In keiner Hinsicht weist das Unteil der Menschen eine größere Verschiedenheit und mehr Widersprüche auf als in ihrer Schätzung dessen, was die Ehrung und Lobpreisung einer Person seitens ihrer Mitmenschen berechtigt erscheinen läßt. Aus der Geschichte ersehen wir, daß Auszeichnung durch allgemeine Zustimmung aus mannigfachen Gründen verliehen worden ist, wobei manche Fälle als Beweis dafür gelten müssen, daß die Begeisterung über ein Werk den Blick für die Mittel und Wege, wodurch dasselbe vollbracht wurde, leicht trüben kann.
Das Blendwerk des Erfolges eines Menschen nach außen hin kann somit zu einer großen Versuchung werden, namentlich für junge und energisch veranlagte Leute bei ihrem Eintritt ins berufliche Leben. Eine der Aufgaben, welche das menschliche Wohl von Eltern und Erziehern fordert, besteht darin, der Jugend die Tatsache fürs Leben einzuprägen, daß eine Errungenschaft, die wir vom moralischen Standpunkte nicht in jeder Hinsicht gutheißen können, die sich nicht auf Rechtschaffenheit gründet, keinen eigentlichen Wert besitzt; daß der Wert einer Handlung und der Charakter ihres Urhebers stets durch die Treue an diese sittliche Forderung bestimmt wird.
Die sogenannten individuellen Vorzüge und Tugenden, die oft das Kennzeichen des überall gern gesehenen Mannes sind, die anziehende Persönlichkeit — diese Eigenschaften an und für sich lassen noch nicht den echten Wert erkennen. Ebenso wie scheinheilige Redeweise heiliges Wesen nachahmt, so können sich Hochmut und Selbstsucht in das Gewand der Menschenfreundlichkeit kleiden, und Selbstsucht gewinnt dann den Anschein der Freundlichkeit und Opferwilligkeit. Allzuvieles, was zur gesellschaftlichen Stellung gehört und zum guten Ruf beiträgt, ist insgesamt zu äußerlicher Natur, dem wahren Selbst zu fremd, um als glaubwürdiger Zeuge für Tugendhaftigkeit gelten zu können.
Doch kommt ein wesentlicher Umstand in Betracht, der auf jedem Gebiete des Denkens und in allen Verhältnissen des Lebens den Wert sowohl des Arbeiters wie der Arbeit genau bemißt und feststellt — die Frage, inwieweit man seinem höchsten Ideal treu geblieben oder demselben untreu geworden ist. Wenn ein Mensch von zweien oder mehreren Anschauungen oder Wegen den edelsten, selbstlosesten, den geistigeren gewählt und an demselben festgehalten hat, dann hat er die einzig wahre, für alle Zeiten geltende Probe hinsichtlich der Echtheit seiner Gesinnung bestanden. Wie eindringlich wiederholte doch Jesus seine Frage: „Simon Jona, hast du mich lieb?” Dies war seine Prüfungsfrage; sie war persönlich, innerlich, unausweichlich und konnte nur insofern bejaht werden, als das Herz seiner höchsten Erkenntnis von der Wahrheit treu blieb.
Vor dem König Agrippa als Zeuge stehend konnte sich Paulus rühmen, daß er, als das Licht auf seinen Weg fiel, „der himmlischen Erscheinung nicht untreu” war; und heutigestags gedenken unzählige Tausende in Liebe einer Jüngerin, die, nachdem sie den Weg nach langem, aufrichtigem Suchen gefunden, denselben mit so unwandelbarer Treue verfolgte — selbst als ihn der widerstrebende Sinn mit Dornen besähte —, daß das Wunder bei jedesmaliger Betrachtung größer erscheint. Hier stehen wir vor einer Prüfung des Charakters, deren seltene Strenge die Tiefe einer noch selteneren Rechtschaffenheit erprobte. Mrs. Eddys standhaftes Festhalten an der Christus-Idee, dem Begriff geistigen Seins, das sie zum Zweck der Befreiung der leidenden Menschheit von Krankheit und Sünde demonstriert hatte, wurde durch nichts geschwächt, und somit kämpfte sie ihren „guten Kampf”.
Die Christian Science weist mit aller Klarheit auf das Vorrecht und die individuelle Pflicht eines jeden ihrer Vertreter. Einem jeden fällt die Aufgabe zu, seine Tüchtigkeit und die Echtheit und Wirksamkeit seines Verständnisses zu beweisen. Die Wahrheit macht keine Zugeständnisse; wir müssen uns bedingungs- und rückhaltslos auf ihre Seite stellen. So lautet der Ruf des heutigen Tages! Und die frohe Antwort eines jeden echten Christian Scientisten wird durch höhere Inspiration, innigere Hingabe, liebreicheres Erbarmen, durch demutsvolleres, selbstloseres, christusähnlicheres Erfüllen auch der kleinsten Pflichten zum Ausdruck kommen, auf die er in dieser einem glorreichen Tage vorangehenden Dämmerstunde hingewiesen wird.
