Die Christian Scientisten sind der Überzeugung, daß die Gestaltung und Gründung der Mutterkirche der Christian Science göttlich genehmigt wurde. Diese Kirche hat keine materiellen Vorgänger. Sie zeichnet sich aus als die Erste Kirche Christi, des Scientisten — die erste unter allen andern. Wie Gott die Christian Science Bewegung bestimmt hat, so ist er auch dem Bedürfnis einer sichtbaren, belebenden Zentrale entgegengekommen und hat dieselbe erhalten. Anfänglich organisiert, um einem lokalen Bedürfnis zu entsprechen, ist sie der Schlußstein in einem das religiöse Denken der ganzen Welt überspannenden Bogen von treu gesinnten Zweigkirchen geworden. Obgleich sie ähnlich organisiert ist wie die Zweigkirchen, denen sie in den letzten dreißig Jahren in Bezug auf Form des Gottesdienstes und Wirksamkeit als Muster gedient hat, so ist sie doch einzig in ihrer Art und unnachahmlich — die herrlichste Garbe in einer reichen Geistesernte, welche unaufhörlich ist und sich von Pol zu Pol erstreckt. Sie macht keine Propaganda und man kann ihr nicht ohne weiteres beitreten; dennoch aber ist ihr Wachstum in den letzten zehn Jahren größer gewesen, als das Wachstum irgendeiner andern Kirchengemeinschaft seit Gründung der christlichen Kirche.
Unter ihren mannigfaltigen Vollbringungen ist in erster Linie zu nennen, daß sie ihrer Gründerin bei ihrem ernsten Bestreben, die Christian Science von Fälschungen und störenden Elementen frei zu halten, treulich und mit Erfolg zur Hand ging. Seit dem Jahre 1875, als die erste Ausgabe von „Science and Health“ einer zweifelnden Welt ohne alles Aufsehen übergeben wurde, hat die Autorin dieses Buches mit Mut und Entschlossenheit gegen alles Stellung genommen, was nicht an dessen hohe Norm hinanreichte. Wie bitter dieser Kampf war, hat niemand in dem Maße erfahren wie Mrs. Eddy. Unsre Pflicht ist es nun, die Tatsache zu erkennen und zu würdigen, daß durch ihren unbeugsamen Mut und ihr unerschütterliches Vertrauen auf das göttliche Prinzip die Reinheit der Christian Science Lehre gewahrt worden ist. Deshalb steht diese Lehre kräftig und schön da, wie eine grüne Eiche in einem dürren Lande, ein lieblicher Anblick für das müde Auge, dem erschöpften Wanderer Schutz und Ruhe bietend. Einer von Englands geistreichsten Männern tat den Ausspruch, daß ein Mensch, der zwei Grashalme da zum Wachsen bringen könne, wo früher nur einer gewachsen sei, hohes Lob verdiene, denn er leiste der Menschheit größere Dienste, als eine ganze Nation von Menschen, die viel reden aber nichts ausrichten. Was sollen wir nun von der Person sagen, die ganze Felder zum Grünen gebracht hat? Wo wollen wir die Worte hernehmen, um den hohen Verdienst dieser Frau zu beschreiben, die das Feld bebaute, bis die reifen Ähren sich öffneten und ihre goldenen Schätze fallen ließen, der hungrigen Menge zum Labsal?
