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Der Dämmerschein des Friedens

Aus der März 1916-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen und Empörungen, so entsetzet euch nicht. Denn solches muß zuvor geschehen.” So sprach Christus Jesus einstmals zu seinen Jüngern in bezug auf die endliche Zerstörung aller materiellen Dinge. Mit dem den strenggläubigen Juden eignen Stolz hatten sie ihn darauf aufmerksam gemacht, daß der Tempel „geschmückt wäre von feinen Steinen und Kleinoden,” und seine Antwort muß sie in Erstaunen versetzt haben. „Es wird die Zeit kommen,” sagte er, „in welcher des alles, das ihr sehet, nicht ein Stein auf dem andern gelassen wird, der nicht zerbrochen werde.” Den Juden muß die Zerstörung ihres Tempels als eine nahezu undenkbare Katastrophe erschienen sein, und man darf sich daher über ihre ängstliche Frage: „Wann soll das werden?” nicht verwundern.

Jesus erklärte hierauf seinen Jüngern, was unvermeidlich geschieht, wenn altehrwürdige Systeme und Annahmen höherem geistigen Verständnis Platz machen, und den erstaunten Zuhörern muß es geschienen haben, als ob die Erde geradezu unter ihren Füßen in Schutt und Staub zerfallen werde. Hungersnot, Pestilenz und große Erdbeben, sagte er, würden über die Welt kommen, das Meer und die Wasserwogen würden brausen, und die Menschen würden verschmachten vor Furcht. „Auf Erden wird den Leuten bange sein, und werden zagen,” waren seine Worte. Ein Volk würde sich aufwerfen wider ein andres, Königreich würde streiten wider Königreich, Aber mit der Liebe, die stets selbst seine inhaltsschwersten Aussprüche begleiteten, ermahnte er die Jünger, nicht entsetzt zu sein: „Wenn aber dieses anfänget zu geschehen, so sehet auf und erhebt eure Häupter, darum daß sich eure Erlösung nahet.”

Die Christlichen Wissenschafter tun wohl, um jene Seelenruhe zu bitten, die sie in jeder weitverbreiteten Unruhe und in jedem allgemeinen Aufruhr nur ein Zeichen der Zeit erblicken läßt. Jesus rügte einst die Kurzsichtigkeit derer, die „die Gestalt der Erde und des Himmels” zu „prüfen” vermochten, aber für die tiefere Bedeutung geistiger Dinge blind waren. Die traurigen Erlebnisse, welche ein großer Teil der Welt gegenwärtig durchmacht, sind nichts andres als die Erfüllung dessen, was prophezeit war — die moralische Chemikalisation oder Aufwallung, welche stattfindet, wenn das Alte durch das Neue verdrängt wird, Mrs. Eddy schreibt auf Seite 96 von Wissenschaft und Gesundheit: „Schon heute wird diese materielle Welt zum Kampfplatz widerstreitender Gewalten. ... Der Zusammenbruch der materiellen Annahmen mag Hungersnot und Pestilenz. Not und Elend, Sünde, Krankheit und Tod zu sein scheinen, welche neue Phasen annehmen, bis ihre Nichtsheit zutage tritt. Diese Unruhen werden bis zum Ende des Irrtums fortbestehen, bis alle Disharmonie in geistiger Wahrheit verschlungen sein wird. ... Diese mentale Gährung hat begonnen und wird fortdauern, bis alle Irrtümer der Annahme dem Verständnis weichen.”

Darum „sehet auf und erhebt eure Häupter,” wie die Ermahnung des Meisters lautet. Diese Dinge müssen geschehen, gerade wie das aufgerührte schmutzige Flußbett vieles zum Vorschein bringt, was vorher unbekannt und dem Auge verborgen war. Die Dinge, die jetzt an die Oberfläche kommen, sind keine neue Erscheinungen im sogenannten menschlichen Bewußtsein; sie befanden sich von jeher schlummernd im sterblichen Gemüt. Das, was Krieg genannt wird, bringt Dinge zum Vorschein, die früher verborgen waren. Sie kommen an die Oberfläche, um zerstört zu werden; sie schießen empor wie das Feuer eines Vulkans, das jahrelang, möglicherweise jahrhundertelang im Erdinnern geglommen hatte. Das Dorf am Fuße des Vulkans war nie ganz sicher, auch dann nicht, als dieser zu schlafen schien. Die ganze Zeit hindurch glühten die tückischen Feuer in seinem Innern, und der Glaube, als wären sie erloschen, war nichts als eine falsche Annahme.

