Viele Menschen, die die Christian Science nicht verstehen, äußern sich unfreundlich darüber, daß in der Christian Science für das Heilen Geld angenommen wird. „Jesus Christus”, so sagen sie, „sandte seine Jünger mit dem Befehl aus, weder Beutel noch Tasche mit sich zu führen. Wenn das Heilen eine göttliche Kraft ist”, erklären sie, „welches Recht hat dann ein ausübender Vertreter derselben, für die Ausübung einer allen freistehenden Kraft Geld anzunehmen?”
Wer sich so äußert, scheint nicht daran zu denken, daß Jesus aufs ausdrücklichste betonte, die Menschen sollten „dem Kaiser” geben, „was des Kaisers ist.” Das Wort Kaiser bedeutet im übertragenen Sinn Regierung, soziale Einrichtung. Während seines ganzen Lebens bezeugte Jesus tiefes Interesse für die menschlichen Bedürfnisse seiner Mitmenschen, wie auch für die bestehenden sozialen Einrichtungen. Sein erstes Wunder, das berichtet wird, war, bei einem Hochzeitsfest Wasser in Wein zu verwandeln, sein letztes, einen Knecht des Hohenpriesters zu heilen. Als der Knecht Jesus gefangen nahm, tat er nur seine Pflicht dem Gesetz gemäß, wie seine Vorgesetzten es auslegten.
Wenn der Heiland heute auf Erden wandelte, würde er etwa die Menschen weniger dazu anhalten, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist? Mit andern Worten, würde er sie nicht ermahnen, gute Bürger und hilfreiche Glieder der menschlichen Gesellschaft zu sein? Heute verlangt die Zivilisation Bürger, die sich selbst unterhalten, und verurteilt Schmarotzer. Nach unsern heutigen Begriffen von Ordnung und Zweckmäßigkeit steht der Reise-Doktor und Wander-Prediger in keinem hohen Ansehen mehr. Der Pastor wird für Bemühungen bezahlt, die als rein geistig angesehen werden, und niemand nimmt Anstoß daran. Das ärmste eifrige Kirchenmitglied wird sich nicht weigern, sein Teil zum Unterhalt seines Predigers beizutragen. Es will nicht, daß die Würde des seelsorgerischen Amtes dadurch geschädigt werde, daß der Prediger hinsichtlich seiner Einnahmen von der Laune seiner Mitmenschen abhängt. Der Geistliche muß leben und muß Muße haben, um sich den ihm anvertrauten Pflichten zu widmen. Er hat keine Zeit, auf andre Weise Geld zu verdienen; daher müssen die Menschen, denen er dient, für seinen Unterhalt sorgen. „Der Kaiser” verlangt von dem Geistlichen dieselbe Achtung vor den sozialen Formen, vor Gesetz und Ordnung, die vom Laien verlangt wird. In Amerika haben selbst die Eisenbahnen aufgehört, Predigern Preisermäßigungen zu gewähren. Ferner bezahlt das arme Kirchenmitglied seine Doktorrechnungen und fragt nicht, ob sie gerechtfertigt sind, besonders nicht, wenn, der Annahme gemäß, der Arzt das Leben eines Mitgliedes seiner Familie gerettet hat.
Warum sollte nun ein ausübender Vertreter der Christian Science, der einen Menschen von der mesmerischen Annahme der Krankheit sowohl wie der Sünde durch das Verständnis von Gottes Macht befreit hat, zum Bettler erniedrigt werden? Viele Menschen, die die Christian Science um Hilfe angehen, sind selbst keine Christian Scientisten und haben das Gefühl der Dankbarkeit noch nicht kennen gelernt, das ein höheres Verständnis von Gott und Seiner Güte mit sich bringt. Der Patient ist nur der Heilung wegen gekommen. Vielleicht denkt er, die Heilung dürfte nichts kosten, und er ist wohl einer der letzten, freiwillig eine Summe anzubieten, damit der ausübende Vertreter den Forderungen „des Kaisers” genügen möge. Die Heilung steht zweifellos allen frei; leider aber sind die Meisten von uns so beengt von Furcht und falschen Annahmen, daß das, was wir suchen, sich oft unserm Bereich entzieht. Daher benötigen wir die Hilfe eines Menschen, der vermöge seines klaren Verständnisses von Gottes Liebe uns den Weg zu dem kostbaren Geschenk erleuchten kann.
Angenommen, wir wären blind und man würde uns von einer wunderbaren Quelle erzählen, die uns unser Augenlicht wieder geben könnte: würden wir uns nicht sofort aufmachen, um sie zu suchen? Angenommen, diese Quelle läge tief verborgen, und ein gewundener und schwieriger Pfad führte zu ihr, den wir nur mit Hilfe eines treuen Führers gehen könnten. Ferner angenommen, dieser Mann verlangte keine Belohnung für seine Dienste als Führer und müßte daher seinen Lebensunterhalt durch andre Arbeit verdienen, so daß er keine Zeit hätte, uns an die Quelle zu führen: würden wir es nicht sehr gerne sehen, wenn er sich für seine Dienste als Führer bezahlen ließe, um stets zur Hand sein zu können? Würden wir nicht gerne unsre Dankbarkeit durch Zahlung eines Preises kundtun, so daß der Mann auch andre führen könnte? Die Christian Science gleicht dieser heilenden Quelle; sie steht allen frei, ist aber wegen der Blindheit jahrhundertelangen falschen Denkens verborgen gewesen. Die ausübenden Vertreter sind die Führer. Um mit Erfolg dienen zu können, müssen sie einen festen Wohnsitz haben, wo sie für die Hilfsbedürftigen erreichbar sind. Sie sollten anständig wohnen und über ihre Zeit verfügen können. Damit ihnen dies möglich sei, verlangt unser „Kaiser”, d. h. das Gesetz des Landes, Geld. Jesus erklärte: „Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert”. Ganz gleich, welchen ehrbaren Beruf ein Mensch im Leben haben mag: seine Arbeit kann unmöglich für ihn von Nutzen sein, ohne gleichzeitig seinen Mitmenschen zu helfen. Er kann daher mit Recht eine anständige Vergütung erwarten.
Niemals kann ein ausübender Vertreter der Christian Science für seine Kenntnis von der heilenden Wahrheit bezahlt werden. Nicht für seine geistige Arbeit läßt er sich bezahlen. Die Vergütung besagt nur, daß sein Dienst als Vermittler der Segnungen Gottes zu heilig ist, als daß er Mangel leiden dürfte. Sein Honorar ist notwendig, denn es ermöglicht ihm, sich seine Stellung als guter Bürger zu wahren und den Anforderungen der Zivilisation und des sozialen Lebens nachzukommen. Doch den wahren Lohn für seine Arbeit findet er im geistigen Wachstum und in einer höheren Fähigkeit, das Werk seines Vaters zu tun.