Im elften Kapitel der Ebräer sagt Paulus: „Durch den Glauben ward gehorsam Abraham, da er berufen ward auszugehen in das Land, das er ererben sollte; und ging aus und wußte nicht, wo er hinkäme ... denn er wartete auf eine Stadt, die einen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. ... Diese alle sind gestorben im Glauben, und haben die Verheißungen nicht empfangen, sondern sie von ferne gesehen, ... und bekannt, daß sie Gäste und Fremdlinge auf Erden wären. Denn die solches sagen, die geben zu verstehen, daß sie ein Vaterland suchen. ... Nun aber begehren sie eines bessern, nämlich eines himmlischen. Darum schämet sich Gott ihrer nicht, zu heißen ihr Gott; denn er hat ihnen eine Stadt zubereitet.”
Weizsäcker schreibt in seiner Übersetzung des Neuen Testaments im vierzehnten Vers dieses Kapitels: „Denn indem sie solches sagen, zeigen sie an, daß sie der Heimat nachtrachten.”
Es gibt in der ganzen biblischen Literatur kein klareres Bildnis von der flüchtigen Natur irdischer Erfahrung und dem angebornen Hunger nach einer sicheren, himmlischen Erbschaft als diese Hinweisung auf Abrahams Reise als eine Darstellung geistiger Pilgerschaft, die bei jedem Menschen unternommen wird, der das Selbstsüchtige und Unwürdige verläßt für die Erreichung des höchsten Ideals. Abraham „ging aus und wußte nicht, wo er hinkäme.” Wieder und wieder werden aufrichtige und ernste Männer und Frauen berufen auszugehen von alten sündigen Gedankenzuständen, nicht wissend, wohin sie gehen, sie wissen nur, daß sie das, was unvereinbar mit der höchsten Selbstlosigkeit ist, zurücklassen müssen, und daß sie der Erkenntnis des Besten und Höchsten folgen müssen, wohin es auch immer führen mag.
Für alle, die dies Verlangen haben, ist die Botschaft der Christian Science ein beständiger Aufruf: „Komm höher.” Und die empfänglichen Herzen sagen mit der Aufrichtigkeit des verlornen Sohnes: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen,” und sie wenden sich ab von den ruhelosen Wohnungen der Selbstsucht, dem Christus-gleichen Bewußtsein zu, von dem Jesaja gesagt hat „daß mein Volk in Häusern des Friedens wohnen wird, in sichern Wohnungen und in stolzer Ruhe.”
Jeder Schüler der Christian Science weiß, daß dieses Verlangen, dieses Suchen nach einem Vaterlande, nichts anderes ist, als eine Umwandlung des Bewußtseins, und daß er nur in dem Grade, wie er das rechte Bewußtsein erhält, auf verbesserte Zustände hoffen kann. Dennoch ist er so geneigt, sein Glück, seinen Erfolg oder Mißerfolg nach äußeren Dingen zu messen, daß er oft persönliche Anstrengungen macht, eine äußere Veränderung zu bewirken und das innerliche Wachsen zu vernachlässigen, welches es allein vollbringen kann. Er wird manchmal versucht zu glauben, daß er durch eine sofortige plötzliche Veränderung seiner Umgebung schnell in der Erkenntnis und Ausübung der Christian Science wachsen würde, wohingegen die wissenschaftliche Tatsache feststellt, daß er nur durch ein inneres wachsendes Verständnis imstande sein wird, seine Umgebung zu verändern. Jeder muß gerade da anfangen, wo ihn die Christian Science findet. Er kann seinen Platz nicht mit einem Bruder vertauschen, dessen Gelegenheit zum Wachsen günstiger erscheinen mag, sondern indem sein Denken sich aufmacht und zum Vater geht, werden alle seine persönlichen Zustände sich zu verändern anfangen. Seine Befürchtungen werden beschwichtigt, sein Verkehr wird veredelt werden, Hindernisse werden fortgenommen, Banden der Sünde und Krankheiten werden gelöst und lebenslängliche Angewohnheiten werden aus dem Gedankengang und der Handlungsweise verschwinden, dadurch verursacht, daß er die Gedanken an Böses verwirft und in den geistigen Besitz einer besseren Gedankenfähigkeit kommt.
Es ist eine anerkannte Wahrheit, daß der Geist denkt. Er kann wegen seiner Natur und dauernden Existenz, dieser ununterbrochenen, handelnden Tätigkeit nicht zu denken aufhören. Der Christusgeist muß deshalb durch Christus-ähnliches Denken bewiesen werden, und wer diese Gott-gleichen Gedanken hegt, ist je nach seiner Standhaftigkeit ein Bewohner des göttlichen Landes. Materielle Umgebungen, wie unharmonisch sie auch sein mögen, können unsere Gedanken nicht davon abhalten, dieses bessere Land zu suchen und zu finden, in dem man wohnen kann, sobald man sich fest für das Rechte entschlossen hat. Jetzt — in der Aufgabe dieser Stunde kann man einen edlen Gedanken für einen selbstsüchtigen, einen liebenden für einen unfreundlichen, einen dankbaren für einen klagenden und einen vertrauenden für einen zweifelnden vertauschen, und in dem Maße, wie der Gedanke diesen höheren Pfad verfolgt, verschwindet die Bürde, die uns durch die Zustände des „alten Landes” bedrückt.
