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„Sei willfertig deinem Widersacher bald”

Aus der Januar 1913-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Um das Gebot Jesu zu befolgen: „Sei willfertig deinem Widersacher bald, dieweil du noch bei ihm auf dem Wege bist”, muß man dessen Bedeutung klar erfaßt haben. Vor allem ist der Zusammenhang dieser Worte mit dem Vorhergehenden zu beachten. Jesus hatte einen scharfen Verweis gegen diejenigen ausgesprochen, die sich in ihrem Umgang mit den Mitmenschen vom Zorn oder Unwillen hinreißen lassen. Dann sagte er, wenn wir unsre „Gabe auf dem Altar” opferten, d.h. wenn wir uns mit unsern Gedanken geistigen Dingen zuwendeten, und es uns dabei einfalle, daß wir uns mit einem Mitbruder entzweit haben, so sollten wir uns sofort mit ihm aussöhnen und dadurch unsre Liebe gegen die Menschen bekunden, ehe wir behaupteten, Gott zu lieben. Hierauf folgt die obenerwähnte Stelle. Bei ihrer näheren Betrachtung drängen sich uns zwei Fragen auf: Wer ist unser „Widersacher”, und wie sollen wir ihm „willfertig” sein?

Wissenschaft und Gesundheit definiert den Begriff Widersacher als „jemand, der sich widersetzt, der leugnet, streitet” (S. 580). Unser Widersacher ist einer, der uns zuwiderhandelt, oder dem wir zuwiderhandeln. Wer auch immer oder was auch immer unserm Interesse widerstreitet, unsern Fortschritt hindert oder unser Wohl gefährdet, ist ein Widersacher. Ein Widersacher ist jedoch nicht immer ein Feind, wohingegen ein Feind immer ein Widersacher ist. Ich brauche nicht notwendigerweise mit einem, der sich mir widersetzt, in Feindschaft zu leben. Irgendein Mensch wird für mich zum Widersacher, wenn ich ihn als einen solchen betrachte. Daher ist mein Widersacher irgend etwas, von dem ich denke, daß es sich mir widersetzte, mich hindre oder mir Schaden zufüge. Der Schritt zur Versöhnung ist deshalb nötig, weil ich „eingedenk” bin oder denke, daß mein Bruder etwas wider mich habe. Ich muß ihn mir als einen Widersacher gedacht haben, sonst hätte ich nicht das Empfinden, daß er mir feindlich gesinnt sei. Wenn er nichts weiß von dem Unrecht, das ich ihm angetan habe, oder von dem Grund, warum ich ihn als meinen Widersacher ansehe, dann besteht der Zwist allein in meinem Bewußtsein. Seine Unwissenheit ändert jedoch nichts an der Sache, noch befreit sie mich von meiner Pflicht, mich auszusöhnen. Es schließt dies natürlich nicht die Möglichkeit aus, daß mein Widersacher schuld hat; d. h. seiner Handlungsweise mag ein irriger Gedanke zugrundeliegen. Wie kann ich nun willfertig sein, ohne den Irrtum zu entschuldigen oder mir den Schein zu geben, als ob ich ihm beistimme?

Das griechische Wort eunoio, welches in der deutschen Bibel an dieser Stelle mit „willfertig sein” übersetzt ist, bedeutet nicht ein Einräumen oder unterwürfiges Zugeben dessen, was man für falsch oder für fraglich hält. Bemerkenswert ist, daß einer namhaften Bibelkonkordanz zufolge dies die einzige Stelle ist, wo eunoio mit „willfertig sein” übersetzt ist. Es besteht aus zwei Worten: eu = gut, und nous = Sinn, Gesinnung, und hat also die Bedeutung von wohlgesinnt. Die Stelle könnte übersetzt werden: Sei deinem Widersacher wohlgesinnt.

