Auf Seite 72 von Wissenschaft und Gesundheit sagt Mrs. Eddy: „Da Gott, das Gute, immer gegenwärtig ist, so folgt daraus in der göttlichen Logik, daß das Böse, das mutmaßliche Gegenteil des Guten, niemals gegenwärtig ist.” In derselben Weise darf man auf Grund der steten Gegenwart Gottes folgern, daß es vor Ihm nichts geben kann, was geheilt zu werden braucht. Die Tatsache, daß Gott Dasein hat, macht das Vorhandensein eines Patienten oder eines Kranken zur Unmöglichkeit. Der Mensch als Gottes Bild und Gleichnis ist der Ausdruck des Wesens Gottes. Hieraus ergibt sich mit wissenschaftlicher Notwendigkeit, daß jeder Sohn Gottes frei von Schuld und Fehle ist, frei von Krankheit und Gebrechen.
Als Jesus sagte: „Der Sohn kann nichts von ihm selber tun, sondern was er siehet den Vater tun; und was derselbige tut, das tut gleich auch der Sohn,” gab er der wissenschaftlichen Wahrheit Ausdruck, daß Gott der einzige Heiler ist. Wissenschaftlich erklärt erscheint die Ausübung der Christlichen Wissenschaft als die Wirksamkeit jenes Bewußtseins, das die Allheit und Allgegenwart Gottes kennt. Die Erkenntnis von der Macht der Wahrheit über alles Übel heilt die Kranken, bekehrt die Sünder und erweckt die Toten. Sie enthüllt dem individuellen Verständnis die Tatsache, daß es in Gottes Weltall keine Materie gibt, daher keine kranke Materie, keinen kranken Menschen, keinen zu heilenden Patienten.
Die Schüler der Christlichen Wissenschaft, die diese Lehre ausüben und daher wissen, wie wichtig es ist, über das Wesen der christlich-wissenschaftlichen Behandlung im klaren zu sein, verstehen, daß sie das Wort Gottes bedeutet. Eine Behandlung kann als das seitens des Praktikers auf den Kranken heilend wirkende Bewußtsein von der göttlichen Gegenwart, von dem „Gott mit uns” bezeichnet werden. Jesus machte jede Vorstellung, die ihm als ein kranker, sündiger oder toter Mensch entgegentrat, auf Grund seines geistigen Verständnisses zunichte; mit andern Worten, seine klare Erkenntnis der Allheit Gottes und der daraus sich ergebenden Nichtsheit alles dessen, was dem göttlichen Wesen entgegengesetzt ist, gab ihm Herrschaft über den Irrtum in jeder Form. Er schenkte der Lüge über Gott und Sein vollkommenes Weltall keinen Glauben, sondern wies sie zurück. Er erkannte Gott und Seine vollkommene Idee, und diese Erkenntnis berichtigte jedes Übel, welches aus der Vorstellung entsprungen war, als sei die Materie der Träger des Lebens.
Eine christlich-wissenschaftliche Behandlung kann man also als eine Kundwerdung der Wirksamkeit des vollkommenen Prinzips ansehen, das der Urquell aller Dinge ist. Sie besteht in rechtem Denken über den wirklichen Menschen. Der christlich-wissenschaftliche Praktiker, der da weiß, daß Gott der einzige Heiler ist, ist sich darüber klar, daß seine menschliche Persönlichkeit mit der Heilung eines Patienten nichts zu tun hat, und daß die Kraft oder Macht, die die Kranken heilt, nicht ihm eigen ist.
Die Tätigkeit, die die Heilung sogenannter unheilbarer Krankheiten herbeiführt, besteht in rechtem Denken über das Leben, in der Erkenntnis der Wahrheit des Seins. Nun entsteht für einen jeden die Frage: Ersetzen wir unsre Vorstellungen vom Leben durch bessere Vorstellungen? Wenn uns das Leben noch vergänglich erscheint, wenn es sich für uns aus Essen, Trinken und physischen Bewegungen zusammensetzt, so befinden wir uns nicht in einem dem Heilen förderlichen Gedankenzustand. Ist hingegen unser Denken aufwärts gerichtet, und schwindet unser Glaube an die angebliche Wirklichkeit und Macht der Geschehnisse und Erlebnisse, aus denen nach allgemeiner Anschauung das menschliche Dasein besteht, dann erreichen wir einen Bewußtseinszustand, der an sich schon wie eine Behandlung wirkt. Unsre Idee von der wahren Bedeutung des Lebens muß sich immer mehr erweitern. Je klarer unser geistiges Wahrnehmungsvermögen, je umfassender unsre Erkenntnis vom geistigen Sein ist, desto mehr Leben haben wir. Leben bedeutet also wissen! Je mehr wir über das wirkliche Leben wissen, desto mehr Leben haben wir.
