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Das Judentum und die Christian Science

Aus der August 1912-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Es ist mit Recht gesagt worden, daß ein jeder gerade auf dem Wege zur Christian Science kommt, der durch seinen persönlichen Bewußtseinszustand bestimmt wird. Nirgends trifft dies wohl mehr zu, als bei denen, die im jüdischem Glauben geboren und erzogen worden sind. Ein Christ, welcher Sekte er auch angehöre, oder zu welchem Glauben er sich auch bekenne, steht immer mehr oder weniger in Verbindung mit dem Namen Christus oder dem Christentum. Es mag ihn einen harten Kampf kosten, seine besondere Religionspartei aufzugeben; er behält aber wenigstens den Anker des Christentums. Die Zeit schmilzt sehr rasch alle auf Glaubensbekenntnissen beruhende Unterschiede hinweg, und es ist somit für ihn verhältnismäßig leicht eine Religion anzunehmen, die auf die Lehren des Meisters gegründet ist.

Für den Juden jedoch ist die Sachlage gänzlich verschieden. Er wendet sich in der Regel deshalb der Christian Science zu, weil er durch traurige Zustände dazu getrieben wurde — weil er in dieser Richtung Befreiung von physischen Leiden erhofft, nachdem er sich vergebens anderwärts nach Hilfe umgesehen hatte. Was er anfangs für ein rein physisches Heilverfahren hielt, enthüllt sich ihm aber sehr bald als ein religiöses System, welches die Lehren und Unterweisungen desjenigen enthält, den er nicht nur für einen Abtrünnigen und einen Feind seines Glaubens gehalten hat, sondern in dessen Namen jene Verfolgungen betrieben wurden, die viele sogenannte christliche Länder mit jüdischem Blut getränkt haben. Er bringt somit die Leiden und Verfolgungen, denen die Juden ausgesetzt gewesen sind, mit dem Namen und den Lehren Jesu Christi direkt in Verbindung. Nun ist es wahr, daß das moderne Denken und die vorgeschrittene Lehre des liberalen Judentums dieses Gefühl bis zu einem gewissen Grade überwunden hat; tatsächlich aber ist bei einem großen Teil der Anhänger des Judentums noch heute ein Gefühl des Unterdrücktseins und oftmals des Grolls vorhanden, welches sich unwillkürlich gegen alles wendet, was zum Christentum gehört.

Es ist daher ganz begreiflich, daß der Jude die religiöse Seite der Christian Science mit Argwohn betrachtet und sich mit all seinen geistigen Kräften und ererbten Neigung gegen ihre Annahme sträubt. Nichtsdestoweniger haben Mrs. Eddys Lehren in Hunderten, wenn nicht in tausenden von Fällen bei Juden ungünstige Bewußtseinszustände beseitigt, so daß sie jetzt einsehen, daß es für sie das Richtige ist, Christian Scientisten zu sein.

Von persönlichen Erfahrungen ausgehend ist es leicht, den Pfad zu schildern, den ein Jude geht, der sich diese neu-alte Wahrheit zum Führer erwählt hat. Die Musterhaftigkeit des jüdischen Familienlebens ist sprichwörtlich. Der Jude ist von Natur religiös. Von Kindheit an steht er in enger Beziehung zu den feierlichen Gottesdiensten und Bräuchen, und dieselben machen einen tiefen Eindruck auf ihn. Er wird durch die wunderbare Geschichte seiner Rasse, durch ihre Erfahrungen als Gottes auserwähltes Volk begeistert. Hier sehen wir jedoch sofort ein schwaches Glied an dem modernen jüdischen System: der Glaube ist im wesentlichen ererbt und beruht nicht auf dem Verständnis von Gott, sondern vielmehr auf dem Gefühl des Stolzes auf die Vergangenheit des Volkes Israel und seine Taten. Es ist ein Glaube, dem hauptsächlich eine intellektuelle Auffassung der biblischen Berichte zugrunde liegt.