Für den Schüler der göttlichen Metaphysik ist die gegenwärtige Zeit überaus bedeutungsschwer. Wie sehr er auch den Aufruhr beklagt, der über die Welt geht, so weiß er doch, daß jede äußere Erscheinung eine mentale Ursache hat, und in den jetzigen Geschehnissen erblickt er einfach eines jener Zeichen der Zeit, welche der Meister vorausgesagt hat. Er sieht ein, wie unmöglich es ist, den gegenwärtigen Konflikt geographisch zu bestimmen. Der wahre Kampfplatz ist auf keiner Landkarte zu finden, kann nicht durch Längen- und Breitengrade bestimmt werden, denn er liegt im sogenannten sterblichen Gemüt, wo sich menschliche Annahmen, Impulse und Leidenschaften gegenseitig bekriegen.

Da ist es, wo das Ringen nach Oberherrschaft stattfindet. Warum suchen wir so beharrlich nach dem Splitter in unsres Bruders Auge, anstatt erst den Balken aus unserm eignen Auge zu entfernen? Prüfen wir erst uns selber, um festzustellen, ob wir frei sind von Haß, Eifersucht, Habsucht, Rachsucht, Ehrgeiz, Eigenwillen, Selbstgerechtigkeit, Stolz, Selbstsucht, Eigenliebe, Herrschsucht, Solange wir nicht ehrlich sagen können, daß wir unser eignes Bewußtsein von solch falschem Denken, welches „gegen die Geistigkeit ankämpft” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 242), gereinigt haben, dürfen wir nicht über die Völker der Erde zu Gericht sitzen.

Es treibt sich ein listiger Feind in der Welt umher, der Zwiespalt heißt. Seine Angriffe sind nicht offen und ehrlich, sondern er lauert im Verborgenen, treibt sein Unwesen still und unsichtbar, mit einer Ausdauer, die einer besseren Sache wert ist, indem er aufzulösen, auseinanderzubringen, zu zerreißen und zu zersetzen sucht. Er ist der Urheber unglückseliger Zwistigkeiten zwischen denen, die einst ruhig und glücklich beisammenlebten; er macht Kleinigkeiten zur Ursache von Reibereien und Streitigkeiten und ist der Urheber alles Partei-, Kasten- und sonstigen Sonderwesens. Kurz, er tut sein möglichstes, zu trennen und niederzureißen, anstatt aufzubauen und zu vereinigen.

Ganz abgesehen von dem traurigen Zwiespalt unter den Völkern: können wir das hinterlistige Treiben dieses Feindes nicht auch in den engeren Kreisen der menschlichen Erfahrung beobachten? Warum kommt es so häufig und so leicht zu Mißverständnissen zwischen den besten Freunden? Warum werden Familienbande plötzlich zerrissen, alte Familienzwiste angefacht, unangenehme Familiengeheimnisse wieder aufgefrischt? Kommt es nicht zuweilen vor, daß jemand, der geheilt worden ist, sich ohne alle Ursache gegen denjenigen wendet, durch dessen getreue Arbeit seine Heilung zustande gekommen war? Haben Geschäftsteilhaber das harmonische Zusammenarbeiten je so schwer gefunden wie jetzt? Steht es etwa besser in Hinsicht auf politische, wirtschaftliche oder soziale Verhältnisse? Haben nicht sogar die Kirchen diesen schlimmen Einfluß verspürt? Halten sie überall treu zusammen, um einen gemeinsamen Feind fernzuhalten? Und leben alle ihre Mitglieder in brüderlicher Liebe beieinander?

Das alles sind ernste Fragen. Wir mögen ihnen eine Zeitlang ausweichen, aber die Zeit wird unfehlbar kommen, da uns dies nicht länger möglich ist. Warum ihnen also nicht jetzt offen und frei begegnen? Anstatt uns in den bequemen Mantel der Selbstgerechtigkeit zu hüllen und im Hinblick auf den Kampf in Europa über die Beteiligten zu Gericht zu sitzen, wollen wir lieber zu den „Waffen unsrer Ritterschaft” greifen und uns an die Arbeit machen. Sehr oft gibt es gerade in unserm eignen Heim, in unserm eignen Bewußtsein so viel zu tun, daß uns keine Zeit übrig bleibt, über unsern Mitbruder abzuurteilen. Seien wir uns unsrer Verantwortlichkeit bewußt. Raffen wir uns auf und machen wir uns energisch an die Arbeit, Frieden, dauernden Frieden herbeizuführen, und zwar auf die einzige Art und Weise, wie dies bewerkstelligt werden kann. Nicht morgen sondern heute ist die Zeit zum Handeln.