Auf die Frage: „Welche Beziehung besteht zwischen Patienten und Heiler?” lautet die Antwort: Der einzige Patient ist die falsche Vorstellung, die da spricht: „Ich bin krank,” der Irrtum, der sich das Gemüt des Menschen nennt. Es ist klar, daß es keinen Patienten geben würde, wenn es keinen Irrtum gäbe. Der Heiler ist Christus, und dieser bezeugt die Wahrheit und verneint den im Bewußtsein sich geltend machenden Irrtum, welcher sich einen kranken Menschen oder einen Sünder nennt. Es besteht keine andre Beziehung zwischen dem Heiler und dem Patienten als die, welche zwischen Christus, der wahren Idee, und dem Übel besteht, das sich ein Etwas nennt. Sie ist die Beziehung, wie sie zwischen der absoluten Kenntnis besteht, daß eins und eins zwei ist, und der persönlichen Annahme, daß eins und eins drei sei. Der Wahn vom Leben in der Materie mit den ihn begleitenden Übeln ist kein Wahn des wahren Menschen. Der wirkliche Mensch wähnt nicht, er weiß.
Die Christlichen Wissenschafter lernen in ihrer täglichen Praxis, daß nicht das, was sie über einen kranken Menschen wissen, die Kranken heilt, sordern das, was sie über den wahren Menschen wissen. Zeit, Ort, Raum, Anzeichen, Materie oder Person, diese Elemente kommen bei der Behandlung nur insofern in Betracht, als sie als Teile des falschen Gedankenbildes erkannt werden müssen. Nachdem dieses aufgedeckt und dem Lichte der Wahrheit ausgesetzt worden ist, schwindet es.
Der Christliche Wissenschafter betrachtet Krankheit als eine Täuschung des sterblichen Sinnes. Wenn der Praktiker der Christlichen Wissenschaft die Wahrheit über die Einheit zwischen Gott und dem Menschen kennt, zwischen der ewigen Ursächlichkeit und ihrer unendlichen Ausdrucksform oder Verkörperung, so wird durch dieses richtige, geistige Denken die Unwirklichkeit des Gegenteils vom vollkommenen Gott und Seinem vollkommenen Menschen offenbar. Solch rechtes Denken vernichtet die angebliche Gesetzmäßigkeit, Macht und Tätigkeit des Bösen.
Für Jesu Methode der Krankenheilung findet sich in Wissenschaft und Gesundheit (S. 476) folgende Erklärung: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eignes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken.” Mit andern Worten: Was Jesus über den wirklichen und einzigen Menschen wußte, heilte jede falsche Vorstellung über diesen Menschen. Das Heilungswerk des Erlösers ist ein Vorbild, dem die christlich-wissenschaftlichen Praktiker in dem Maße folgen, wie sie gleich ihm den Christusgeist haben.
Die Behandlung dient unter anderm dem wichtigen Zweck, die Furcht zu vernichten, die jeder falschen Vorstellung von Krankheit zugrunde liegt. Wer sich vor Krankheit fürchtet, macht aus ihr eine Wirklichkeit und erklärt gleichsam, daß Krankheit und Sünde in Gottes Weltall beständen. Das Mittel, welches die Furcht vernichtet, besteht in der Erkenntnis der Tatsache, daß Furcht niemals dem wahren Menschen anhaftet, sondern stets ein ihm fremdes Element ist. Daher sagte der geliebte Jünger: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern völlige Liebe treibet die Furcht aus;” und Hiob erklärte: „Das ich gefürchtet habe, ist über mich kommen.”
Die Befürworter der anerkannten ärztlichen Praxis stellen oft zwischen dieser und der Ausübung der Christlichen Wissenschaft unfreundliche Vergleiche an. Tatsächlich aber beweist die Geschichte der Ausübung der Christlichen Wissenschaft, daß das Heilen durch Gebet und geistige Mittel allen medizinischen Behandlungsarten überlegen ist. Krankheiten, die von der Ärzteschaft als unheilbar angesehen werden, sind in zahllosen Fällen durch die Christliche Wissenschaft geheilt worden. Mrs. Eddy spricht sich über die Überlegenheit der geistigen über die materielle Heilweise in dem Vorwort zu Wissenschaft und Gesundheit (S. x) folgendermaßen aus: „Das göttliche Prinzip des Heilens wird durch die persönliche Erfahrung eines jeden aufrichtigen Wahrheitssuchers bewiesen. Der Zweck dieses Prinzips ist gut, und dessen Anwendung ist sicherer und wirsamer als die irgendeines andern Heilverfahrens.”
Zum Schluß sei noch bemerkt, daß der Patient im Grunde nichts ist als eine falsche Annahme, die sich einen kranken Menschen nennt. Der Mensch, der das Bild und Gleichnis Gottes ist — und einen andern Menschen gibt es nicht —, kann nicht krank werden und bedarf keiner Behandlung. Auf die Frage, worin die Wirkung der Behandlung bestehe, kann die Antwort lauten: Durch die Behandlung wird die Unwirklichkeit und Nichtexistenz eines vorgeblichen Urhebers von Krankheit erwiesen — die Unwirklichkeit des Gesetzes, durch welches die falsche Vorstellung wirkt. Der Heiler ist die Wahrheit, die allein durch ihre Gegenwart im Bewußtsein wirksam wird. Sie vernichtet die Vorstellungen von Krankheit und von einem persönlichen Patienten. Man darf nie vergessen, daß das Heilen der Christlichen Wissenschaft mit den materiellen Theorien oder Lehren über die Heilung von Krankheit nichts gemein hat. Es ist rein metaphysisch, d. h. über das Physische erhaben.
