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„Ehe sie rufen”

Aus der Mai 1916-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Ehe sie rufen, will Ich antworten,” so lautet die tröstende Botschaft des großen Propheten Jesaja. Schreiber dieses hält sie für eine der schönsten in der Bibel, denn wennimmer er ihre Bedeutung klar vor Augen hatte, trat fast augenblickliche Heilung ein. In jeder Notlage vernahm er die biblische Zusicherung, daß Gottes Reich schon jetzt besteht, daß Gott den Menschen in Seinem Bilde geschaffen hat, und daß sich der Mensch daher nicht ändern kann. Es wurde ihm Herrschaft gegeben, und diese Herrschaft ist ihm nie entzogen worden. Er ist weder der Sünde noch irgendeiner Krankheit unterworfen. Durch die Vergegenwärtigung dieser Wahrheit wurden die Fesseln falscher Vorstellungen gesprengt.

Mit welchem Vertrauen würden wir uns Gott zuwenden, wenn wir uns immer klar machten, daß das Gute für uns vorhanden ist, ehe wir darum bitten — mit andern Worten, daß der Bitte die Erhörung vorausgeht; wenn wir uns stets vergegenwärtigten, daß Sünde, Krankheit, Kummer und Tod nicht von Gott kommen, sondern nur Traumgebilde des sterblichen Sinnes sind, die vor dem Licht des göttlichen Gemüts fliehen. Dieses Vertrauen, dieses Verständnis ist nötig, wenn durch unsre Gebete etwas bewirkt werden soll. Die Worte und Werke des Meisters sind ein deutlicher Beweis hierfür. Er sagte: „Alles was ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, daß ihr's empfahen werdet, so wird's euch werden.” Am Grabe des Lazarus, als sie den Stein abgehoben hatten, ehe aber Lazarus auferstanden war, hob Jesus die Augen auf und sagte: „Vater, ich danke dir, daß du mich erhöret hast. Doch Ich weiß, daß du mich allezeit hörest.” Die Antwort Marthas, als Jesus ihr sagte, ihr Bruder würde auferstehen, ließ erkennen, daß eine theologische Vorstellungsweise den stets gegenwärtigen Christus immer noch vor ihren Augen verbarg und die Auferstehung zu einem weitentfernten Ereignis machte. Jesu Antwort: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe,” ist von tiefster Bedeutung.

Jesus wußte, daß der Bitte die Erhörung vorausgeht. Es war ihm offenbar, daß der Tod nicht Herr ist über das Leben, und daß nichts dem Menschen die ihm von Gott verliehene Herrschaft und Macht nehmen kann. Mrs. Eddy sagt in Wissenschaft und Gesundheit (S. 75): „Jesus rief Lazarus wieder ins Leben zurück durch das Verständnis, daß Lazarus niemals gestorben war, nicht durch das Zugeständnis, daß sein Körper gestorben und wieder lebendig geworden war. Hätte Jesus geglaubt, daß Lazarus in seinem Körper gelebt hätte oder in demselben gestorben wäre, dann hätte der Meister auf derselben Ebene der Annahme gestanden, wie diejenigen, die den Körper begruben, und er hätte diesen Körper nicht wieder ins Leben zurückrufen können.”

Die Lösung eines jeden mathematischen Problems ist vorhanden, ehe der Schüler sie findet. Sie stammt nicht von ihm, sondern besteht auf Grund der Wahrheit oder Wissenschaft der Mathematik; daher ist sie stets dagewesen. Indem der Schüler die Regeln befolgt, sich an das mathematische Gesetz hält, wird ihm die Antwort zuteil in Form einer für ihn erkennbaren Tatsache. So hat auch die Antwort auf jedes geistige Problem von jeher bestanden. In seiner Bergpredigt sagte Jesus: „Euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehedenn ihr ihn bittet.” Wenn der Bitte nicht die Erhörung vorausginge, so gäbe es keine Erhörung. Gottes Werk ist ja vollendet. Die Erkenntnis der Vollkommenheit Gottes und Seiner Schöpfung ist die Antwort auf jedes Gebet. Jeder gerechte Wunsch hat im göttlichen Gemüt seine Erfüllung. Wir haben uns nur in das göttliche Gesetz zu fügen, um wahre Zufriedenheit zu finden und in geistiger Erkenntnis zu wachsen.