Der Meister wollte wahrscheinlich mit diesen Worten sagen, wir sollten uns prüfen, ob wir gegen unsern Widersacher richtig gesinnt seien. Wenn ich das Empfinden habe, daß er ein Widersacher ist, oder wenn ich ihm nicht wohlgesinnt bin, so sind meine Gedanken offenbar nicht frei von Feindseligkeit, und mein Widersacher wird sich zu einen, Feind entwickeln. Solche Gedanken erweisen sich an und für sich schon als Widersacher, die mich dem Richter überantworten, worauf ich in den Kerker geworfen werde, bis ich den letzten Heller bezahlt habe. Wenn ich hingegen meine selbstsüchtigen, unfreundlichen Gedanken überwinde und gegen meinen Widersacher „willfertig”, d. h. „wohlgesinnt” bin, so werde ich ihm nur Gutes tun, und insoweit es an mir liegt, wird Freundschaft anstatt Feindschaft zwischen uns bestehen.

Dieselbe Regel gilt, ob es sich um Personen oder um Zustände handelt. Je nach unserm Begriff von Personen und Zuständen sind dieselben für uns entweder schädlich oder nützlich, hilfreich oder hinderlich. Paulus erkannte dies, und indem er seine Widerwärtigkeiten umkehrte, verwandelte er sie in Förderungsmittel. „Darum habe ich einen Wohlgefallen an Schwachheiten” (Zürcher Bibel), sagte er, und dadurch wurden sie ihm zu Stärkungsmitteln. Seine Erklärung: „Wenn ich schwach bin, so bin ich stark”, verwandelte seine Schwachheit in Stärke. In dieser Weise können wir alle uns zu dem Bewußtsein der Überlegenheit emporschwingen und, wie Mrs. Eddy auf Seite 419 von Wissenschaft und Gesundheit sagt, jedem widrigen Umstand als sein Herr entgegentreten. Wenn wir zögern oder der Furcht die Tür öffnen, so haben wir einen Widersacher, der uns dem Richter, der sterblichen Annahme, überantworten wird, und wir müssen dann die Folgen erdulden, die die sterbliche Annahme bestimmt hat. Wenn wir Gott als den Urheber oder Schöpfer alles Wirklichen anerkennen, wie das erste Buch Mose Ihn uns darstellt, und sehen dann irgend etwas, was Er erschaffen hat, als ein Übel an, so stellen wir Gottes Ideen falsch dar und umhüllen sie mit unsern falschen Begriffen. Wir tun ihnen sozusagen ein Unrecht an und machen sie dadurch zu unsern Widersachern. Indem wir einen Mißbegriff berichtigen und ihm die rechte Gesinnung entgegenbringen, ersparen wir uns die üblen Folgen dieses Mißbegriffs. Damit ist aber nicht gesagt, daß wir das Übel gutheißen sollen. Im Gegenteil: gegen das Übel wohlgesinnt sein heißt, ihm seine scheinbare Wesenheit nehmen, denn es hat keine Wesenheit, da ja das Gute alles ist. Den Fehler in der Rechenaufgabe eines Schülers könnte man seinen Widersacher nennen. Derselbe verhindert die Lösung seiner Ausgabe. Wie muß nun der Schüler diesem Widersacher willfertig sein? Nicht dadurch, daß er den Fehler für richtig erklärt, ihn übersieht, oder ihn vernachlässigt. Er muß vielmehr zu ergründen suchen, wo der Fehler steckt und was die auf denselben bezügliche Wahrheit ist. Er muß mit dem Fehler ehrlich und aufrichtig verfahren und es nicht an Beharrlichkeit fehlen lassen, bis das richtige Verständnis festgestellt ist und ihm der Fehler nicht mehr als etwas erscheint, was seine Arbeit hindern kann.

Ebenso verhält es sich in bezug auf die Schwierigkeiten im täglichen Leben. Es genügt nicht, sie einfach abzuweisen, sie als Irrtümer zu bezeichnen oder sie unwirklich zu nennen. Wir müssen in verständnisvoller Weise mit ihnen verfahren, müssen verstehen, warum sie unwirklich sind, müssen die auf sie bezügliche Wahrheit erkennen. Dadurch berichtigen wir das Empfinden, daß sie wirklich und schädlich seien, denn „das allein ist wirklich, was Gott wiederspiegelt” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 478).

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