Die Erfahrung Abrahams, als er, wie er glaubte, von Jehovah aufgefordert wurde, seinen Sohn Isaak zu opfern, ist für diejenigen, die ihre Probleme im Sinne der Christlichen Wissenschaft zu lösen bestrebt sind, von hoher Bedeutung. Auf Seite 579 von Wissenschaft und Gesundheit lesen wir: „Dieser Patriarch veranschaulichte den Vorsatz der Liebe, Vertrauen auf das Gute zu schaffen, und zeigte die lebenerhaltende Kraft geistigen Verständnisses.”
Es gibt für einen Menschen, der treu gegen die Wahrheit sein will, kaum eine härtere Prüfung als die, welche Abraham zu bestehen hatte, als er der vermeintlichen Aufgabe gegenüberstand, seinen einzigen Sohn, den er so überaus lieb hatte, zu opfern, den Sohn, durch welchen er der Verwirklichung seines sehnlichen Wunsches, eine glorreiche Nachkommenschaft zu erlangen, so nahe gebracht worden war. Sein absoluter Gehorsam, der ihn anfangs veranlaßte, die Vorkehrungen zu dem schrecklichen Opfer zu treffen, ermöglichte es ihm dann, ein klareres Verständnis vom göttlichen Prinzip und dessen Anforderungen an den Menschen zu erlangen. Die Läuterung des sterblichen Sinnes führte ihn zu der Erkenntnis, daß Gott nicht das Schlachten eines menschlichen Wesens oder ein Opfer von Fleisch und Blut verlangte, sondern das Dahingeben der Neigung, seine Wünsche und Hoffnungen auf eine menschliche Persönlichkeit zu stützen. Er hatte den Ruf der Wahrheit wohl gehört, ihn aber falsch verstanden.
Nachdem sich der Patriarch in etwas vom Irrtum frei gemacht hatte, entdeckte er im Dickicht einen gefangenen Widder. Und dadurch, daß er nun statt eines Menschen ein Tier opferte, kam er der unpersönlichen, geistigen Auffassung vom Opfer, der vollkommenen Auffassung, wie sie Jahrhunderte später durch Jesus so klar zum Ausdruck kam, um einen Schritt näher.
Dieser Vorfall im Leben Abrahams wiederholt sich im wesentlichen in der Erfahrung all derer, die das Christus-Ideal als Lebensnorm angenommen haben. Er weist darauf hin, daß ein unbedingtes Vertrauen auf die Führung der Wahrheit uns vor den Fallgruben der menschlichen Unwissenheit und Kurzsichtigkeit zu schützen vermag. Ein von der menschlichen Weisheit als verhängnisvoll angesehener Umstand kann zu unerwarteten Ergebnissen führen und sich als das Mittel zur Verhütung eines Unglücks erweisen, während weltliche Mittel und Wege der Probe ausweichen und an Glauben und Hoffnung Schiffbruch leiden. Wohl mag der Pfad geistiger Demonstration stellenweise durch unüberwindliche Hindernisse versperrt erscheinen, aber zuletzt führt er doch ins Freie.
Der Umstand, daß Abraham die einzige Möglichkeit, seinen Herzenswunsch je zu verwirklichen, im Geiste des Gehorsams opfern wollte, erwies sich als die offene Tür zur Erfüllung der Verheißung des göttlichen Gemüts, und zwar auf eine Art und Weise, welche die menschliche Weisheit bei weitem überstieg; denn er wurde nicht nur der Urvater eines zahlreichen und mächtigen Volkes, sondern, was noch viel wichtiger ist, der „Vater der Getreuen,” das Urbild der geistig Gesinnten aller Zeiten.
Ein jeder von uns sieht sich früher oder später vor die Notwendigkeit gestellt, entweder den Geist oder die Materie zur Grundlage seiner Neigungen und Wünsche zu machen. Wenn man Abrahams Beispiel befolgt und den Geist als die einzige Substanz anerkennt, kann eine tragische Begebenheit verhütet werden. Auf Seite 296 von Wissenschaft und Gesundheit sagt Mrs. Eddy: „Entweder hier oder hiernach muß Leiden oder Wissenschaft alle Illusionen in bezug auf Leben und Gemüt zerstören, und der materielle Sinn und das materielle Selbst muß wiedergeboren werden.”
Obschon man dem Sinnenzeugnis gemäß aufgefordert wird, einen materiellen Gegenstand aufzugeben, so handelt es sich doch in Wirklichkeit um einen mentalen Zustand. Das Mittel, einen höheren geistigen Standpunkt zu erreichen, besteht nicht in einem willkürlichen, erzwungenen Entsagen materieller Erscheinungen, sondern in der Fähigkeit, den scheinbar materiellen Dingen, welche im Laufe der Entwicklung des relativen menschlichen Daseins vorkommen, einen möglichst geringen Wert beizumessen. Die Läuterung des Bewußtseins, welche die Bereitwilligkeit zur Folge hat, alles für die Wahrheit daranzugeben, läßt einen die Welt, in der man lebt, weniger materiell erscheinen, und die geistige Idee Gottes wird durch den Nebel der Materialität hindurch allmählich sichtbar. Solange die Witwe zu Zarpath ihre Hoffnung auf den schwindenden Mehlvorrat setzte, starrte ihr der Hungertod ins Gesicht; als sie aber willens war, auf das Geheiß der Wahrheit hin ihren irdischen Vorrat daranzugeben, gewann sie eine Erkenntnis von der Unendlichkeit geistiger Hilfsmittel, welche die physischen Beschränkungen wegnahmen, so daß die Umgebung in gewissem Maße ihren materiellen Charakter verlor.
Die materiellen Rücksichten, welche die Welt als das wichtigste Erfordernis zum Glück betrachtet, spielte bei dem Meister nur eine untergeordnete Rolle. Und dennoch besaß er unendlichen Reichtum, denn sein Bewußtsein war erfüllt von der Erkenntnis geistiger Wirklichkeit, der Substanz, von welcher materielle Güter nichts als der Schatten sind. Sein Ausspruch: „Wer sein Leben will behalten, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verlieret um meinet- und des Evangeliums willen, der wird’s behalten,” legt die Wirkung des geistigen Gesetzes dar. Wie widersinning es auch erscheinen mag, so besitzen wir doch in Wirklichkeit nur das, was wir zugunsten des Geistigen aufgegeben haben, während das, was wir vom materiellen Standpunkt aus festzuhalten bestrebt sind, für uns verloren ist.
Die in den Werken Mrs. Eddys enthaltenen großen Wahrheiten erleuchten das Verständnis und erwecken einen tiefen, lebendigen Glauben, welcher unser Bewußtsein von sterblichen Begriffen reinigt. Wenn wir sie ersaßt haben, wird es uns möglich, den Rat des Paulus zu befolgen: „Trachtet nach dem, das droben ist, nicht nach dem, das auf Erden ist.”
