Keinem Bibelforscher kann es entgehen, wie viele Verheißungen und Zusagen im Alten wie im Neuen Testament denen gegeben werden, die den Namen Gottes ehren, und die Psalmen Davids und das Buch Jesajas reden von dem Sehnen und Verlangen, diesen Namen zu kennen. Nun hat aber ein bloßer Name oder eine Benennung an sich nicht die Macht, Gutes hervorzubringen oder dieses Sehnen zu erwecken. Darum müssen wir die höhere Bedeutung dieses Wortes zu finden suchen. Was drückt das Wort „Name” im täglichen Leben aus? In der Erklärung, die der amerikanische Lexikograph Webster darüber gibt, heißt es u. a.: „Das, womit irgendeine Person oder Sache benannt wird. ... Ruf, Charakter, Eigenart. ... Eine Kraft, die der betreffenden Person innewohnt.” Nun bilden hauptsächlich „Ruf, Charakter, Eigenart” die Wesenheit eines Individuums. In unserm täglichen Leben finden wir dies auf Schritt und Tritt bestätigt.
Wir hören einen Familiennamen nennen, und unwillkürlich machen wir uns ein Bild von dem Charakter, von der Eigenart und Wesenheit, die wir erwarten. In jeder größeren öffentlichen Schule tritt dies sehr auffällig hervor. Wie oft hört man Bemerkungen wie diese: „Wie heißt der neue Schüler?” „N — ”. „Alle die N — s sind arbeitsame Leute.” „Alle die N — s sind Cricketspieler, sind Sportsleute, Faullenzer” usw. In noch höherem Grade verknüpfen wir den Namen mit der Wesenheit, wenn wir an die Menschenrassen denken. So scheint uns jeder Name im Augenblick, da er ausgesprochen wird, einen Typus, eine Eigenart, eine Wesenheit zu versinnbildlichen, und er bedeutet fast immer mehr als eine bloße Benennung.
Für den letzten Teil von Webfters Erklärung: „Eine Kraft, die der betreffenden Person innewohnt”, gibt es ein gutes Beispiel aus dem praktischen Leben. Die Sterblichen hat ihr Glaube an die obige Erklärung dahin geführt, andre zu bitten sich mit ihrem Namen für sie zu verwenden, um durch dessen Verdienste eine günstige Befürwortung, irgendeinen Vorteil, einen besonderen Grad von Vertrauen oder Ansehen zu gewinnen, wozu ihr eignes Vollbringen sie nicht berechtigt. So sehen wir also, daß wir in den menschlichen Angelegenheiten die dreifache Erläuterung Websters von dem Worte „Name” anerkennen, nämlich: Die Bezeichnung, die Wesenheit und die Kraft, die der betreffenden Person eigen ist. Und doch hat die Menschheit in den göttlichen Dingen die Bedeutung dieses Wortes so sehr verstümmelt, daß für den Durchschnittsleser der Name Gott im Alten Testament nichts ist als eine bloße Benennung, im Neuen eine Macht, die dem Namen eines Andern innewohnt, um uns unverdientes Gutes zu bringen.
Die Heilige Schrift selbst berechtigt uns jedoch nicht zu einer solchen Auffassung. Als Moses vor dem feurigen Busch stand und den Befehl empfing, zu den Kindern Israel zu gehen, um sie aus der Knechtschaft zu befreien, und er um einen Namen bat, damit er sie überzeugen könnte, daß er von Gott gesandt sei, da ward ihm die Antwort: „Ich bin der ich bin. ... Also sollst du zu den Kindern Israel sagen: Ich bin [Jehovah der Ewige], der hat mich zu euch gesandt.” Nicht eine bloße Benennung, sondern die ewige Wesenheit des Unendlichen! Als Jesaja von dem Kommen des Messias weissagte, verkündigten die Namen, die er gab, nicht nur die Benennung, sondern die Wesenheit des Heilands: „Und er heißt Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst”. Oft berichtet die Heilige Schrift davon, wie auf Gottes Geheiß eine Namensänderung eintrat und damit die Änderung der Wesenheit eines Menschen gekennzeichnet wurde.
