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Geistige Auslegung

Aus der März 1916-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Wer sich lange mit dem Studium der wörtlichen und materiellen Auslegung der Bibel befaßt, läuft Gefahr, die geistige Auslegung aus den Augen zu verlieren. Die rein wörtliche Auslegung verdunkelt die Erkenntnis des göttlichen Erbarmens, das in der Bibel zum Ausdruck kommt; sie läßt den Leser die Botschaft des Heils, die sie in sich birgt, nicht erkennen. Worte legen Ideen aus, aber wo kein Idealismus ist, da findet günstigstenfalls eine leere Wortdeutung statt.

Mrs. Eddy, die Verfasserin des Lehrbuchs der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, fand eine Welt vor, welche metaphysische Ideen nur in geringem Grade zu erfassen vermochte, und es fiel ihr deshalb manchmal schwer, ihre Gedanken in Worten darzulegen. Daß es ihr so gut gelungen ist, der Menschheit die heilenden und erlösenden Ideen zugänglich zu machen, muß als eine wunderbare Leistung angesehen werden. Durch ihre Werke hat Mrs. Eddy die geistige Auslegung der Bibel gemeinverständlich gemacht und in den Bereich aller gebracht.

Die Christliche Wissenschaft hat eine wahre Wiederbelebung der Bibelforschung zur Folge gehabt. Noch nie ist die Heilige Schrift so systematisch studiert worden wie heutzutage, und zwar geschieht es nicht im Interesse phantastischer Gelehrsamkeit oder der sogenannten höheren Kritik, sondern um praktische Lehren aus ihr zu gewinnen. Die christlich-wissenschaftlichen Lektionspredigten, welche aus Schriftstellen und denselben entsprechenden Abschnitten aus Wissenschaft und Gesundheit zusammengesetzt sind (siehe „Erklärende Bemerkungen” auf Seite 2 der Herold-Beilage), werden täglich von Tausenden und aber Tausenden gelesen, die sich dadurch unbegrenzte geistige Schätze aneignen und sie verwerten lernen. Dies wäre nicht der Fall gewesen, wenn die Menschen bei der hoffnungslosen materiellen Auslegung verharrt hätten, wie sie vor der Entdeckung der Christlichen Wissenschaft allgemein verbreitet war.

Die meisten Bibelforscher unsrer Tage waren durch die ungenügende Erklärung von Begriffen wie Versöhnung, Abendmahl, das jüngste Gericht, die ewige Verdammnis usw. mutlos geworden. Ihr Herz sehnte sich nach Aufklärung über des Menschen Beziehung zu Gott und zu dem Christus. Das beständige Wiederholen unglaublicher Lehrbehauptungen hatte viele von ihnen in den Abgrund des Unglaubens getrieben. Andre waren ihrer Kirche treu geblieben und wollten die Hoffnung nicht aufgeben, daß ein neues Licht die Finsternis, welche sie zu umgeben schien, plötzlich durchbrechen würde.

Dieses langersehnte Licht kam in ganz unerwarteter Weise, aber nicht aus den schon vorhandenen Kirchen, nicht aus den Pflanzstätten anerkannter Gelehrsamkeit, sondern durch eine gewissenhafte Frau, die bereit war, die Offenbarung des wissenschaftlichen Christentums zu empfangen. Die Welt hat viele Jahre gebraucht, um sich von ihrem Staunen zu erholen und die Linderung, nach welcher sie sich so sehr gesehnt hatte, da zu suchen, wo sie wirklich zu finden ist. Heute ist die Lehre und die Betätigung der Christlichen Wissenschaft in der ganzen Welt bekannt, und die geistige Auslegung der Heiligen Schrift ist ebenso allgemein.

Ein großer Teil der abfälligen Kritik über die geistige Auslegung der Bibel ist auf den Umstand zurückzuführen, daß die Kritiker nicht verstehen, welche Bedeutung die Christliche Wissenschaft den Worten wirklich und unwirklich beimißt. Solange sie sich darüber nicht klar sind, können sie nicht über diesen Gegenstand reden. Allgemein gesagt betrachtet die Christliche Wissenschaft nur das als wirklich, was gottähnlich ist, und alles, was dem göttlichen Wesen nicht entspricht, nennt sie unwirklich. In diesem Sinne ist das Böse jeder Art offenbar unwirklich. Niemand kann behaupten, daß das Böse göttliche Eigenschaft oder göttliche Macht habe. Auf diese Auffassung gestützt erklärt die Christliche Wissenschaft, daß das Böse unwirklich ist, daß es weder wahren Ursprung noch wahre Wesenheit besitzt und somit vernichtet werden kann. Jesus sagte von dem vermeintlichen Urheber des Bösen, er sei „ein Lügner und ein Vater derselbigen,” woraus ersichtlich ist, daß seiner Auffassung zufolge das Böse seinen vermeintlichen Ursprung in einer Lüge hat.