Mrs. Eddy ist in den vergangenen Jahren sehr oft ungerechterweise angegriffen worden, weil sie sich das Verlagsrecht all ihrer Werke gesichert und auf ihrem dadurch erlangten Recht bestanden hat; ferner, weil von ihren Nachfolgern erwartet wird, daß sie beim öffentlichen Vorlesen aus ihren Schriften den Namen der Autorin nennen, und weil dieselben beim Studium der Christian Science keine andern Hilfsbücher gebrauchen als die Bibel und die Schriften ihrer Führerin. Jedoch gerade diesen weisen Maßregeln ist es zuzuschreiben, daß unsre Lehre ihre ursprüngliche Schönheit und Reinheit behalten hat. Mrs. Eddy hatte durch klare Beweise die Gewißheit erlangt, daß die ihr gewordene Offenbarung auf Wahrheit beruht; deshalb wollte sie nichts mit irgend etwas zu tun haben, was fraglichen Ursprungs war; deshalb lehnte sie die Angebote aller derer ab, die gerne ihre Amtsgehilfen geworden wären, mögen sie auch ehrliche Absichten gehabt haben. Ihrer Standhaftigkeit haben wir es zu verdanken, daß unser Textbuch unverfälscht geblieben ist und daß wir nicht mehr als ein Textbuch haben. Ehrsüchtige Autoren, unter ihnen einige ehemalige Schüler Mrs. Eddys, haben Bücher geschrieben und hofften, daß dieselben später als Zusatz oder Ergänzung zu „Science and Health“ angenommen werden würden. Es hat jedoch nie mehr als ein Textbuch der Christian Science gegeben und es wird nie mehr als eins geben. Wir könnten die ganze Welt umreisen und würden allerorten vorgeschrittene Scientisten finden, welche auf unsre Fragen über Gott und den Menschen, über Leben und Gesundheit die gleiche Antwort bereit hätten. Für diejenigen, die das Prinzip verstehen, gibt es keine Widersprüche, keine Abweichungen, denn das Wesentliche des wahren Christentums ist so klar gemacht worden, wie das Wasser des dem ewigen Schnee entspringenden Bergbaches. Dies sind die Früchte des einheitlichen Verständnisses vom Prinzip und des Festhaltens an demselben, wie es in dem einen Textbuch dieser Religion dargelegt ist.
Einer falschen Anwendung unsres Textbuches ist vielfach durch die Wachsamkeit der Mutterkirche vorgebeugt worden, indem diese gemäß den Vorschriften der Statuten ihres Kirchenhandbuches vorging. Wie allgemein bekannt ist, bestimmen diese Statuten vor allem, daß die Leser in den Zweigkirchen Mitglieder der Mutterkirche sein müssen. Eine unechte Organisation, deren Leser also nicht Mitglieder der Mutterkirche sein könnten, würde somit bald entlarvt sein. Wer die Echtheit einer Christian Science Kirche feststellen möchte, hat nicht nötig nach Boston zu gehen, um die Kirchenbücher dort durchzusehen, denn eine jede Nummer des „Christian Science Journal“ gibt ihm sofort die gewünschte Auskunft. Die echten Christian Science Kirchen oder Vereinigungen sind in diesem Monatsheft angezeigt; unechte könnten nicht um ein Vermögen Raum in dessen Spalten erhalten. Eine kurze Anzeige in unserm Kirchenverzeichnis ist eine bessere Beglaubigung, als das Gegenzeichen irgendeines Scientisten. In Bezug auf diejenigen, welche sich speziell dem Heilungswerke widmen und welche ihre Anzeige im „Journal“ [oder im Herold] haben wollen, besteht eine ähnliche Sicherheitsregel. Sie müssen ebenfalls Mitglieder der Mutterkirche sein, und dieser Mitgliedschaft geht eine genaue Erkundigung über ihre Fähigkeit voran.
Die Mutterkirche gewährt allen Zweigkirchen liebevollen Schutz. Die kleinsten und entferntesten derselben erfreuen sich ihrer Fürsorge in dem selben Maße wie die größten und einflußreichsten. Interessante Fälle könnten angeführt werden, in denen die Mutterkirche den Zweigkirchen aus großen Schwierigkeiten herausgeholfen hat. Durch ihren Vorstand kommt sie denen entgegen, die sie um nähere Erklärung dieses oder jenes Statuts, oder um Rat in Bezug auf die Lösung lokaler Probleme bitten. Dabei hält sie sich streng an den Buchstaben und den Geist unsres Kirchenhandbuchs und mischt sich nie unaufgefordert in die Angelegenheiten von Personen oder Gemeinden. Sie ist keine Polizeibehörde, sondern ein Gericht höchster Instanz.
Obgleich die Mutterkirche auf diese Weise das Wohlergehen der Zweigkirchen im Auge hat, so ist sie doch selbst ganz und gar aus Individuen zusammengesetzt. Einzelne Scientisten bilden ihre Teile, und die Zweigkirchen sind durch ihre Mitglieder vertreten. Sie ist nicht eine Bostoner Kirche, sondern eine universelle Kirche. Die Heimat ihrer Mitglieder ist in allen bewohnten Teilen der Erde. Das Mitglied in Australien hat gleiches Recht mit dem Mitglied in Boston, außer, daß letzteres in der Lage ist, die Gottesdienste in der Mutterkirche regelmäßig besuchen zu können.
