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„Sei es langsam oder schnell.“

Aus der Januar 1909-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Wenn sich ein Knabe über einem schwierigen Problem den Kopf zerbricht und ernstlich bemüht ist, die Regeln, welche er gelernt hat, in Anwendung zu bringen, oder die neuen Regeln, welche zur Lösung seiner Aufgabe nötig sind, zu lernen; wenn er nach wiederholtem Mißlingen immer wieder von vorne anfängt, aus seinen fruchtlosen Versuchen nützliche Lehren zieht und endlich durch ernste, sorgfältige und beharrliche Arbeit das richtige Resultat erzielt: so hat er dadurch ebensowohl eine wissenschaftliche Demonstration zustande gebracht als ein begabterer Schüler, der in kürzerer Zeit und mit weniger Mühe dasselbe Problem gelöst hat. Beide bedienten sich desselben Prinzips; der Unterschied in der Zeit und Arbeit lag einzig darin, daß der eine größere Kenntnisse und Fähigkeiten besaß als der andere.

Das Verständnis der Wahrheit, welches uns befähigt, die harmonischen Wirklichkeiten des Seins — das universale Lebensproblem — wissenschaftlich zu demonstrieren, kommt nicht nur so ohne weiteres auf Wunsch. Individuelle wie nationale Reform schließt weit mehr in sich als auf den ersten Blick erscheint, und in beiden Fällen ist sie das Resultat ernstlicher Arbeit. Des Menschen Umgestaltung, bei welcher das Bewußtsein der Sünde und des Leidens der geistigen Idee Raum gibt — welche keine Sünde und keine Krankheit kennt — findet nicht in einem Augenblick statt. Der Zeitraum zwischen unserem Erwachen von dem. Traum des Übels und der Materie, und unserer Erkenntnis des vollkommenen Wesens Gottes, des Guten, umfaßt einen fortwährenden Konflikt zwischen dem Geist und dem Fleisch. Dieser Kampf wird so lange dauern, bis Gott allein im Bewußtsein regiert.

Die „irdische Neigung zur Sinnlichkeit” („Science and Health,“ S. 272) hindert das ernste Streben nach dem Geistigen. Deshalb gibt es am Anfang unseres geistigen Wachstums so viele Enttäuschungen; deshalb wird uns die Zeit oft so lang. Wenn uns die Sünde stets ebensosehr verleidet wäre, wie uns der Kummer verleidet ist, so gäbe es weniger Nachzügler auf dem Wege zur Harmonie. So lange unser Herz am eigenen Ich und am Sinnlichen hängt, können wir keine wirklichen Fortschritte machen, selbst dann nicht, wenn die Hände um körperliche Hilfe im Gebet zu Gott erhoben sind. Das Verlangen nach physischem Wohlbefinden deutet nicht immer darauf hin, daß der Mensch bereit ist, den geistigen Anforderungen der Wahrheit Genüge zu tun. „Die Liebe hat es mit unserer Befreiung von Versuchung nicht eilig” („Science and Health, “S. 22), bis sich das Herz bereitwillig Gott ergibt. Es sind dies unzweifelhafte Tatsachen; hingegen,wer ist zu einer solchen Höhe des geistigen Verständnisses emporgestiegen, daß er immer sehen kann, wo die Unwissenheit aufhört und die wissentliche Sünde anfängt?

Die Erscheinungsformen des menschlichen Irrtums sind so zahlreich und mannigfaltig, und das Bewußtsein wird oft auf eine so hinterlistige und unerwartete Art und Weise mesmeriert, daß wir wohl daran tun, die Sünde nicht als den Grund anzugeben, weshalb ein Mitmensch nicht schneller gesund wird. Wir müssen bedenken, daß wir „allzumal Sünder” sind „und mangeln des Ruhms” [der Vollkommenheit], den wir „an Gott haben sollten.”