Die allbekannte Illustration des über den Tälern hängenden Nebels kann hier nutzbringend erwähnt werden: Der Talbewohner wird von den Zuständen des Tales beherrscht, und er muß zu einer reineren Höhe hinaufsteigen, wenn er sich dauernd an sonnenbeleuchtete Bergspitzen erfreuen will. In derselben Weise wird uns ein höherer moralischer Gedankenzustand von dem Druck befreien, der hoffnungslos schien, so lange die Gedanken in den niederen Regionen wohnten. Wir mögen noch so tapfer gegen den uns umgebenden Nebel kämpfen, es wird vergebens sein, denn wir können seinen Zuständen nur entkommen, indem wir das Tiefland verlassen. Ebenso wird eine höhere moralische und geistige Atmosphäre uns in eine Region emporheben, die hoch über dem Bereich der Angriffe und Vorstellungen des Irrtums liegt.
Desgleichen kann man in Eisregionen nicht erwarten, tropische Früchte zu sammeln, indem man die Hand darnach ausstreckt. Die Frucht wächst nicht und kann nicht dort wachsen, wie groß auch das Verlangen oder Streben des Einwohners darnach sein mag. Es kann wohl gelegentlich eine Südfrucht ihren Weg ins gefrorene Land finden, die Geschichte eines sonnigeren Klimas mit sich bringend, doch muß man sich, um solche Frucht in ihrer Schönheit zu besitzen, aufmachen und dort wohnen, wo sie wächst.
Paulus spricht von der Frucht des Fleisches und der Frucht des Geistes, wohl wissend, daß sie die von einander verschiedenen Früchte zweier gänzlich verschiedener „Länder” sind. „Ich sage aber: Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen.” Das Lehrbuch der Christian Science weist deutlich darauf hin, daß geistiges Verständnis und die materiellen Sinne zwei ganz verschiedene und sich widerstreitende Zustünde des Bewußtseins sind, die einander nicht kennen. Die Annahme des einen bringt den Verlust des andern. Daß der Bewohner des materiellen Sinnes nicht die Existenz geistigen Bewußtseins begreift, schließt nicht mehr auf die Unwirklichkeit des letzteren als die Unwissenheit des Talbewohners oder Lappländers auf die Nichtexistenz sonniger Berggipfel und tropischer Klimata. Geistiges Verständnis ist dem Menschen möglich, weil es die göttliche Tatsache der Existenz ist, und es ist vernunftwidrig zu behaupten, daß ein solches Verständnis nicht möglich sei, nur weil man den Unterschied nicht erkannt hat.
Wenn geistiges Verständnis und materielle Anschauung direkt entgegengesetzte Gedankenzustände sind, so kann „die Frucht des Geistes” nicht aus dem materiellen Denken entspringen. Und dennoch, birgt das menschliche Herz nicht ein Verlangen, die Frucht der göttlichen Liebe in die Atmosphäre der menschlichen Selbstsucht zu verpflanzen und dann eine Klage, weil dies unmöglich ist? Man muß zugeben, daß, solange das Vaterland unbekannt und unerforscht bleibt, man auch dessen Frucht nicht genießen kann. Um die herrlichen Früchte göttlicher Liebe zu genießen, müssen wir ins Land der Liebe reisen und darin wohnen; das heißt, beständig in liebenden und liebevollen Gedanken bleiben. Um die Früchte der Wahrheit zu genießen, muß man wahr leben. Um die Früchte der Heiligkeit und Keuschheit zu besitzen, muß der Gedanke heilig und rein sein, und um die daraus folgende Gesundheit zu besitzen, muß man die offenbarten, rechten Gedanken hegen, muß mit ihnen leben, in ihnen wandeln, mit ihnen sprechen und sie sich zu eigen machen, um dadurch die entgegengesetzten falschen Gedanken auszuschließen, die nur Unfrieden und Krankheit hervorbringen. Dies mag nicht sofort jeden Übeltäter reformieren, doch hebt es unsere individuelle Erfahrung aus dem Bereich des Übeltuns. Das Streben eines Christian Scientisten ist immer im direkten Widerstand gegen alle Ansprüche des Fleisches, und dadurch wird er täglich in höhere und reinere Gedankenverbindungen erhoben.
Diese Umwandlung des Bewußtseins kann nicht nach dem alten Sinn von Eile oder Verzug bemessen werden, denn die Umwandlung geht im Denken vor sich und ist vielfach augenblicklich; aber ob langsam oder schnell, das göttliche Gesetz unerschöpflicher Fülle ist derart, daß man in den Besitz der Früchte dieses besseren Landes kommen kann, sobald man in Aufrichtigkeit und Wahrheit sich dort niederläßt. Das tägliche und stündliche Einssein mit der höchsten Erkenntnis Gottes, ist „das Land Gottes.” Der Mensch sollte wohl die Warnung der heiligen Schrift beachten: „So vertrage dich nun mit ihm, und habe Frieden; daraus wird dir viel Gutes kommen.”
Christian Science ist nur denen von Nutzen, die sich danach verhalten und anwenden, was sie wissen.