Nun wird vielleicht jemand fragen: „Wenn die Antwort stets besteht, warum ist sie denn für uns nicht offenbar? Wozu brauchen wir dann überhaupt zu beten?” Darauf ist zu erwidern, daß die Allheit und Allmacht Gottes für das geistige Bewußtsein eine stets gegenwärtige Wahrheit ist; der unvollkommene menschliche Sinn jedoch, der an eine von Gott getrennte Macht glaubt, muß seine falschen Vorstellungen aufgeben, ehe er die ewigen Wirklichkeiten des Seins erfassen kann. Im Verhältnis zu diesem Ausgeben stellt sich die Erkenntnis der Wahrheit ein.

Die Anschauung, daß der Tod von Gott komme und zu der von Ihm eingesetzten Ordnung gehöre, läßt die Wiedererweckung des Lazarus entweder als eine Mähre erscheinen, oder sie führt zu der Annahme, daß Gott Seinem Sohn Jesus die Macht gegeben habe, gewisse von Ihm geschaffene und eingeführte Gesetze aufzuheben. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß Gott nicht der Urheber des Todes ist, und daß der Tod dem göttlichen Gesetz nicht entspricht. Den Tod überwinden zu wollen, wäre sonst ein vergebliches Bemühen. Jesus überwand aber den Tod und gab uns die Verheißung, daß diejenigen, die an ihn glauben, den Tod nie sehen würden.

Die Christliche Wissenschaft lehrt nicht, daß Gottes Gesetz aufgehoben oder die Weltordnung geändert werden kann; vielmehr behauptet sie, daß das Zeugnis der materiellen Sinne und die allgemein herrschenden Anschauungen nicht der wahren Weltordnung entsprechen. Gott hat die Weltordnung bestimmt, sie hat ewig bestanden und wird ewig bestehen. Jesus bekräftigte sie während seiner ganzen irdischen Laufbahn durch seine Siege über Sünde, Krankheit und Tod. Jeder gegenteilige Augenschein ist eine Täuschung der materiellen Sinne. Der Grund, warum Sünde, Krankheit und Tod nicht von der Erde verbannt worden sind, liegt darin, daß die Menschheit dieses falsche Zeugnis angenommen hat. Wenn auch in einer Gegend, wo Bewässerung not tut, eine großer See vorhanden ist, so wird das Land doch erst durch das Bauen von Kanälen bestellbar werden, durch die das Wasser in die Felder strömen kann. So müssen auch für die göttliche Liebe Kanäle geschaffen werden, damit diese Liebe ins menschliche Bewußtsein einströmen und Sünde und Krankheit verbannen kann.

Wenn der Bitte nicht die Erhörung vorausginge, wie könnte dann die Erhörung als etwas Gewisses in Aussicht gestellt werden? Irrte sich Jesus, als er uns versicherte, der Vater wisse, was wir bedürfen, ehedenn wir Ihn bitten? Bedeuten nicht die Worte des Meisters, denen wir doch Glauben schenken, daß Gott bereits für alles gesorgt hat, was Seine Geschöpfe bedürfen? Nur der beschränkte materielle Sinn stellt sich Gottes Schöpfung als im Werden begriffen vor. Diese Vorstellung gründet sich auf die Voraussetzung, daß Gott nicht genug Intelligenz besitze, um allen Bedürfnissen abzuhelfen und Sein Reich von Anfang an zu einem vollkommenen zu machen. Wer dies glaubt, kann unmöglich richtig beten. Niemand kann es, der da meint, Gott sei nicht im vollen Sinne allmächtig, oder Er sei der Urheber materieller Gesetze und der Schöpfer eines materiellen Weltalls.

Jesus brachte die Erhörung seiner Gebete nicht selber zustande. Er sagte: „Der Vater ... derselbige tut die Werke.” Ebensowenig schafft der Praktiker der Christlichen Wissenschaft eine Gebetserhörung. Hierüber sagt Mrs. Eddy: „Für den christlich-wissenschaftlichen Heiler ist Krankheit ein Traum, aus dem der Patient erweckt werden muß” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 417). Wenn man aus diesem falschen, unharmonischen Sinn geweckt wird, verschwindet das Leiden, und an seine Stelle tritt ein Bewußtsein der Harmonie. Gottes Vollkommenheit, die Erhörung oder Antwort, bestand vor dem Erwachen, wenn sie auch für den falschen Sinn des Patienten nicht wahrnehmbar war. Gesundheit und Harmonie sind wahre Zustände des Seins. Krankheit und Sünde sind falsche Sinnesvorstellungen des menschlichen Bewußtseins.