Hat uns dieser elende Betrüger. Zwiespalt genannt, nicht lange genug angelogen und betrogen? Sollen wir ewig weiter schlafen, während er unsre teuersten Schätze stiehlt? Ein menschliches Wesen, das der Freude beraubt ist, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist in einem ebenso bedauernswerten Zustand wie ein Land nach dem Durchzug einer siegreichen, plündernden Armee. Als Christliche Wissenschafter wissen wir, daß wir auf Freiheit und Glück Anspruch machen dürfen, daß wir das Recht haben, ungestört zu arbeiten, mit der Welt in Frieden zu leben, unsre Mitmenschen zu lieben und mit Sicherheit zu wissen, daß sie uns lieben. Wollen wir uns all dieser Güter berauben lassen, ohne den geringsten Widerstand zu leisten?

Man gedenke an dieser Stelle der Worte unsres Meisters: „Sehet auf und und erhebt eure Häupter.” Mit welcher Gewalt auch der Vulkan der menschlichen Leidenschaften seine Feuer ausspeien mag, „entsetzet euch nicht.” Wie aus jeder falschen Lage, so gibt es auch hier einen Ausweg. Unsre Führerin sagt: „Liebe ist der Befreier” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 225). Und da der Friede von der Liebe untrennbar ist, so wird wahrer Friede auf Erden herrschen, sobald die Herzen der Menschen bereit sind, mehr von jener großen, unparteiischen, universellen Liebe zum Ausdruck zu bringen, welche alle Menschen als Brüder anerkennt, weil sie alle Kinder des einen Vaters, des einen Gottes, sind.

Das große Bedürfnis der Stunde ist also, mehr zu lieben. Wer wahrhaft liebt, sucht zu nützen anstatt zu schaden, zu geben anstatt zu nehmen — zu gewinnen, aber nicht durch Gewalttaten, sondern mit Hilfe jener sanften, aber zwingenden Kraft, von welcher der Prophet sprach, als er sagte: „Ich habe dich je und je geliebet; darum hab ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.” Wenn jeder Mensch auf Erden seinen Nächsten wirklich liebte wie sich selber, wäre dann Krieg überhaupt möglich? Gewiß nicht. Im Römerbrief lesen wir: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.”

Du Streiter Christi, es steht dir noch ein ernster Kampf bevor — aber es ist ein Kampf, der dauernden Frieden verspricht. Beweise einer zweifelnden Welt, daß die Brüderschaft der Menschen nicht bloß der schöne Traum eines Idealisten ist, sondern eine praktische, gegenwärtige Möglichkeit. Warum zuwarten? Lesen wir doch im Hesekiel: „Des Herrn Wort geschah zu mir und sprach: Du Menschenkind, was habt ihr für ein Sprichwort im Lande Israel und sprecht: Weil sich’s so lang verzeucht, so wird nun hinfort nichts aus der Weissagung? Darum sprich zu ihnen: So spricht der Herr, Herr: Ich will das Sprichwort aufheben, daß man es nicht mehr führen soll in Israel. Und rede zu ihnen: Die Zeit ist nahe und alles, was geweissaget ist.” Diese Weissagung Hesekiels geht heute durch die Christliche Wissenschaft auf der ganzen Welt in Erfüllung.

Ist es uns vergönnt gewesen, dieses Gesicht, die Brüderschaft der Menschen, als eine feste, ewige Tatsache zu sehen? Dann laßt uns die frohe Botschaft auch andern mitteilen. Schon rötet der erste Dämmerschein den östlichen Himmel. Schon wendet sich die müde Welt, wie noch nie zuvor, von den alten, abgenutzten Verfahrungsarten und Streitfragen ab, um dem Gesang der Engel auf Bethlehems Gefilden zu lauschen. Wer diesen Stern in der Ferne hat leuchten sehen, muß fortfahren, zu wachen und zu beten, bis der Stern in seinem Herzen aufgegangen ist. Nur die Hirten, die wach waren und horchten, hörten den Engelsgesang.

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