In unserm großen Kampf gegen Sünde, Krankheit und Tod ist uns die Mutterkirche ein großes Arsenal und ein reichgefüllter Vorratsraum. Sie liefert uns Kriegsgeräte und Friedensbanner, sowie Leute, welche dieselben zu gebrauchen wissen. Durch ihre metaphysische Lehranstalt gibt sie uns ausgebildete Lehrer; durch ihren Lektorenausschuß gibt sie der Menge Aufschluß über die Christian Science; durch ihre Komitees für Veröffentlichungen beseitigt sie falsche Darstellungen und falsche Auffassungen; durch ihre Zeitschriften erleuchtet sie die Welt mit dem Lichte der Wahrheit.
Gesetzt den Fall, die Mutterkirche würde aus der Christian Science Bewegung herausgenommen: was wäre das Resultat? Wir hätten zwar Hunderte von kräftigen, tätigen, strebsamen Kirchenmeinschaften, aber dieselben wären getrennte Teile, die da- und dorthin treiben würden. Wären sie imstande, wo es sich um einen weiteren Schritt vorwärts handelt, so einheitlich und wirksam vorzugehen und dem allgemeinen Feind so erfolgreich entgegenzutreten, wie bisher? Wir können die Mutterkirche, dieses Werkzeug der göttlichen Liebe, kaum zu hoch schätzen, denn sie macht aus vielen einzelnen Teilen eine unüberwindbare und unzerstörbare Einheit, wie der Zement die losen Sandkörner zu einer festen Masse verbindet. Sie wird, gleich den Pyramiden Ägyptens, der Zeit Trotz bieten.
Die Geschichte lehrt uns, daß zur Verbreitung einer Idee anfänglich eine Organisation nötig ist. Als Christian Scientisten sollten wir uns jedoch auf die Zeit vorbereiten, da wir der Notwendigkeit einer Kirchenorganisation entwachsen sein werden. Wie viel Zeit darüber vergehen wird, kann niemand voraussagen. So viel ist jedoch gewiß: Bis die Stunde schlägt, da die Zweigkirchen ihren Teil in dem großen Werke der Erlösung von Sünde, Krankheit und Tod getan haben, wird ihnen die Mutterkirche ebenso unentbehrlich sein, wie der Mutter Hand dem kleinen Kinde, wie ihr wachsames Auge dem Jüngling, wie ihr liebevoller Rat der erwachsenen Tochter. Und was verlangt sie dafür? Nur zwei Dinge, die stets Hand in Hand gehen sollten: Liebe und treue Ergebenheit.
Die Mutterkirche, welche unsrer Hingabe in so reichem Maße wert ist, ist etwas weit Höheres als ein prächtiger Dom. Dieser könnte von der reich verzierten Kuppel an bis zum massiven Fundament abgetragen und Stein für Stein in den Hafen Bostons versenkt werden, ohne das die Mutterkirche dadurch im geringsten geschädigt wäre, denn sie steht im Herzen und im Bewußtsein der Menschen, nicht an einer Straßenecke. Die wahre Kirche ist, wie unsre Führerin sagt, „das Gebäude der Wahrheit und Liebe” („Science and Health“ S. 583), nicht ein Gebäude aus Stein und Eisen. Der große graue Tempel, prächtig und schön, ist gerade so wenig die Mutterkirche der Christian Science, wie der Rock den Mann darstellt. Wollten wir nach einer Wortgruppe suchen, die uns einen klaren Begriff geben soll von dem wahren Wesen der Mutterkirche, so brauchten wir uns bloß an die Bibel zu wenden, denn da sind in unvergänglichen Worten die Dinge genannt, die uns in den Sinn kommen sollen, wenn wir unsre Gedanken auf das richten, was die Mutterkirche ist und was sie versinnbildlicht. Der Apostel Paulus sagt in seinem Brief an die Philipper: „Weiter, lieben Brüder, was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohllautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach”. Wenn wir an die hier genannten Eigenschaften denken, so haben wir die ideale Mutterkirche der Christian Science vor uns, welche bei uns um unsre Liebe und treue Ergebenheit anhält.