Seit der Verfasser dieses Artikels die Christian Science kennt, hat er immer diejenigen bemitleidet, welche schon so lange treu und eifrig auf die Vernichtung einer Krankheit hingearbeitet und Gesundheit erwartet haben, aber mit nur teilweisem Erfolg. Er selbst machte die Erfahrung, daß nach beinahe dreijähriger fast beständiger Behandlung in der Christian Science — nach dreijährigem vergeblichen Hoffen — seine Genesung so weit entfernt schien als jemals. Diejenigen, welche nicht gleich in einer Woche, in einem Monat oder sogar nicht innerhalb Jahresfrist geheilt wurden und sich deshalb von der Christian Science abwandten, hätten ihn wohl wegen seiner Ausdauer bemitleidet, obgleich er vorher zehn Jahre lang bei der Materia Medica beharrt und dennoch nichts gewonnen hatte. Er hätte eher ein Recht gehabt, die Behandlung aufzugeben und die Christian Science als einen Mißerfolg zu bezeichnen. Er freut sich jedoch seit einer Reihe von Jahren darüber, daß er nicht so gehandelt hat, denn mit der Zeit gab der Irrtum die Allmacht der Wahrheit zu, und das Übel verschwand wie Nebel vor der Sonne. O nein, niemand, der sich an Gott wendet, braucht zu verzweifeln, denn Er ist „denen, die ihn suchen, ein Vergelter.” Wir können sicher sein, daß wir das zuerst erhalten, was wir am nötigsten brauchen, wenn auch nicht immer das, was wir uns am meisten wünschen. Die Menschen berechnen ihre Tage nach der Uhr; Gott aber „bemißt die Zeit nach dem Guten, das sie entfaltet” („Science and Health,“ S. 584). „Zwischen Gottes Zeit und der Zeit der Sterblichen besteht ein großer Unterschied” („Miscellaneous Writings,“ S. 117).

Da wir, die Sterblichen, ganz und gar in den Irrtum hineingeraten sind, daß der Mensch vom Übel und nicht vom Guten abstammt, und daß Unglück, Kummer, Leiden und Tod Macht über uns haben, so müssen wir ernstlich, ja sehr ernstlich darnach streben, uns von diesem Irrtum zu befreien. Die Schmerzen und Gefahren dieses falschen Bewußtseins sollten unser Herz, ohne daß dasselbe Bedauern verspürt, dem Frieden und dem Schutz der Wahrheit — dem Verständnis des wahren Gottes und des wahren Menschen — zuwenden. Hier finden wir die Erkenntnis, welche das ewige Leben in sich schließt. Auf unserer Rückkehr mag uns der Weg wohl manchmal weit und mühselig vorkommen. Bevor wir den Rückweg angetreten hatten, machten wir uns keinen Begriff davon, wie weit wir von der Wahrheit, vom göttlichen Maßstabe abgewichen waren. Unsere Freude über die Gewißheit, daß wir durch die Kenntnis des Lebens, anstatt des Todes, der Gesundheit, anstatt der Krankheit wenn auch langsam, so doch sicher zum Vater — zum Bewußtsein der geistigen Harmonie — gelangen können, sollte alles Gefühl der Enttäuschung über unsere scheinbar erfolglosen Bemühungen verscheuchen. Manchmal mag es uns vorkommen, als ob wir in einem endlosen Kampfe mit den Gespenstern und Kobolden unserer früheren Besorgnisse und Sünden verwickelt seien, während wir zu anderen Zeiten unter blauem Himmel und auf duftenden Wiesen rasche Fortschritte zu machen scheinen. Sei es nun langsam oder schnell, es geht immer vorwärts, aufwärts, himmelwärts — Gott entgegen.

Diejenigen, welche die Heilung in der Christian Science gesucht haben, deren Fortschritt aber langsam, vielleicht sehr langsam gewesen ist, welche die Erfüllung ihrer Erwartungen und Gebete noch nicht sehen können, und in deren Bewußtsein der Hoffnungsstrahl langsam, o so langsam aufgeht: solche brauchen nicht zu verzweifeln, selbst wenn das Herz vom langen Warten manchmal traurig ist. Der Wandersmann, welcher mühsam zu Fuß dahinschreitet, kann die Landschaften ebensogut sehen und kann sie ebensogut hinter sich lassen wie der Reisende auf der Eisenbahn, obgleich sein Fortschritt viel langsamer ist. Niemand, der ernstlich darnach strebt, das Christus-Leben, wie es die Christian Science lehrt, in sich zum Ausdruck zu bringen, ist heute da, wo ihn die Christian Science fand. Er mag allerdings nicht all das Gute, das er sich gewünscht hatte, erhalten haben; aber er hat einen Schatz gefunden, der wertvoller ist als er je vermutet hatte, und es ist ihm nichts verloren gegangen, was er jetzt noch wert hält. Niemand kann dafür dankbar genug sein, daß er den Weg in der Christian Science gefunden hat, denn auf diesem Wege wird es selbst für den langsamsten Pilger immer heller.

