Zu den Werkzeugen, die ein Mensch in seiner geistigen Werkstatt zur Ausgestaltung einer gediegenen Laufbahn braucht, gehört ein gutes Gedächtnis. Gleich andern Werkzeugen rostet dasselbe, wenn man es nicht gebraucht, bleibt aber bei richtiger Anwendung blank. Für jene begabten Leute, deren Geist (um mit Byron zu sprechen), Eindrücke wie Wachs aufzunehmen und wie Marmor festzuhalten vermag, ist das Behalten ein ebenso natürlicher und müheloser Vorgang, wie das Sprechen und Atmen. Viele der geistig hervorragendsten Menschen haben diese Gabe besessen, während andre sich ihre Gedächtniskraft durch geistige Arbeit, die den körperlichen Übungen des Athleten an Strenge nichts nachgab, erworben haben. Herrscht doch allgemein die Annahme, daß das Gedächtnis durch geistige Übung ebenso entwickelt werden könne, wie Muskelkraft durch Turnen.
Der französische Philosoph und Gelehrte Pascal soll sein Gedächtnis durch langjähriges Studium dermaßen gestärkt haben, daß er jedes beliebige Kapitel aus der Bibel hersagen konnte. Bacon, dessen Gedächtnis Macaulay (der selbst ganze Bücher nach zweimaligem Durchlesen hersagen konnte) als geradezu phänomenal bezeichnete, sowie auch Milton, Scott und später Gladstone besaßen alle ein außerordentliches Gedächtnis. Eine so ungewöhnliche Fähigkeit ist zwar selten, doch ist es jedermann gegeben, sein Gedächtnis zu stärken. Er muß sich nur in der rechten Weise an seine Aufgabe machen und es an der nötigen Ausdauer nicht fehlen lassen. Zur Übung des Gedächtnisses sind viele Methoden ausgedacht worden; dieselben können aber den Christian Scientisten nicht locken, denn er besitzt in der Betätigung seiner Religion ein Mittel, das sie alle in den Schatten stellt. Durch sein tägliches Streben, die Unendlichkeit und Allmacht des Geistes (Mind) zu beweisen, stärkt er sein mentales Rüstzeug und steigert seine Fähigkeit, Eindrücke zu empfangen und festzuhalten. In „Science and Health“ lesen wir auf Seite 128: „Eine Kenntnis der Wissenschaft des Seins entwickelt die schlummernden geistigen Anlagen und Möglichkeiten des Menschen.”
Kein Christian Scientist braucht ein schlechtes Gedächtnis zu haben, vorausgesetzt, daß er den Wunsch nach einem guten Gedächtnis hat und sich in scientifischer Weise an die Erlangung eines solchen machen will. Hat er es aber einmal auf diesem Wege erlangt, so erweist es sich als eine einzigartige und unschätzbare Fähigkeit. Das durch die Christian Science neugestaltete und entwickelte Gedächtnis besitzt eine ebenso wundervolle wie seltene Eigenschaft: es vermag diejenigen Eindrücke, deren Haften vom übel wäre, rasch zu verwischen und die guten Eindrücke um so besser festzuhalten. Am schwersten lassen sich Erinnerungen an Umstände und Erlebnisse verbannen, von denen wir stark berührt worden sind. So kann es vorkommen, daß wir einen jüngst erhaltenen Freundschaftsbeweis vergessen, während wir vielleicht Eindrücke, welche durch Haß, Neid, Habsucht, usw. hervorgerufen wurden, wochen- und monatelang mit uns herumtragen. Wohl mag ein Mensch einsehen, daß es töricht, ja verwerflich ist, Kummer und Kränkungen, Fehler und Fehlschläge immer wieder durchzudenken; doch hindern ihn zwei Dinge am Vergessen: seine Unfähigkeit und seine Unwilligkeit in dieser Hinsicht.
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