In dem allgemeinen Wunsch ehrlicher Menschen, die Wahrheit der Dinge zu finden, liegt eine große und gesegnete Verheißung zur Erlösung der Menschheit. Selbstsucht, die Selbstzufriedenheit der Dummheit und das Vorurteil einer kleinlichen Erziehung, hindern immer, und manchmal verstricken sie den wahrheitsliebenden Trieb und die Forschung, doch können sie dieselben nicht unterdrücken, und in jedem Zeitalter, wie in jedem individuellen Leben, werden sie schließlich ihr Recht beanspruchen und Einspruch gegen Dogma und herkömmliche Formen erheben, wodurch ihre Fackel des Fortschritts angezündet wird.
Jedes Zeitalter der Reform hat sich gekennzeichnet durch Vernachlässigung des altherkömmlichen Brauches und der Meinungen anderer, welches die Oberherrschaft des Menschen bezeichnet, das Erheben von dem gleichgültigen Niveau der Anhänglichkeit an alte Grundsätze. Diese Überlegenheit gegen den Glauben unserer Väter enthält keine Mißachtung jenes Glaubens, wie so oft behauptet wird. Bei allen aufrichtigen Menschen ist es eher ein bewußtes und zweckdienliches Streben genau denselben Stand der Treue ihrer Überzeugung zu erreichen, welche alle christlichen Reformatoren leitete, mit dem vorherrschenden Gedanken ihrer Zeit zu brechen. Ein treuer Christian Scientist sagte kürzlich: „Ich war noch nie ein so guter Wesleyer als ich jetzt bin, aus dem Grunde, weil ich nie so bereitwillig war, von andern lieber verkannt und verurteilt zu werden, als meinen höchsten geistigen Begriffen untreu zu werden.”
Die Behauptung dieses Kühnheitsgeistes um der Wahrheit willen macht sich heutzutage sehr bemerkbar, und obwohl es die erschrecken und beunruhigen mag, welche die geistige Wahrheit für ein menschliches Unternehmen halten, ist dies ein Zeichen zu besseren Dingen für alle, welche den Ort und die Notwendigkeit zur Aufdeckung des Irrtums in der Ordnung unseres geistigen Fortschrittes erfassen.
Unter der Überschrift: „Was ist Religion?” äußerte ein Schriftsteller sich kürzlich in Ausdrücken, welche seine prüfende Offenherzigkeit bezeugen, wie man aus den folgenden Auszügen ersieht. Er sagt:
„Ich wurde religiös erzogen ... und noch lange nachdem ich erwachsen war, betrachtete ich die Bibel als eine folgerechte Erzählung, die im wörtlichen Sinne verstanden werden müßte, mit Ausnahme der Gleichnisse im neuen Testament. Als ich älter wurde, weltlichen Vergnügungen entsagte, und anfing darüber nachzudenken, stiegen Zweifel in mir auf, und jetzt befinde ich mich sozusagen in einem Zustand der Verwirrung. Mein Glaube wurde zuerst erschüttert als meine Gebete nicht erhört wurden. Ich war immer zu Hause und auch in der Kirche gelehrt worden, an die Erhörung der Gebete zu glauben, und als ich um etwas betete, das, wie ich damals wußte und jetzt weiß, zu meinem Besten war, und es nicht erhielt, konnte mich keine christliche Sophisterei überzeugen, daß ich nicht grausam getäuscht worden sei ...
„Auch in betreff der Bibel begann ich zu glauben, daß ich getäuscht worden sei, denn ich war gelehrt worden, daß die hebräischen Legenden und Allegorieen wahr seien ... Ich habe die größte Achtung vor der Bibel und möchte sie gern lesen, wenn ich sie nur verstehen könnte ... Ich wollte, daß ein Weiser so mit mir reden würde, wie mit jemandem, der sein ganzes Leben in einem Leuchtturm gewesen und niemals Religionsunterricht genossen. Ich möchte etwas von den wesentlichen, elementaren Grundsätzen der Religion hören ... Was ist die christliche Religion, um es in einfachen Worten auszudrücken? ... Gibt es sonst einen Beweis von Gott oder Unsterblichkeit als nur die Sehnsucht unserer eigenen Seelen? ... Ich möchte aufrichtig behandelt werden. Ich möchte die einfache Wahrheit hören, nicht wie, ein Kindlein,‘ sondern wie ein erwachsener Mensch, der sowohl nachdenken, als fühlen muß — ein Mensch, der gesündigt und gelitten, und jetzt gern einen sicheren Ankergrund für seine Seele in diesem Meer von Zweifel und Kummer finden möchte.”
Dieser Bruder hat es gewagt, mutig Hand an die Dornhecke des Glaubens zu legen, und er mag wohl etwas zu leiden haben, ehe er an allen herkömmlichen Gebräuchen vorbei gegangen ist; doch hat er sich Jerusalem zugewandt und obwohl alle, die aus seiner gegenwärtigen Sklaverei entkommen sind, ihm gern in seinem Kampf für Licht helfen würden, so ist doch nur der wahre Christian Scientist hinlänglich ausgerüstet, ihm diesen Dienst zu leisten, weil nur er unzweifelhaft davon sprechen kann, wonach alle wohlmeinenden und hungrigen Herzen in der ganzen Welt suchen, nämlich: beweisbare Wahrheit. Solche Forscher mögen entlassen werden (wie dies oft der Fall) mit dem Rat, geduldig zu sein und alles den Händen Gottes zu überlassen, dessen Wege „unerforschlich” sind, doch befriedigt das ihr Bedürfnis nicht, und ihre Verurteilung von beiden, Glaubensbekenntnissen und sogenannten Christen, läßt sich wohl in den Worten des Meisters zusammenfassen: „Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeiset.”
Überall hört man diese traurige Klage von denen, die ein Recht haben, Brot von den Repräsentanten dessen zu erwarten, der die Menge speiste. Die Redensarten von menschlicher Sympathie und Hoffnung genügen nicht mehr diese Sehnsucht eines bekümmerten Herzens zu stillen als leere Worte eines oberflächlichen Gebetes. Die Menschen sehnen sich nach Gewißheit, sie wollen keine Theorie zum Brot backen, sie wollen Brot, und der Christian Scientist, der die gegenwärtige und praktische Nutzbarkeit der Christus-Wahrheit demonstriert, von Krankheit und Sünde zu heilen, hat heute ein Vorrecht und eine Gelegenheit, die ihn über Prinzen erhebt. Wenn er versucht wird, sich nur mit dem Buchstaben von Christian Science zu befriedigen, so mag er die Klage anhören, die aus dem Herzen der Welt kommt und er wird auf seine Kniee sinken, getrieben von einem Sinn der Verdammung und mit einer Inbrunst, die nur die kennen, welche gegen das große Licht gesündigt haben. Jeder treue Christian Scientist muß eine anregende Begeisterung in der Tatsache finden, daß die erhebende Forderung an ihn gestellt ist, wie der Meister auf seine eigenen Heilungswerke und geistige Wiedergeburt zur Bestätigung der Wahrheit, für welche er dasteht, hinzuweisen. Wenn er diesen Bedarf befriedigt, so wird er in der Tat ein Diener Christi, ein Trost und ein Segen für die Leidenden und die Gemütskranken überall.
