Gehorsam gegen dieses Licht. Es ist in der Tat wahr, daß Gott dem Menschen immer genug Licht für einen Schritt gibt. Zuweilen besteht der Schritt nur darin, daß man sich mit einer kleinen Mauer für den heutigen Tag umgibt, und geduldig auf ein deutlicheres Zeichen von Führung wartet, aber welcherart die Lage auch sein mag, unbedingter Gehorsam gegen das höchste Licht, das wir besitzen, führt uns Schritt für Schritt auf die Pfade des Friedens und der Freude.

Copyright, 1905, Mary Baker G. Eddy.
Verlagsrecht im Jahre 1905, Mary Baker G. Eddy.

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / Mai 1905

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.