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Wahres Mitgefühl

Aus der März 1916-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Wie viele andre Wörter, so erscheint dem Schüler der Christlichen Wissenschaft auch das Wort Mitgefühl in einem neuen Lichte. Das Wörterbuch bestimmt es als „Anteil haben an jemandes Gefühl.” Den Christlichen Wissenschaftern wird oft vorgeworfen, daß sie den Hilfsbedürftigen kalt und teilnahmslos gegenüberständen. Es ist dies eine oberflächliche Anklage, denn sie macht keinen Unterschied zwischen wahrem und falschem Mitgefühl. Wahres Mitgefühl ist stets hilfreich; es erleichtert dem Schwerbeladenen die Last und reicht dem Leidenden auf dem steilen Pfad eine helfende Hand. Falsches Mitgefühl vergrößert die Last oder veranlaßt den Vorwärtsstrebenden, sich in stumpfer Ergebung am Wegesrande niederzulassen. Nur Eigenliebe und Selbstbedauern kann solches Mitgefühl wünschen.

Zwei Freundinnen, die beide Christliche Wissenschafterinnen waren, stiegen einst von der Straßenbahn ab und mußten dann noch ungefähr zwanzig Minuten über eine schlechte Straße gehen, bevor sie ihr Heim erreichten. Eine von ihnen hatte sich am Fuß verletzt, und als sie den Wagen verließ, sagte sie: „Ich glaube kaum, daß ich zu Fuß nach Hause gehen kann.” Falsches Mitgefühl würde geantwortet haben: „Ach du Arme, du tust mir leid. Wie kann ich dir helfen? Stütze dich auf meinen Arm.” Und die beiden würden ängstlich und mühsam die Straße entlang gehinkt sein. Das wahre Mitgefühl jedoch sprach nicht also. Es sagte: „Du bist das vollkommene Kind Gottes; Seine Macht und Stärke erhält dich. Du kannst dir die Wahrheit der biblischen Verheißung vergegenwärtigen: ‚Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden, ... daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden‘.” Durch die Vergegenwärtigung des Sinnes dieser Worte stützte sie sich auf die Wahrheit, anstatt auf einen sterblichen Arm, und, durch diese Bekundung wahren Mitgefühls ermutigt, machte sie sich entschlossen auf den Weg. In weniger als einer Viertelstunde schritt sie sicheren Fußes und ohne Schmerzgefühl über die gefrorene, von tiefen Wagenspuren durchzogene Straße. Was hätte Selbstbedauern ihr genützt? War nicht das Wort der Wahrheit, das ihr über die Schwierigkeit hinweghalf, von weit höherem Wert als falsches Mitgefühl, das ihrem Fortschritt nur hinderlich gewesen wäre? Und doch würde ein Außenstehender die Verneinung des Schmerzes als teilnahmlos bezeichnet haben!

Wir können das Böse nie überwinden, solange wir es hätscheln. Zuweilen scheinen wir größere Erleichterung zu empfinden, wenn unsre Freunde unserm empfindlichen Wesen gegenüber Teilnahme bezeugen, als wenn uns ein Freund mutig, liebevoll und wahrhaft mitfühlend sagt, daß Empfindlichkeit nur ein andrer Name ist für Selbstsucht und Schwachheit, und daß Selbstbedauern den Fortschritt hemmt. Aber welche Art Mitgefühl bringt uns dem Himmelreich, dem harmonischen Sein näher?

Das Böse wird auch nicht dadurch vernichtet, daß man ihm Glauben schenkt. Wer legt nach einem schrecklichen Unglück größeres Mitgefühl an den Tag: derjenige, der erbebt und weint und das entsetzliche Bild in seinem Bewußtsein beherbergt, oder derjenige, der sofort die Vollkommenheit des göttlichen Prinzips bekräftigt, sein Bewußtsein den Gedanken des Todes und des Unglücks verschließt und auf der Unwirklichkeit aller Disharmonie und der Ungültigkeit aller vom sterblichen Sinn aufgestellten Gesetze besteht? Welcher von ihnen macht die Last der Menschheit schwerer, und welcher von ihnen bringt die Welt der Erlösung vom Glauben an die „sinnlose Raserei des sterblichen Gemüts” näher (Wissenschaft und Gesundheit, S. 293)? Angenommen, der sogenannte Unfall habe sich in unsrer Nähe ereignet, wer könnte schnellere und bessere Hilfe leisten: derjenige, der sich die Allheit des Guten zu vergegenwärtigen weiß, oder derjenige, der an die Macht des Bösen glaubt?

Die Art unsres Mitgefühls hängt von unsrer Auffassung vom Mitmenschen ab. Glauben wir an einen sterblichen Menschen, so bringen wir ihn durch falsches Mitgefühl leicht auf eine tiefere Stufe der sterblichen Vorstellung. Sind wir andrerseits in der Christlichen Wissenschaft unterrichtet, so sehen wir den Menschen nur so, wie Gott ihn geschaffen hat, und das ihm in freundlicher und liebevoller Weise entgegengebrachte Mitgefühl trägt dann zur größeren Entfaltung dieses Ideals bei.

Obwohl wahres Mitgefühl diesen Namen manchmal nicht zu verdienen scheint, obwohl wir uns hin und wieder in einer Gemütsverfassung befinden, wo wir glauben, wir bedürften mehr der zärtlichen Teilnahme als der Ermahnung, so werden doch solche Augenblicke dank unsres wachsenden Verständnisses der Christlichen Wissenschaft immer seltener. Tief in unserm Innern finden wir allezeit das Verlangen, in dieser Wissenschaft eine höhere Stufe zu erreichen; auch wissen wir, daß wir nicht vorwärts kommen, wenn wir uns auf eine sterbliche Persönlichkeit stützen, sondern allein durch das absolute Festhalten an der Wahrheit.

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