Der Schüler der Christian Science, welcher der verzögerten Resultate wegen mutlos geworden ist, sollte nicht vergessen, daß er um bleibenden Gewinn arbeitet und nicht blos um ein physisches Gefühl der Gesundheit oder des Behagens, denn dieses Gefühl mag seiner Anschauung nach ebenso materiell sein wie das Unbehagen. Das ersehnte Resultat kommt wohl nicht immer in der von uns erwünschten Weise und zu einer Zeit die wir bestimmt hatten; man muß jedoch bedenken, daß alles, was die Wahrnehmung des vollkommenen Werkes Gottes im Menschen hindert, ein Übel ist, das zuletzt der wachsenden Erkenntnis des Guten weichen muß. Wir handeln klüger, wenn wir uns der „Eile mit Weile” befleißigen, als wenn wir in übergroßer Hast auf die grünen Auen rennen, um dann zu unserer vernachlässigten oder unvollendeten Arbeit zurückgeführt zu werden. Es ist ein fortwährender Grund zur Freude, wenn man durch die Christian Science auch nur den ersten schwachen Lichtstrahl von Gott erhalten hat,— von Gott, wie Jesus ihn kannte, denn er führt denjenigen, der ihm treulich nachgeht, zum hellen Tageslicht. Mit dem schwachen Licht, das wir bis jetzt haben, ist es uns nicht immer möglich, unseren zukünftigen Weg durch die Dunkelheit und die vielen Hindernisse hin zu erkennen, und der verständige Schüler wird solches ebensowenig versuchen, als er es unternehmen wurde, ein Problem in der höheren Mathematik mit seiner einfachen Kenntnis der Regeldetri zu lösen.

Wie können wir beurteilen, wer langsame und wer rasche Fortschritte macht, so lange wir nicht imstande sind, die Einflüsse der Erziehung, der verschiedenartigen Gelegenheiten und der Umgebung auszugleichen Physische Zustände geben uns keinen Maßstab, nach dem wir richtig urteilen können, denn sie offenbaren nicht immer die Schwierigkeit der Arbeit, welche nötig ist, um die Gedanken und den Charakter mit dem göttlichen Ideal in Einklang zu bringen.

Schreiten wir freudig und mit eiligen Schritten vorwärts auf dem rauhen Pfade? Versagen wir der Sünde unseren Gehorsam und halten wir uns „von der Welt unbefleckt”? Sehen wir, wie die Berge der Krankheit und des Elends als Folge unseres Wachstums in das Meer der göttlichen Unkenntnis des Übels geworfen werden? Dann werden wir Gott die Ehre geben und uns nicht darüber wundern, warum unser Bruder so mühsam weit hinter uns einherschreitet.

Wenn wir Gott unbedingt vertrauen und einen unerschütterlichen Glauben an des Christen endgültigen und vollständigen Sieg haben, so daß wir uns über die Schwierigkeiten und Enttäuschungen des Sinnesbewußtseins erheben können; wenn wir beharrlich und mutig gegen die scheinbaren Triumphe des Übels ankämpfen, so daß dadurch die Dunkelheit immer mehr verschwindet; wenn wir Tag für Tag unseren angeborenen Neigungen und Begierden standhaft widerstehen, bis sie nach und nach ihre unrechtmäßige Gewalt über uns verlieren und Gottes Ebenbild sich allmählich entfaltet; wenn wir auf diese Weise stets auf dem Wege des Fortschrittes bleiben und die zurückgelegte Strecke ohne Rücksicht auf physische Scheinbarkeit nur nach unserem Wachstum in der geistigen Reinheit und der Liebe bestimmen: dann bemessen wir unseren Fortschritt nach Gottes Zeit, möge die menschliche Weisheit denselben langsam oder schnell nennen.


Ein Wort ist leichter zurückgehalten als zurückgenommen.

Sprichwort.

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