Die Wahrheit des Seins wird niemals und in keiner Weise von den falschen Vorstellungen des Patienten berührt. Gottes Harmonie bleibt unverändert. In der Prophezeiung des Maleachi lesen wir: „Ich bin der Herr und wandle mich nicht; und es soll mit euch Kindern Jakobs nicht gar aus sein.” Die Sicherheit des Menschen besteht allein in der Unveränderlichkeit der göttlichen Wahrheit. Nur der irrende, sterbliche Sinn leidet und sündigt. Das Leiden und Sündigen geht im sterblichen Bewußtsein vor sich; daselbst muß es denn auch vernichtet werden. Es besteht nicht in Gott oder in Gottes Weltall. Wenn man nun diese Wahrheit durch das falsche Bewußtsein hindurchströmen läßt, so wird dadurch der falsche Sinn geläutert und geklärt, ja schließlich gänzlich ausgehoben, genau wie das Sonnenlicht den Nebel zunächst zerteilt und schließlich völlig zum Schwinden bringt. So schwindet auch das Leiden des sterblichen Sinnes. Der Sünder muß erkennen, daß die Sünde eine Täuschung ist und keinen Gewinn bringt; dann wird er aufhören zu sündigen. Unser Fortschritt auf dem Wege zur Wahrheit bringt die allmähliche Aufhebung des sterblichen Sinnes mit sich, bis nach völliger Vernichtung desselben der Mensch im Bilde Gottes offenbar wird. So manches Herz hat lange gelitten und umsonst gefleht, bis es zuletzt kalt und hart wurde. Kaum mehr als ein schwaches Glimmen der Liebe blieb übrig. Man hat uns gelehrt, Gott habe gewisse grausame Gesetze der Natur geschaffen, Er sei der Schöpfer der Materie wie des Geistes, und der Mensch werde hienieden von grausamen Gesetzen beherrscht. Deshalb glaubten wir, Gott sende Krankheit und Tod, und dann wandten wir uns an diesen grausamen Schöpfer — als solchen stellten wir Ihn uns wenigstens vor — und beteten, Er möchte uns von Übeln befreien, von denen wir doch im Grunde genommen glaubten, nie erlöst werden zu können. Daher wurden wir uns auch der Erfüllung nicht bewußt, obgleich sie etwas stets Gegenwärtiges ist.

Wenn wir uns Gott als Vater-Mutter denken, so erlangen wir einen klareren Begriff von Seiner Vollkommenheit, wie sie durch das sanfte, liebevolle Wesen der Mutter und die beschützende Fürsorge des Vaters versinnbildlicht wird. Wie umgibt doch die gute Mutter ihr Kindlein mit ihrer Liebe und wacht über eine jede seiner Regungen und Bewegungen! Welche Freude erfüllt sie bei seinem ersten Wort! Wie arbeitet der liebende Vater in Hitze und Kälte, durch Wohl und Weh, stets bereit, mit starkem Arm den Feind von den Seinen abzuwehren! Und in diesem Zusammenhang wollen wir die Stelle in der Bibel aufschlagen, wo es heißt: „So denn ihr, die ihr doch arg seid, könnet dennoch euren Kindern gute Gaben geben, wieviel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten!”

Der Glaube, daß der Mensch ein sterbliches, krankes und sündiges Wesen sei, ist der Irrtum, von dem die Menschheit erlöst werden muß. Hierzu ist nötig, daß wir uns Gott nähern. Wenn Gott sich zu der sterblichen Denkungsart verstehen wollte, so würde die Wahrheit zum Irrtum und das Weltall zum Chaos. Wir werden das Problem des Seins niemals dadurch lösen, daß wir Gott zu veranlassen suchen, unsre Denkungsart anzunehmen. Nur dann gelangen wir ans Ziel, wenn wir die wahre Anschauung von Gott und vom Menschen zu erlangen suchen und im Einklang mit dem göttlichen Gesetz denken und handeln.


Suche nur, so wirst du finden,
Werde nur nicht müd’ und matt;
Laß durch nichts die Sehnsucht binden,
Welche Gott erwecket hat!
Folg’ nur ohne Widerstreiten
Glaubensvoll dem Wort des Herrn!
Licht von oben wird dich leiten;
Licht von oben gibt der Stern.

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