In dem Christian Science Textbuch „Science and Health“ gibt Mrs. Eddy (S. 587) in ihrer Definition über Gott einen vollkommenen und klaren Begriff von der Wesenheit und den Eigenschaften des göttlichen Prinzips — eine Definition, die schon unendlich viel zur Vergeistigung und Erhebung des Denkens der Menschheit beigetragen hat. Ferner hat sie in der geistigen Auslegung des Vaterunsers zu der Bitte: „Geheiliget werde dein Name”, die geistige Ergänzung: „Du einzig Anbetungswürdiger” gegeben, um darauf hinzuweisen, daß der göttliche Name und die göttliche Wesenheit nicht von einander zu trennen sind. Werden nicht durch diese Erkenntnis viele Bibelstellen, mit denen wir so wohl vertraut sind, mit einem Lichtstrom des Verständnisses erleuchtet?
Wir wollen bloß ein paar anführen. In der folgenden Stelle aus dem Propheten Jesaja drückt sich das Sehnen aus, von dem zuvor die Rede war: „Des Herzens Lust stehet zu deinem Namen [deiner Wesenheit].” Der Meister betete vor seinem Ringen in Gethsemane: „Ich habe deinen Namen [deine Wesenheit] offenbaret den Menschen, die du mir von der Welt gegeben hast. ... Dieweil ich bei ihnen war in der Welt, erhielt ich sie in deinem Namen [deiner Wesenheit]”. In der Apostelgeschichte tut Petrus folgenden Ausspruch: „Und ist auch kein andrer Name [keine andre Wesenheit] unter dem Himmel den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden.” In der Offenbarung heißt es: „Sein Name [seine Wesenheit] wird an ihren Stirnen sein.” Hunderte von solchen Beispielen könnten wir aufführen, doch sollen hier nur zwei allbekannte Stellen beleuchtet werden, die durch das Verständnis von der Einheit des göttlichen Namens mit der göttlichen Wesenheit eine wundervolle Bedeutung gewinnen und zugleich die praktischen Ergebnisse zeigen, die solch ein Verständnis herbeiführen kann. Im Evangelium des Johannes lesen wir: „So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er’s euch geben.” Und im Philipperbrief sagt Paulus: „Darum hat ihn auch Gott erhöhet, und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist.”
Unsre Führerin erklärt in „Science and Health“ (S. 1): „Beten, Wachen und Arbeiten, vereint mit Selbstaufopferung sind Gottes gnadenreiche Mittel zur Vollbringung alles dessen, was je für die Christianisierung und Gesundheit der Menschen mit Erfolg getan worden ist.” Im Lichte dieser Erklärung können wir den Gewinn erkennen, den die beiden oben angeführten Bibelstellen uns bringen, wenn wir beim Beten, Wachen und Arbeiten die Einheit von Namen und Wesenheit festhalten.
Zuerst die Stelle: „So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er’s euch geben.” Es ist vielleicht kein einziges Bibelwort dem Buchstaben nach so streng befolgt worden, wie dieses. Von dem kleinen Kinde an, das sein Gebet auf dem Schoße der Mutter stammelt, auf ihr Geheiß hin, ohne es zu verstehen, bis zu dem kraftvollen Mann oder der Frau, die in Todesangst um das Teuerste ringen, was das Leben hier für sie zu bieten hat; von dem ungebildeten Bauern in seiner Hütte bis zu dem hochgelehrten Bischof in seinem Palaste; von dem einfachen Waldgottesdienst in stiller Abgeschiedenheit bis zu der Riesengemeinde im stattlichen Dome —überall finden wir den einen Gedanken im Gebete wieder: „Um Jesu Christi willen”. Wir haben wohl fast alle diese Worte unzählige Male ausgesprochen, manchmal gleichgültig und rein mechanisch, manchmal in heißem Flehen am Schluß der Sündenbeichte und in angstvollem Suchen nach Vergebung, manchmal wohl auch zweifelnd, wenn wir eine Bitte geäußert haben, die nicht heilig genannt werden kann.