Man darf die Vortrefflichkeit des jüdischen Familienlebens, die offenherzige Wohltätigkeit der Juden sowie ihre vielen andern guten Eigenschaften wohl schätzen. Aber wenn das Kind zum Manne heranreift und sich den Fragen gegenübersieht, welche sicherlich auftauchen und mit denen er sich selbst abfinden muß, so erkennt er, daß seine Fragen in Bezug auf religiöse Dinge nicht zu seiner Zufriedenheit beantwortet werden, noch hat er Hoffnung, daß dies geschehen wird. Über die Richtigkeit der Grundlagen des Judentums besteht kein Zweifel, noch ist in den Prämissen dieser Lehre ein Fehler zu finden; aber die geistige Auffassung und das geistige Verständnis scheint zu fehlen, um den Juden von der Prämisse zu einer befriedigenden Schlußfolgerung zu führen. Der vorherrschende Kennzug der jüdischen Lehre scheint in der Neigung zu bestehen, sich an einen vermenschlichten Begriff von Gott zu klammern. Das Judentum gibt uns nicht die Auffassung von Gott, welche mit einer vernunftgemäßen, geistigen Auslegung der hebräischen Schriften im Einklang steht. Mit einem Wort: im Judentum, wie es heute gelehrt wird, scheint die geistige Idee zu fehlen, wie sie erklärt und dargestellt werden muß, um zur Erhebung des Menschen beizutragen und ihm die Fähigkeit zu geben, die Probleme des täglichen Lebens zu lösen.

Schreiber dieses war ein reges Mitglied einer jüdischen Gemeinde, bis er das Alter von dreißig Jahren erreicht hatte und fähig war, seine Schritte mit Überlegung zu tun; aber er fand nichts, was seine religiösen Anschauungen zu ändern vermochte, ausgenommen die Lehren der Freimaurer, welche an die Pforte seines Bewußtseins pochten und ihm einen wenigstens etwas bestimmteren Begriff von Gott als mit menschlicher Tätigkeit in Beziehung stehend gaben. Die Christian Science wurde ihm zur Kenntnis gebracht, nachdem er jahrelang am Magen, an Unterleibsbeschwerden und an den Nerven gelitten hatte, und nachdem alle materiellen Arten der Behandlung ohne Erfolg angewandt worden waren. Dem ersten Versuch auf dem Wege der Christian Science folgte nach kaum einer Woche physische Heilung. Das nähere Erforschen der Christian Science erregte jedoch sofort den angeborenen Widerwillen gegen alles, was mit dem Christentum zusammenhängt, ganz besonders gegen den Namen Jesus oder Christus. Die Folge war, daß der Verfasser die Werke der Christian Science dem Hypnotismus und ähnlichen Erscheinungen zuschrieb, für die er sich nun zu interessieren begann. Ausgedehntes Forschen in dieser Richtung brachte keinen befriedigenden Erfolg; vielmehr trat Verschlimmerung der ursprünglichen physischen und mentalen Leiden ein. Inzwischen hatte der Besuch der Synagoge keine Unterbrechung erlitten, und das Interesse für die jüdische Religion sowie für alles, was zum Judentum gehört, dauerte fort.

Endlich jedoch wurde ich durch die äußerste Not gezwungen, ein zweites Mal Zuflucht zu der Christian Science zu nehmen, da keine andre Hoffnung auf Hilfe vorhanden war. Während der letzten neun Jahre hat sich nun diese Lehre als ein großer Segen erwiesen. Die Heilung der verschiedenen physischen und geistigen Beschwerden, sowie die Befreiung von der Gewohnheit des Rauchens und von dem Verlangen nach alkoholischen Getränken kam langsam und war zuzeiten von großer Entmutigung begleitet; aber die Heilkraft der Christian Science bewies sich immer mehr, sowohl an mir wie an den Mitgliedern meiner Familie. Der eigentliche Wendepunkt kam jedoch erst dann, als ich anfing, ein höheres Verständnis von Gott zu erlangen — als ich Ihn als göttliches Prinzip kennen lernte. Mit andern Worten: ich mußte die religiöse Frage ausarbeiten, denn es wurde mir bald klar, daß die erstaunlichen, durch die Christian Science empfangenen Segnungen in Wechselbeziehung zu dieser Lehre standen, mit ihr verflochten waren und nicht von ihr getrennt werden konnten.