Nun kann man von einer Lüge nicht sagen, sie sei wirklich, denn sonst wäre sie wahr. Der findigste Kopf ist nicht imstande, das menschliche Bewußtsein dazu zu bringen, daß es an eine wahre Lüge glaubt. Dies erinnert uns an einen Erzieher an einem fürstlichen Hofe, der den jungen Prinzen in seinen lateinischen Kenntnissen zu prüfen hatte. Als der fürstliche Zögling gefragt wurde, was „schwarz” auf lateinisch heiße, antwortete er mit dem lateinischen Wort für „weiß.” Der Erzieher, der sich gefällig erweisen wollte, äußerte die Ansicht, das hier in Frage kommende Weiß sei allerdings von dunkler Schattierung, es grenze mehr oder weniger ans Graue, ja es sei wirklich ein ganz dunkles Grau und könne daher besser als schwarz bezeichnet werden. Die größte Mundfertigkeit vermag jedoch das Böse nicht anders erscheinen zu lassen als schwarz. Wenn man es auch weiß nennt, so ändert das sein wahres Wesen doch keineswegs; es wird dadurch nicht gottähnlich oder wirklich.

Aus gleichen Gründen kann die Christliche Wissenschaft die Wirklichkeit von Sünde, Krankheit und Tod nicht zugeben, obschon sie anerkennt, daß diese Erscheinungen den Sterblichen sehr wirklich vorkommen. In Anbetracht aber der metaphysischen Auffassung, nämlich, daß nur das Gottähnliche wirklich ist, und daß alles, was dem Wesen Gottes nicht entspricht, unwirklich sein muß, kann man nicht behaupten, daß Sünde, Krankheit und Tod gottähnlich und deshalb wirklich seien. Daher fallen sie unvermeidlich unter die Rubrik des Unwirklichen,

In gleicher Weise muß auch die Materie in das Reich des Unwirklichen verwiesen werden. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Materie den materiellen Sinnen unwirklich erscheint; vielmehr ist sie der physischen Wahrnehmung gemäß alles, was besteht. Aber die Materie ist Gott unähnlich und somit unwirklich. Sagte nicht Jesus zu dem Weib aus Samaria: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten”? Da Gott Geist ist, so kann Er nicht materiell sein. Geist und Materie sind Gegensätze. Beide können nicht wirklich und unvergänglich sein. Gott ist wirklich, und da die Materie Gott unähnlich ist, so ist sie metaphysisch unwirklich.

Verfolgen wir diesen Gedanken weiter, so führt er uns zu dem Schluß, daß der materielle oder sterbliche Mensch nicht der wahre, gottgeschaffene Mensch sein kann. Wenn die Materie Gott unähnlich ist, so muß es der materielle Mensch gleichfalls sein. Wenn in diesem Sinne die Materie unwirklich ist, so ist der materielle Mensch ebenso unwirklich. Das soll jedoch nicht heißen, daß der materielle Mensch den physischen Sinnen nicht wirklich erscheint; vielmehr ist er der einzige Mensch, dessen sie gewahr werden. Aber das macht den materiellen Menschen nicht wirklich, denn das Zeugnis dieser Sinne befaßt sich nur mit den Kundwerdungen der Materie; und da die Materie unwirklich ist, so muß ein solches Zeugnis auch unwirklich sein. Und die Sinne selbst? Da sie materiell sind und nur von materiellen Dingen Kenntnis nehmen können, so sind sie, ebenso wie ihr Zeugnis, unwirklich.

Was bleibt dann von der Wirklichkeit übrig? Alles, was geistigen Ursprung, geistiges Wesen, geistige Existenz, Macht und Güte hat. Gott und der zu Seinem Bilde geschaffene Mensch bleiben übrig. Das unendliche Weltall beruht auf Gottes ewig wirkendem Gesetz, welches Seine Schöpfung erhält, ernährt und beschützt. Die Christliche Wissenschaft vernichtet kein einziges Sonderwesen, keinen einzigen Gegenstand im Weltall. Hingegen erklären ihre Lehren, daß die Wirklichkeit des Seins geistig oder mental und nicht materiell ist. Da die gesamte Schöpfung der Ausdruck des einen Urgrundes ist, so muß sie an dem Wesen Gottes teilnehmen, muß mit Gott verwandt sein. Gott ist Geist; daher ist der von Ihm geschaffene Mensch geistig, und dies ist die Wahrheit über den Menschen. Da Gott durchaus gut ist, so ist Seine Schöpfung auch gut, und dieses Gleichsein mit Gott ist es, das die Wirklichkeit des Weltalls und des Menschen bestimmt. Mrs. Eddy sagt auf Seite 208 von Wissenschaft und Gesundheit: „Laßt uns von dem Wirklichen und Ewigen lernen und uns auf das Reich des Geistes, auf das Reich des Himmels vorbereiten — auf das Reich und die Herrschaft der allumfassenden Harmonie.”

Die Menschheit lernt durch das Zeugnis der geistigen Sinne das Wirkliche erkennen und es vom Unwirklichen unterscheiden. Es ist dies die einzige Art und Weise, wie man die geistigen Schätze, welche die Bibel birgt, sich aneignen kann. Vermöge der Erkenntnis des Unterschieds zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen wird der Bibelforscher instand gesetzt, die herrlichen Botschaften des Heils, die die Heilige Schrift enthält, zu vernehmen. Nur so kann das Buch der Bücher seinen wahren Zweck erfüllen, nämlich, die Sünder zu bekehren und die Kranken zu heilen. Nur durch die geistige Auslegung können wir den Buchstaben meiden, der da tötet, und zu der Erkenntnis gelangen, daß Gott, die göttliche Liebe, wirklich und ewig ist.

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