Wenn wir Umfrage hielten, warum die Christenheit so allgemein „um Jesu Christi willen” betet, so würde uns zweifellos überall dieselbe Antwort werden: „Aus Gehorsam gegen die Verheißung unsers Meisters: ‚So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er’s euch geben‘.” Würden wir aber der Sache auf den Grund gehen und fragen, ob denn die Leute im allgemeinen wirklich bestimmt glauben, daß sie empfangen werden, was sie in seinem Namen erbitten, könnte da ein einziger unter einer Million mit einem „Ja” antworten? Ach, wie traurig! Wir nahmen unser vermeintliches Schicksal einfach hin, suchten unsre Trostlosigkeit vor uns selber zu verbergen und wiederholten immer und immer wieder den erbarmungswürdigen Ruf: „Um Jesu Christi willen.” Wir flehten einen ewig gerechten Gott an, unsre Sünde zu vergeben um des Wegweisers willen — also weil dieser gut war; unsre fleischlichen Wünsche zu gewähren, weil die seinen geistig waren; unsre Unreinheit zu übersehen, weil er rein war. Ist es da zu verwundern, daß unsre Mißerfolge uns nicht mehr besonders überraschten?
Nun ist die Christian Science erschienen und hat uns mit Posaunenschall erweckt; sie hat uns verkündet, daß wir nicht nur glauben, sondern auch verstehen müssen. Wir haben jede Verheißung und jede Zusage durch scientifische Demonstration in Erfüllung gehen sehen. Und wenden wir diese Wahrheit der Verwandschaft und Einheit von Namen und Wesenheit auf unsern Text an, so lautet er also: „So ihr den Vater etwas bitten werdet [meiner Wesenheit entsprechend], so wird er’s euch geben.” Meiner Wesenheit entsprechend — denn wir gehören Christo an und sind ein wesentlicher Teil der göttlichen Kundgebung, nicht materiell, sondern geistig. Welch eine Offenbarung des königlichen Erbrechts des Menschen, daß wir der Wesenheit Jesu Christi gemäß bitten dürfen!
Aber wir haben auch dies gelernt: „Sehnliches Verlangen ist Gebet” („Science and Health“, S. 1); und wenn dem so ist, welch eine Wachsamkeit bedeutet das für uns! Welch sanftmütige, demütige Läuterung unsrer Wünsche! Denn es heißt weiter: „Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen”— nichts, der Wesenheit Jesu Entsprechendes, der die Verkörperung selbstloser Liebe, lichter Reinheit, unendlicher Barmherzigkeit, wahrer Geistigkeit war und der so geduldig und gütig der menschlichen Not diente und dabei unermüdlich auf die Substanz der Vollkommenheit des Geistes hinwies! Wie viele Gebete werden sich anders gestalten, wie viele beschämt verstummen, wie viele sich zu freudigem Lob und dankbarer Anerkennung erheben, wenn wir so weit gekommen sind, daß wir unsre Wünsche stets bewachen und sie an dem Worte prüfen: „So ihr den Vater etwas bitten werdet”, was meiner Wesenheit entspricht, der Wesenheit, die auf ewig eins ist mit dem Vater, der unendlichen, gerechten, weltumfassenden Liebe. Mit welch erhabenem Vertrauen wird dann unser Verlangen — nun gereinigt und geheiligt — himmelan steigen!