Nun begann der eigentliche Kampf, und es erforderte ununterbrochene Geduld und wiederholte Offenbarwerdungen der Macht der Wahrheit, um das Denken klar zu erhalten, und das Problem zu lösen. Eltern und andre Glaubensgenossen opponierten sehr stark, hielten mit ihrer Kritik nicht zurück und machten oft sehr lieblose Bemerkungen. Es schien ein geistiges Chaos eingetreten zu sein. Der Verfasser weiß, was es heißt, zwischen einem Gefühl der Treue gegen den alten Glauben und einem Gefühl der Dankbarkeit gegen den neuen hin- und hergezerrt zu werden; aber in diesem Kampf, wie bei allen andern Störungen, kam die Christian Science mit ihrer liebevollen Botschaft des Friedens und des Trostes und bewies klar, daß, wie unsre Führerin es erklärt hat, ein Jude Anhänger der Christian Science sein kann, ohne irgendeinen Teil der Fundamentallehren seines alten Glaubens aufzugeben; ja er gelangt zu der Überzeugung, daß das Studium der Christian Science und die Annahme ihrer Lehre mehr dazu beiträgt, das ursprüngliche Wesen und die Reinheit des Judentums ans Licht zu bringen, als irgendein andres Studium oder irgendeine andre Ausübung. Die Christian Science ist die lebendige Veranschaulichung der Mission Jesu, seinen eignen Worten gemäß: „Ich bin nicht kommen [das Gesetz] aufzulösen, sondern zu erfüllen.” Die Christian Science gibt dem Juden die klare Erkenntnis der wichtigen Elemente zurück, welche das Judentum bilden, und welche es zu dem machen, was es zur Zeit seiner Blüte war — zur Zeit, da es im strengen Gehorsam gegen das Gebot lebte: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.”

Das allumfassende Prinzip der Christian Science ist Gott, und der Mensch ist Sein Sohn, Sein Ebenbild und Gleichnis. Er ist so erschaffen, wie im ersten Kapitel des ersten Buchs Mose erzählt wird. Der Kern aller Lehren der Christian Science ist die allmächtige, allgegenwärtige, allwissende, unendliche Liebe Gottes — die Erkenntnis, daß es nur einen Geist, nur einen Vater gibt, und daß der Mensch Sein Kind ist. „Haben wir nicht alle einen Vater, hat uns nicht ein Gott geschaffen?”

Wenn wir bedenken, daß diese Gedanken dem Christian Scientisten fortwährend klar zum Bewußtsein gebracht werden; wenn wir sehen, daß der Christian Scientist beständig zur Betrachtung und Verehrung des einen Gottes, zum Gehorsam gegen Ihn und zur Kundgebung Seiner Eigenschaften angehalten wird, dann verstehen wir, weshalb ein guter Jude ein treuer Christian Scientist sein kann. Dem Juden mögen verschiedene Kennzeichen des jüdischen Glaubens einfallen, die dem Namen oder den Lehren Jesu entgegengesetzt scheinen, aber diese Punkte bilden keinen wesentlichen Bestandteil des Glaubens eines Menschen. Wenn die heutigen Juden die Verbrechen vergessen würden, die im Namen des demütigen Nazareners begangen, aber niemals durch seine Lehre und sein Beispiel gut geheißen wurden, so würden sie die ersten sein, das wunderbare Erbe des Sohnes Jesse anzuerkennen, der wohl der konsequenteste Jude aller Zeiten war.

Die Christian Science erkennt die wunderbaren Worte und Werke Jesu Christi an. Sie betrachtet Jesus nicht als Gott, sondern als den Ausdruck der Gottheit im Idealmenschen. Ferner lehrt sie, daß die Gottheit in gleicher Weise in uns zum Ausdruck kommen kann, wenn unser Leben die göttlichen Eigenschaften wiederspiegelt und wir dadurch an dem Wesen der Gottheit teilnehmen. Sie sieht in Jesus einen Ebräer von Geburt, der im ebräischen Glauben erzogen wurde, die Heilige Schrift erklärte, durch sein Leben und seine Worte den wahren Kern, die wahre Bedeutung der jüdischen Religion kundtat, und der nichts überging, als das Formenwesen und den leeren Schein des Buchstabens, wodurch ja doch nur der Geist der jüdischen Religion ertötet wurde. Sie sieht in Jesus einen gottähnlichen Menschen, der uns durch Demonstration den Weg zu Gott gezeigt hat. Sie hält ihn nicht für einen persönlichen Messias, sondern für den, der das messianische Prinzip, das Christus-Prinzip, die göttliche Wahrheit dartat und demonstrierte.

