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„Dein Reich komme”

Aus der September 1911-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Als Jesus einstmals auf dem Ölberg saß, kamen seine Jünger zu ihm und fragten ihn: „Welches wird das Zeichen sein deiner Zukunft?” Sie hatten keinen Begriff von dem „fortwährenden Kommen des Christus” („Science and Health“, S. 230), sondern erwarteten ein aufsehenerregendes Wiedererscheinen ihres Meisters — ein äußeres Zeichen, welches das materialistisch gesinnte Volk wider dessen Willen überzeugen sollte. Trotz aller Unterweisung, welche die Jünger von Jesu erhalten hatten, wurde es ihnen schwer (wie es auch uns heute noch schwer wird), die große Tatsache zu erfassen, daß die Wahrheit stets gegenwärtig ist, daß das Reich Gottes im Bewußtsein ist, gemäß der Aussage Jesu bei einer andern Gelegenheit: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; man wird auch nicht sagen: Siehe, hie, oder: da ist es. Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.” Es war ihnen noch nicht klar geworden, daß das Reich Gottes nicht durch untätiges Warten verwirklicht wird, sondern durch geduldiges und unablässiges Bestreben, im eignen Bewußtsein das falsche Denken durch richtiges Denken zu ersetzen.

Auf das 24. Kapitel des Evangeliums Matthäus, in welchem obige Frage der Jünger verzeichnet ist, folgt eine Anzahl sehr bedeutungsvoller Gleichnisse. Ein jedes derselben ermahnt und ermutigt zu ernster Arbeit, zu beständiger Wachsamkeit und zu geduldigem Warten. Es ist in denselben von keinem „siehe hie” und „siehe da” die Rede, sondern wir werden fortwährend darauf hingewiesen, daß ein jeder von uns durch richtiges Denken und richtiges Handeln sein Seelenheil ausarbeiten muß, um das Reich Gottes auf diese Erde zu bringen. Die klugen Jungfrauen füllten ihre Lampen tagtäglich mit Öl, damit sie auf das Kommen des Bräutigams vorbereitet sein möchten. Der getreue Knecht, möge er viel oder wenig erhalten haben, benützte das ihm anvertraute Gut jeden Tag, um es bis zur Rückkehr seines Herrn zu vermehren. Die jenigen, die auf das jüngste Gericht warteten, speisten die Hungrigen und kleideten die Nackenden in täglichem liebevollen Dienste.

Die Gleichnisse sind für uns bestimmt. Das Licht der Wahrheit ist uns erschienen und wir sind von dessen Glanz geblendet worden, wie Parzival von dem heiligen Gral. Doch wie er, so finden auch wir die Wahrheit erst dann, wenn wir sie im täglichen Leben durch rechtes Denken und Handeln praktisch bewiesen haben. Die Christian Science ist nicht gekommen, um die Welt mit einem Schlage zu bekehren. Sie überzeugt die Welt vor allem durch den reinen Lebenswandel ihrer Anhänger. Mrs. Eddy sagt in „Science and Health“ (S. 514): „Fleiß, Bereitwilligkeit und Ausdauer ... tragen das Gepäck des festen Entschlusses und halten Schritt mit dem höchsten Zweck”. Wie leicht ist es uns doch geworden, im Licht der von uns erkannten Wahrheit jenen „höchsten Zweck” zu erfassen, und wie ungeheuer schwierig ist es für uns gewesen, den „festen Entschluß” samt seinem Gepäckzug des Fleißes, der Bereitwilligkeit und Ausdauer gleich schnell folgen zu lassen!

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