Mein größtes Problem war von jeher das der Versorgung gewesen, ja dem sterblichen Sinn gemäß lag Armut in der Familie. Obschon ich bereits seit Beginn meines Studiums der Christlichen Wissenschaft Heilungen aufzuweisen hatte, so dauerte es doch lange Zeit, ehe der scheinbare Mangel an Versorgungsmitteln zu weichen begann. Ich erinnere mich, wie ich damals stets nach Zeugnissen forschte, die über Heilung von Beschränkung berichteten, und hoffe daher, daß meine Erfahrungen andern von Nutzen sein werden.
Nachdem ich etwa sieben Jahre mit der Christlichen Wissenschaft vertraut gewesen war, kam ich in die Stadt, wo ich jetzt lebe, in der Absicht, hier eine kleine Privatschule zu eröffnen. Nachforschungen, die ich angestellt hatte, sowie eine gründliche Erwägung aller Umstände ermutigten mich zu einem solchen Unternehmen. Mein Geldvorrat war gerade genügend, um die Auslagen während des ersten Monats zu decken, und die mitgebrachten Möbel reichten aus zur Einrichtung von zwei Zimmern der großen Wohnung, die ich zu mieten gezwungen war, da ich für meinen Zweck nichts Passenderes finden konnte.
Bei diesem Unternehmen stützte ich mich ausschließlich auf die göttliche Liebe, denn ich war mir bewußt, daß ohne ihren Beistand kein Erfolg möglich ist. Meine Schule wurde mit einem großen Quantum guten Willens und zwei Schülern eröffnet. Da mir dies jedoch nur zehn Dollars monatlich einbrachte, so erkannte ich klarer denn je zuvor die Notwendigkeit, mich vom Materiellen ab- und dem Geistigen, der unvergänglichen, unerschöpflichen Substanz des Guten zuzuwenden. Es folgte nun eines der härtesten Jahre meines Lebens, aber es brachte mir ein solches Wachstum an geistiger Erkenntnis, daß ich mich die ganze Zeit hindurch freuen konnte; ja ich weiß kaum, wo ich mit dem Aufzählen der Segnungen jener Tage beginnen soll. Ich hatte eine Gebetserhörung nach der andern. Fast schien es, als ob all die guten Leute, mit denen ich in Berührung kam, miteinander im Bunde standen, um mir zu helfen. Und doch kannten nur wenige meine näheren Umstände, denn ich hatte gelernt, dem Irrtum so wenig wie möglich Ausdruck zu geben.
Der Fußboden meiner Wohnung war völlig kahl, und dieser Umstand fiel einigen benachbarten Freunden auf, als sie mich eines Abends besuchten. Am folgenden Tag sandten sie mir einige Strohmatten, für die sie augenblicklich keine Verwendung hatten, sowie auch zwei Stühle. Die Strohmatten, welche übrigens in ausgezeichnetem Zustand waren, reichten aus für zwei Zimmer, während die beiden Stühle eine Zeitlang die einzige Küchenausstattung bildeten.
Es war mir sehr daran gelegen, zwei der Zimmer zu vermieten, doch glaubte ich, es werde dies schwierig sein, da sie unmöbliert waren. O die Schranken, mit denen wir uns selbst fortwährend umgeben! Eines Tages kam eine Dame, um sich die Zimmer anzusehen, und traf die nötigen Vorkehrungen zum Einziehen; später aber telephonierte sie, sie hätte ihre Pläne geändert. Trotzdem hatte ich das Gefühl, daß sie zu einem guten Zweck zu mir gesandt worden sei. Kurz darauf (es war am ersten kühlen Herbsttag) erkannte ich die Notwendigkeit eines Küchenofens. Bis jetzt hatte ich meine Mahlzeiten auf einem Petroleumofen zubereitet, doch dieser genügte nicht für Heizzwecke. Ich bekräftigte die Tatsache, daß jedes Kind Gottes ein Anrecht hat auf Schutz und Versorgung, und suchte mir zu vergegenwärtigen, daß in Wirklichkeit alles, was ich nötig hatte, für mich bereit stand.
Ich war mit dieser Wahrheitsbekräftigung noch nicht zu Ende als die Türglocke klingelte. Es war jene Dame. Sie war gekommen, um mir zu sagen, daß sie ihr Hausgerät in einem Lagerhaus untergebracht habe, mit Ausnahme des Ofens, den sie mir in Verwahrung geben wolle, da sie fürchtete, er werde rosten, wenn er nicht in Gebrauch sei. Später kaufte ich diesen Ofen, und er hat mir seitdem gute Dienste geleistet. Als er aufgestellt wurde, fehlte ein Stück des Rohrs, und ich hatte nicht die Mittel, es zu ersetzen. Das Wetter wurde jedoch wieder wärmer, so daß ich den Ofen nicht zu heizen brauchte. Als ich einige Tage darauf den Keller aufräumte, fand ich einige von früheren Mietsleuten zurückgelassene Rohrstücke, und eins davon erfüllte genau mein Bedürfnis, ja es brauchte auch nicht das geringste daran geändert zu werden, und ich konnte es selbst einsetzen. Außerdem fand ich einen Vorrat an Heizmaterial, der eine Zeitlang aushielt. Dieses Erlebnis ließ mich wie noch nie zuvor die tiefe Bedeutung des Bibelspruchs erkennen: „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von obenherab,” und ich sagte mir: „Gottes Gabe ist stets vollkommen und vollständig.” Dieser Gedanke hat sich mir sehr oft als überaus hilfreich erwiesen.