Bei einer Religion kommt es darauf an, wie sie sich zu dem einen Gott, unserm Vater, und zu dem Menschen, unserm Bruder, stellt. Die veränderlichen Vorschriften und Dogmen sind nur die Wege, auf welchen wir uns bei der Demonstration unsres Glaubens oder unsrer Treue bewegen. Solange unser Vertrauen auf das grundlegende Prinzip festbleibt, können wir gewiß sein, daß Gott, der unendliche Geist, für Seine Offenbarwerdung Sorge tragen wird und daß wir nicht vom rechten Wege abweichen können. Die Frage, welche Stellung man der Christian Science gegenüber einzunehmen hat, bewegt heute die Gemüter vieler Menschen, Juden sowohl wie Christen. Für den Juden ist sie schwerwiegend. Wie soll er sich zu einer Religion stellen, die sich dadurch bekundet, daß sie ein klareres Verständnis von Gott und von des Menschen Beziehung zu Ihm verleiht; zu einer Religion, die absolute Treue gegen den einen Gott fordert und die Liebe zum Mitmenschen einflößt? Was bezweckt denn der Jude? Hat er nicht den ernsten Wunsch (der die Basis aller wahren Religion bildet), daß das Reich Gottes auf Erden gegründet werden möge? Sucht er nicht das Seinige zu tun, damit der Zustand des irdischen Daseins verwirklicht werde, den der Prophet Jesaja mit folgenden Worten beschreibt: „Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen, und die Pardel bei den Böcken liegen. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben”?

Die denkenden Menschen unsrer Zeit stimmen so ziemlich darin überein, daß es der Zweck der Religion ist, den Menschen ein richtiges Verständnis von Gott zu geben und die Zeit herbeizuführen, da alle Nationen und Völker in vollem Maße die Vaterschaft Gottes und die Brüderschaft des Menschen sich verwirklichen werden. Der Jude wie jeder andre Religionsbekenner sollte daher willens sein, irgendeine andre Religion, mit der er in Berührung kommt, vorurteilsfrei zu prüfen, um festzustellen, ob sie dem oben genannten Zweck dient; und wenn dem so ist, sollte er ihre Hilfe und ihren Beistand willkommen heißen, wenn auch ihre Verfahrungsweise eine andre ist, als die der Religion seiner Väter. Er muß allen Religionen gegenüber tolerant sein. Die Christian Science wird alle Religionen der Welt läutern und neu beleben. Sie befähigt Juden und Christen, sich auf einem gemeinsamen Standpunkt zu vereinigen und die Differenzen zu beseitigen, welche zwischen ihnen zu bestehen scheinen.

Mrs. Eddy sagt in unserm Textbuch: „Vor alters haben die Juden den Galiläischen Propheten, den besten Christen auf Erden, um der Wahrheit willen, die er sprach und demonstrierte, hingerichtet, während sich heute Juden und Christen in Lehre und Kirchengemeinschaft auf eben dem Grunde der Worte und Werke Jesu vereinigen können. Der Jude glaubt, daß der Messias oder Christus noch nicht gekommen ist; der Christ glaubt, daß Christus Gott ist. Hier tritt die Christian Science vermittelnd ein, erklärt die doktrinären Punkte, hebt die Meinungsverschiedenheit auf und entscheidet die Frage. Christus als die wahre geistige Idee ist das Ideal Gottes, jetzt und immerdar, hier und überall. Der Jude, der an das erste Gebot glaubt, ist ein Monotheist; er hat einen allgegenwärtigen Gott. So vereinigt sich der Jude mit der Lehre des Christen, daß Gott gekommen und jetzt und immer gegenwärtig ist. Der Christ, der an das erste Gebot glaubt, ist ein Monotheist. Auf diese Weise vereinigt er sich im wesentlichen mit des Juden Glauben an einen Gott und erkennt, daß Jesus Christus nicht Gott ist, wie Jesus selbst erklärte, sondern, daß er der Sohn Gottes ist” („Science and Health“, S. 360).

Der Jude sollte die Christian Science willkommen heißen, nicht allein, weil sie ihm Hilfe in Leiden und Krankheit, sowie Frieden und Trost bringt, sondern auch, weil sie ihm eine klare Einsicht in das wahre Wesen des Judentums gibt, und weil sie die Schranken niederreißt, die Überlieferungen und Vorurteile zwischen ihm und seinem christlichen Nachbar aufgerichtet haben. Der Jude sollte die Christian Science willkommen heißen, weil sie die erste Bewegung im christlichen Zeitalter ist, welche die ursprüngliche Reinheit und Schönheit der jüdischen Religion vertritt; weil sie in unsrer Zeit mehr als irgendeine andre Macht dazu beiträgt, die ursprünglichen geistigen Lehren des Judentums wieder zur Geltung zu bringen; vor allem aber, weil sie es den Menschen ermöglicht, sich der Allgegenwart und Allmacht Gottes klar bewußt zu werden, so daß sie die volle Bedeutung der Worte des Psalmisten erfassen können: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt, und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott auf den ich hoffe.”

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