In der zweiten Epistel Pauli an die Korinther lesen wir: „Darum von nun an kennen wir niemand nach dem Fleisch; und ob wir auch Christum gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr.” Die Frage: „Was ist Wahrheit”? ist nicht nur zu Jesu Zeiten gestellt worden, sondern sie drängt sich auch den Menschen unsrer Zeit auf. Die Christian Science beantwortet sie in Jesu Weise, nämlich durch das Demonstrieren des göttlichen Prinzips oder der Wahrheit, die das Übel austreibt und die Kranken und Sünder heilt. In dieser Wissenschaft lernen wir verstehen, daß nur das Anspruch auf Wahrheit hat, was von Gott kommt oder gottgleich und daher geistig ist — nur das, was wahr gewesen ist, „ehe die Welt war”, und was allezeit wahr bleiben wird.
Als, dem Evangelium des Johannes zufolge, die Schriftgelehrten und Pharisäer ein Weib, das eines sittlichen Vergehens schuldig war, zu Jesus brachten und darauf bestanden, daß er sie nach ihrem Gesetz verurteile, antwortete er: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.” Ferner heißt es: „Jesus aber richtete sie auf; und da er niemand sah denn das Weib, sprach er zu ihr: Weib, wo sind die deine Verkläger? Hat dich niemand verdammt? Sie aber sprach: Herr niemand. Jesus aber sprach: So verdamme Ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.”
Als sich Jesus über das Zeugnis der materiellen Sinne zum Christus-Standpunkt erhob, schwand jeder Gedanke, das Weib als Sünderin zu verurteilen. Dieser erhabene Bewußtseinszustand, dem der Mensch als das reine Ebenbild Gottes erscheint, verbannte jedes gegenteilige Zeugnis oder jeden gegenteiligen Augenschein, und Jesus sah in der Frau einen Menschen, der hinfort nicht mehr sündigen konnte. Für den Menschen, der sich hoch genug erheben kann, um das Weltall vom Standpunkt Gottes aus zu betrachten, schwindet alle Selbstgerechtigkeit, Selbstverdammung und Illusion auf immer.
Jesus erklärte ein andermal: „Ihr richtet nach dem Fleisch; Ich richte niemand. So Ich aber richte so ist mein Gericht recht”. Als die Kranken, die Sünder und selbst die Toten vor ihn gebracht wurden, gingen sie geheilt von dannen, gereinigt durch sein erhabenes Denken und zu einer göttlichen Auffassung vom Leben erhoben. Auf diese Weise wurde die Allmacht der göttlichen Wahrheit demonstriert. Nachdem man die reinigenden und heilenden Wirkungen des Christus-Geistes erfahren hat, muß man sich, um frei zu bleiben, dem Gesetze des Lebens und der Liebe fügen und demselben gemäß leben. Sollte einer aus Schwäche wieder dem Irrtum verfallen, so vergegenwärtige er sich, daß die Arme der göttlichen Liebe jederzeit bereit sind ihm emporzuhelfen. Er wird schließlich zu der Erkenntnis gelangen, daß der wahre Mensch nie gefallen ist und das Übel nie an sich erfahren kann; daß der Versucher und der Versuchte eins sind und daß keiner von beiden Macht oder Gegenwart hat, weil Gott Alles ist. Dann wird er nicht nur selbst dauernd geheilt sein, sondern er wird auch jenes Verständnis von der unendlichen Liebe erlangen, das auf andre heilend wirkt.
Gottes Kind kann niemals einen Fehler begehen, niemals eine Gelegenheit versäumen, niemals Leid verursachen. Sein Leben wird durch unbegrenzte Güte, Hoffnung und Verheißung erhellt. Liebe hat einen Plan und einen Zweck für jeden einzelnen, und kein Kind Gottes kann sich demselben entziehen, ein jedes muß den Willen Gottes zur Ausführung bringen. Der Retter in jeder Not ist geistige Wahrheit — das, was nur von Gottes Standpunkt aus gesehen werden kann.” Denn Gott hat Seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß er die Welt richte, sondern, daß die Welt durch ihn selig werde.”
Göttliche Gerechtigkeit ist Barmherzigkeit, und unendliche Liebe trachtet immer nur danach, zu erlösen und zu heilen. Als einstmals die Jünger einen Blindgeborenen sahen und in der Meinung, die Sünde habe Macht einen Menschen krank oder sündig zu machen, Jesus fragten: „Meister, wer hat gesündiget, dieser oder seine Eltern, daß er ist blind geboren?” befreite Jesus, der ihre Gedanken las, den Menschen von der Last der Verurteilung, indem er sprach: „Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern daß die Werke Gottes offenbar würden an ihm.” Wenn wir uns in Gedanken einen Menschen als gut und einen andern als schlecht vorstellen, so wird unsre Arbeit in Verwirrung geraten; auch dürfen wir uns niemand als dem Irrtum verfallen denken, denn Gott, das Gute, ist der einzige Geist (Mind), der über den Menschen oder durch den Menschen denkt. Wer von dem Urteilsspruch eines falschen Gerichts, der Physiologie, der Arzneimittellehre, der scholastischen Theologie usw. befreit worden ist, erkennt, daß er in Wahrheit weder krank, unrein noch gefallen ist.
Ein Patient wendet sich an einen ausübenden Vertreter der Christian Science um Hilfe, weil dieser sich beständig die Wahrheit über Gott und den Menschen vergegenwärtigt. Der ausübende Vertreter hegt Gedanken der Gesundheit, nicht der Krankheit, und ist daher imstande, sich das ewig wirkende Gesetz vollkommener Harmonie zu vergegenwärtigen, welches eine jede Idee regiert. Mrs. Eddy sagt: „Du deckst die Sünde nicht auf, um dem körperlichen Menschen Schaden zuzufügen, sondern um ihn zu segnen; und ein rechter Beweggrund findet seinen Lohn” („Science and Health“, S. 453). Da das Übel keine Intelligenz besitzt, kann es keine systematische Verfahrungsweise haben. Unsre Pflicht als Christian Scientisten besteht darin, das Geistige zu lieben, daran fest zu halten und es zu demonstrieren. Die kranken Annahmen eines Patienten als Sünde oder Übel irgendwelcher Art zu bezeichnen, ohne sich ihrer Unwirklichkeit bewußt zu sein, heißt dem Übel in Gedanken Macht und Wirkungsfähigkeit zuschreiben. Wenn der Vertreter die Unwirklichkeit des Übels nicht erkennt, wird er nicht imstande sein, die tief wirksame Wahrheit zu erfassen, welche die Kranken und Sünder heilt. Mrs. Eddy sagt: „Weder Krankheit an sich, noch Sünde, noch Furcht hat die Macht, Krankheit zu erzeugen oder einen Rückfall herbeizuführen”. Ferner erklärt sie: „Ursache besteht nicht in der Materie, im sterblichen Sinn oder in physischen Formen” („Science and Health“, SS. 419, 262). Gott ist die erste und einzige Ursache, und dies ist unser Standpunkt, von dem aus wir die Nichtigkeit alles dessen beweisen, was Ihm unähnlich ist.