Meine Zimmer waren noch nicht vermietet, und ein Erlös von ihnen tat mir bitter not. Als ich eines Tages über die Sache nachdachte, überkam mich ein überaus großes Friedensgefühl, ja es war, als ob jemand zu mir gesagt hätte, „Dein Haus ist nicht leer, es ist erfüllt von der göttlichen Liebe.” Die Angelegenheit kam mir nicht mehr als ein Problem vor. Innerhalb drei Tagen waren die Zimmer vermietet, und zwar an einen Studenten und eine Studentin, Bruder und Schwester, die ihre eignen Möbel mitbrachten. Nicht nur das: sie besaßen auch eine Kücheneinrichtung, die wir gemeinschaftlich benutzten. Und so war einer weiteren Notdurft abgeholfen.
Ich hätte längst gerne ein Klavier gehabt, betrachtete dies aber als einen Luxusartikel, der meine Mittel weit übersteige, und somit dachte ich gar nicht weiter darüber nach. Als ich jedoch eines Tages mit einer Dame sprach, die gerade vor dem Problem stand, wie sie die Mittel zu der Erziehung ihrer Kinder aufbringen könnte, kam mir der Gedanke, daß das Kind Gottes zu jedem Vorteil, zu jedem Mittel des Fortschritts berechtigt ist. Ein Klavier bedeutete für mich das eine sowohl als das andre; deshalb wandte ich die Wahrheit an, mit dem Ergebnis, daß ich mich veranlaßt fühlte, meinen Wunsch, ein Klavier gegen dessen Benutzung in Verwahrung zu nehmen, durch eine Anzeige bekannt zu machen. Als Korrespondentin der lokalen Zeitung konnte ich gratis inserieren. Nachdem diese Anzeige sechs Wochen lang erschienen war, telephonierte mir eine Dame, daß ich ihr Klavier, welches sie nicht benütze, haben könne, wenn ich die Transportkosten tragen wolle. Diese erwiesen sich jedoch als zu hoch für meine Verhältnisse, obgleich ich erkannte, daß mir diese Gelegenheit nicht umsonst dargeboten worden war.
Ich erzählte die Sache einer Freundin, um ihr zu zeigen, wie sehr wir alle Ursache haben, dankbar zu sein; und obschon ich nicht wußte, auf welche Weise ich in den Besitz des Klaviers gelangen könnte, bekräftigte ich meine Worte mit der Bemerkung, daß auch dieser Notdurft abgeholfen werden würde, denn Gottes Gaben seien vollständig und vollkommen. Ganz unerwarteterweise erhielt ich das Klavier durch jene Freundin zugesandt, ohne die Spesen bezahlen zu müssen. Als ich jedoch darauf spielen wollte, sah ich, daß mehrere Tasten nicht von selber in ihre ursprüngliche Lage zurückkehrten. Zuerst war ich darüber sehr enttäuscht, denn das Klavier schien nutzlos zu sein. Doch gleich vernahm ich die tadelnde und zurechtweisende Stimme der Wahrheit. An jenem Abend kam eine Nachbarin, um sich dieses jüngste Geschenk der Liebe anzusehen, und ich zeigte ihr den Defekt. Es stellte sich heraus, daß sie früher Musiklehrerin gewesen und mit dem Mechanismus eines Klaviers genügend vertraut war, um den Fehler berichtigen zu können. Das Klavier hatte einen prächtigen Ton und bereitete mir viel Genuß. Nun war meine Hauseinrichtung vollständig. Gottes Gaben sind in der Tat vollkommen!
Mit dem kalten Wetter stellte sich auch die Notwendigkeit eines Heizapparates für mein Schulzimmer ein. Meine Mittel erlaubten mir scheinbar weder den Ankauf eines solchen noch die hohen Ausgaben für Brennmaterial zur verschwenderischen Kaminheizung. Das sterbliche Gemüt ist immer zur Hand mit Hindernissen und mit der Erklärung, es gebe keinen Ausweg. Als wir uns eines Sonntags vor dem Gottesdienst am Heizofen in der Kirche die Hände wärmten, machte ich gelegentlich die Bemerkung, daß ich mir einen solchen Ofen nach kleinerem Modell wünsche. Die Dame, mit der ich sprach, sagte: „Wir haben einen von dieser Sorte zu Hause, den wir nicht brauchen. Er ist im Keller. Sie können ihn haben; er ist ja da, um gebraucht zu werden.” Aus demselben Keller kam dann auch ein Gasofen, der in meiner Küche sehr gute Dienste leistete. In dieser Weise wurde ich von der göttlichen Liebe veranlaßt, meiner Notdurft im richtigen Augenblick Ausdruck zu geben, ohne zu wissen, wie ihr abgeholfen werden würde.