Und nun der zweite Text, aus dem Philipperbrief: „Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind”. Die Christenheit hat durch die Trennung zwischen dem „Namen” und der „Wesenheit” Jesu diese Worte ihrer eigentlichen Bedeutung und ihrer Verheißung beraubt und hat sich viel darüber gestritten, inwieweit man denselben buchstäblich zu gehorchen habe. In dem Lichte jedoch, welches die Erkenntnis von der Einheit des „Namens” und der „Wesenheit” auf die Sache wirft, verstummt aller Streit, und der Zwist verschwindet. Wir erfassen die tiefe Bedeutung, die in dem Wort „Name” liegt, und erlangen ein weit höheres Verständnis von der Quelle aller Macht und Stärke, beim Arbeiten wie beim Beten.
Wenn es dem Gesetze Gottes entspricht, daß vor der Wesenheit Jesu sich beugen sollen alle Kniee, was wird da aus dem Glauben, daß ein materieller Stand, ein Amt oder eine Stellung uns irgend welche Vollmacht oder Gewalt geben könne? Wie töricht und hinfällig wird da die Engherzigkeit, welche die Menschen vor und neben sich herabsetzt, aus dem Gedanken der Mißgunst und des Neides heraus; welche diejenigen, die anscheinend zurück sind, aufhalten möchte, um den Schein des Vorrechts, der Vorgängerschaft und der Überlegenheit aufrecht zu erhalten. Wie fest steht dem gegenüber die göttliche Tatsache: In welchem materiellen Stand, in welcher ehrenvollen Stellung wir uns auch äußerlich befinden, welch irdisches Szepter unsre sterblichen Mitmenschen uns auch anvertrauen, und welch große Reichtümer einer materiellen Welt uns auch zur Verfügung stehen mögen — der Seifenblasenglaube an die Macht und den Einfluß solcher Dinge muß in Nichts zerstäuben, und unser Knie, eines jeden Knie muß sich beugen vor der Wesenheit Christi Jesu. Er ist es, von dem Jesaja sagt: „Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.” Er nahm ein kleines Kind, stellte es mitten unter seine Jünger (die sich über Stellung und Macht stritten) und gebot ihnen, sie sollten dessen himmlischer Demut, Unschuld und Reinheit nacheifern. In seinen Augen gab es keine Selbstverherrlichung für Gottes Idee, denn diese ist immer groß und herrlich. Wie ehemals, so redet er auch heute noch zu uns von der Selbstaufopferung, die der einzige Weg zur Verklärung ist. Diese Wesenheit lebte unter den Menschen, daß sie ihnen „diene”. Dies ist die Herrschaft des Christus in dem Einssein mit dem göttlichen Geist (Mind), „dessen Wesenheit und dessen Name Liebe ist.”
Die Welt drückt oft ihr Erstaunen aus über das schnelle Wachstum der Christian Science Bewegung und weist verwundert auf ihren bescheidenen Anfang hin, da eine Frau in stiller Gemeinschaft mit Gott über die Dinge des Geistes, über die Wissenschaft des Seins nachdachte, bis sie zu bestimmten Anschauungen kam und mit diesen vor eine Welt hintrat, die auf gerade entgegengesetzten Meinungen fußte. Selbst den Christian Scientisten kommt es zuweilen wie ein Wunder vor. Und doch, im Lichte der Schriftworte, die wir eben betrachtet haben, entschwindet das Wunder, und wir erkennen, daß ein solches Wachstum dem Gesetze Gottes entspricht und göttlich natürlich ist. Das Wachstum hat stattgefunden, weil Mrs. Eddy, in ihrem Verlangen, der Menschheit zu helfen, um etwas betete, was der Wesenheit Christi Jesu entsprach. Und ihr himmlischer Vater hat es ihr gegeben. Vorurteil, Stolz und materielle Gesinnung beugen heute das Knie vor der Christian Science, weil sie, wie verheißen, in der Wesenheit Jesu kam, denn die Christian Science ist sanftmütig, liebevoll, voll Erbarmen und rein.
Das Glück liegt in uns selber, nicht in den Außendingen.
