Mrs. Eddy schreibt in ihrem Werk, „Science and Health with Key to the Scriptures“ (S. 297): „So lange die Annahme nicht Glaube und der Glaube nicht geistiges Verständnis geworden ist, hat das menschliche Denken wenig Beziehung zu dem Tatsächlichen oder Göttlichen.” Ferner erklärt sie den Glauben als einen unentwickelten Zustand des menschlichen Denkens, „in welchem im Widerspruch zu dem Zeugnis der materiellen Sinne die geistige Gewißheit zu erscheinen beginnt und die allgegenwärtige Wahrheit verstanden wird.” Der Glaube, so wie er hier erklärt wird, hat seinen rechtmäßigen Platz in der Ausübung der Christian Science; aber diese Lehre weicht von dem ab, was man gewöhnlich unter „Glaubensheilung” versteht.
In der ärztlichen Praxis wird die Wirkung des Glaubens an materielle Mittel ziemlich allgemein anerkannt und mehr und mehr in Betracht gezogen. Daß Arzneien und andre materielle Mittel machtlos sind, Krankheit zu heilen, wenn es am Glauben an die Arznei oder den Arzt fehlt, ist eine allgemein anerkannte Tatsache, die durch individuelle Erfahrung bestätigt wird. In der Ausübung der Christian Science findet nur der Glaube an den göttlichen Geist (Mind) Raum, während das göttliche Element keinen Teil hat an der Heilung von Krankheit durch den Glauben an materielle Mittel und Methoden.
Es mag jemand etwas glauben, was er nicht versteht, und selbst wenn er es versteht, wird er finden, daß sein Glaube sich mehr und mehr erweitert und ihn ermahnt, ernstlich nach dem vollen Verständnis des bisher nur Geglaubten zu ringen. Allerdings übertrifft des Christian Scientisten Glaube an Gott sein Verständnis von Seinem Wesen; doch ist dieser Glaube kein blinder Glaube, denn er stützt sich auf Verständnis und Demonstration. Auch des Schülers Glaube an die Mathematik übertrifft sein Verständnis von dem grundlegenden Gesetz der Zahlen. Wäre dem nicht so, so hätte er nicht das Verlangen, sein Verständnis zu erweitern. Da er nicht mehr beweisen kann, als er versteht, und da er die größeren Möglichkeiten erkennt, hat er Ursache sich zu bemühen, ein höheres und vollkommeneres Verständnis vor der Mathematik zu erlangen.
Der Christian Scientist kann nicht das demonstrieren, was er bloß glaubt, sondern nur das, was er versteht. Der Glaube an die Anwendbarkeit und Nützlichkeit des Guten spornt den Schüler zu größeren Anstrengungen an, und der Kranke wird durch seinen Glauben veranlaßt, sich an die Christian Science um Hilfe zu wenden; jedoch nur das Verständnis heilt den Kranken und bekehrt den Sünder. Verständnis ist nicht heute vorhanden und morgen verschwunden. Es ist ewig dauernd. Nur das, was wahr und wirklich ist, kann verstanden werden. Andre Dinge mag man für wahr halten und man mag sich auf sie verlassen; aber verstehen kann man sie nicht. Was heute verstanden wird, kann nicht morgen in einem andern Lichte betrachtet werden. Der Glaube an das Wirkliche erweitert sich zum Verständnis, während der Glaube an das Unwirkliche keine bleibende Stätte hat und früher oder später wegen seiner Schwachheit fallen muß.
Der Glaube an Gott ist nicht vergeblich, denn Gott besitzt unendlich größere Macht, Weisheit und Liebe, als der Glaube Ihm zugeschrieben hat oder Ihm jemals zuschreiben kann. Aber der Glaube muß sich zum Verständnis erweitern, ehe der Mensch seine Erlösung von Sünde und Krankheit in verständnisvoller Weise ausarbeiten kann. Jesus gab den Grundton der Lehre und Ausübung der Christian Science an, als er sagte: „Und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen!” Es ist klar, daß Jesus sich nicht auf menschliche Annahmen, Glaubenslehren und schulgemäße Anschauungen bezog, denn deren Anerkennung kann niemals das Wissen sein, das vom Übel frei macht.
Die Wahrheit ist wirklich, daher kann sie erkannt oder verstanden werden. Die Wirklichkeit und Macht der Wahrheit ist in keiner Weise von dem menschlichen Bewußtsein abhängig. Die Mathematik war ebenso wahr, ehe der Mensch ihre Regeln entdeckte und dieselben anwandte, wie sie es heute ist. Nur die Kenntnis der Mathematik hat der Welt die Segnungen und Wohltaten gebracht, die auf diese Wissenschaft zurückgeführt werden können. Das grundlegende Gesetz der Zahlen ist unwandelbar und kennt kein Ansehen der Person. Es kann von allen verstanden und angewandt werden. Und so ist es mit aller Wahrheit: sie bleibt ewig die selbe, um verstanden und unwiderleglich bewiesen zu werden.
Bei der Ausübung der Christian Science ist es das Wissen oder das Verstehen der Wahrheit — von dem Jesus erklärte es mache frei —, das den Kranken heilt und den Sünder bekehrt. Wenn sich auch das Wissen vermehrt, so kann es doch in keiner Weise von den einfachen Grundwahrheiten abweichen. Der Glaube strebt stets nach erweitertem und höherem Verständnis des zum Teil Erkannten. Deshalb können Glaube und wahre Wissenschaft oder wahres Wissen Hand in Hand für die Erhebung der Menschheit arbeiten. Im geistigen Sinn ist der Glaube der Vorläufer des Verständnisses; er weicht niemals ab von dem göttlichen Prinzip des Guten, sondern erhebt sich täglich zu einem höheren und geistigeren Bewußtsein von Gott und von dem Menschen, der geschaffen wurde in Gottes Ebenbild und der niemals von seinem erhabenen Standpunkte herabsank.
Schon der bloße Glaube an die Christian Science ist der Menschheit von Segen, weil er das Denken der rechten Richtung, nämlich der Betrachtung des praktischen Christentums zuwendet. Der Glaube an die Christian Science veranlaßt den Menschen, sich auf den Geist anstatt auf die Materie zu verlassen, wenn Hilfe nötig ist; aber nur das Verständnis der Christian Science befähigt den Schüler, ihre Lehren verständnisvoll anzuwenden — Lehren, welche die Macht der Wahrheit beweisen, alle Arten des Irrtums zerstören und den Menschen in der Tat frei machen.