Inzwischen hatte die Zahl meiner Schüler zugenommen. Außer meiner Tätigkeit als Lehrerin verrichtete ich noch andre Arbeit — irgendetwas, was mir in den Weg kam und meine Einnahmen zu erhöhen versprach; ja ich gestattete dem sterblichen Gemüt, mich bis zur völligen Erschöpfung anzutreiben. Endlich sah ich ein, daß, weil ich zu viel auf einmal unternahm, ich nichts gründlich tun konnte und nebenbei in Gefahr stand, das Studium der Christlichen Wissenschaft zu vernachlässigen. Deshalb verwandte ich von da an mehr Zeit auf geistige Arbeit als auf materielle. Es gab Tage, wo ich mir vergegenwärtigen mußte, daß der Mensch nicht von Brot allein lebt, Tage, wo das Leben nichts als ein mühseliger Kampf zu sein schien, wo es mir sehr schwer ums Herz war und ich scheinbar Schritt für Schritt zurückgedrängt wurde, bis ich, von einer Mauer aufgehalten, nicht mehr weiter konnte. Wenn ich mich aber dann voller Verzweiflung umwandte, gewahrte ich, daß diese Mauer die göttliche Liebe war. In solchen Tagen lernte ich, wie nie zuvor, daß Gott mit uns ist, daß Er Alles ist. Während der härtesten Monate hatte ich die liebreiche Hilfe einer ausübenden Vertreterin, aber eine lange Zeit hindurch wurde nur den geringeren täglichen Bedürfnissen abgeholfen; die scheinbare Macht der Armut schien unbesiegbar.
Eines Tages ließ mich die ausübende Vertreterin zu sich kommen und sagte mir, sie hätte die Wurzel des Übels gefunden. Sie fragte mich, ob ich die christlich-wissenschaftlichen Schriften besitze. Damals hatte ich ein altes Exemplar von Wissenschaft und Gesundheit, dessen Seitenzahlen nicht mehr mit den in den Bibellektionen angegebenen übereinstimmten, so daß ich genötigt war, die Lektionspredigten im Lesezimmer zu studieren. Daneben hatte ich nur „Unity of Good,“ und der „Sentinel“ wurde mir wöchentlich geliehen. Als ich die Vertreterin verließ, sah ich ein, wie töricht es wäre, wenn ein Arbeiter seine Arbeit ohne die notwendigen Werkzeuge verrichten wollte. Mein Entschluß war gefaßt, und trotz aller Einsprüche des sterblichen Gemüts trug ich das nächste bare Geld, das ich erhielt, tapfer ins Lesezimmer (es schien als ob ich es zu fünfzig andern Zwecken verwenden könnte), kaufte mir das Textbuch und abonnierte auf die Zeitschriften. Nach und nach schaffte ich mir alle Werke unsrer verehrten Führerin an.
Mit jenem Entschluß fing auch meine Befreiung an. Kurz darauf wurde mir eine gute Stelle in einer großen Privatschule angeboten. Ich nahm sie natürlich an und wurde dadurch der unmittelbaren Geldsorgen enthoben, so daß ich jetzt mein Problem mehr unpersönlich betrachten konnte. Etwas später wurde mir das Vorrecht zuteil, als Leserin einer Kirche der Christlichen Wissenschaft gewählt zu werden, und die dadurch entstehende Notwendigkeit, mich in höherem Maße der Wahrheit zu weihen, brachte mir geistiges Wachstum, wofür ich nie dankbar genug sein kann. Das Gebet vieler Jahre, daß sich mir der Weg öffnen möchte zum ausschließlichen Dienst an der Sache der Christlichen Wissenschaft, an diesem großen Werk mit seinen unbeschränkten Möglichkeiten zu segnen und gesegnet zu werden, ist damit in Erfüllung gegangen.
Ich bin noch nicht ganz frei, aber die falsche Macht des sterblichen Sinnes ist gebrochen, und ich kann furchtlos vorwärts streben. Die Wahrheit lehrt mich, meine Gläubiger zu lieben anstatt sie zu fürchten, und sie sind mir dafür mit Geduld und brüderlicher Liebe entgegengekommen. Ich bin sowohl des Kampfes wie des Sieges froh. Mein Bekanntwerden mit dem Reichtum der Gnade Gottes veranlaßt mich, andre auf die folgenden wunderbaren Verheißungen aufmerksam zu machen: „Fürchte dich nicht, Ich bin mit dir; weiche nicht, denn Ich bin dein Gott; ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich erhalte dich;” „So du durch Wasser gehest, will Ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehest, sollst du nicht brennen; ... weil du so wert bist vor meinen Augen geachtet, mußt du auch herrlich sein, und Ich habe dich lieb; ... fürchte dich nun nicht.”