Die Ereignisse unsrer Zeit veranlassen viele denkende Menschen, die bestehenden Ansichten, philosophischen Systeme und sogenannten Wissenschaften mit unerbittlicher Schärfe zu prüfen. Vorgeblich maßgebende Urteile und altherkömmliche Ansichten vermögen diese Angriffe nicht mehr aufzuhalten. Die Heiligkeit der Überlieferung genügt nicht mehr, um den ungeduldigen Fragen über die Bedeutung des Lebens, die Lehre von der Unsterblichkeit oder die allbeherrschende Vorsehung Einhalt zu tun. Menschen, die vorher nie über diese Dinge nachzudenken pflegten, fangen an, ihre Vorstellung von Gott und dem Menschen, vom Himmel und dem ewigen Leben näher zu prüfen. Mit dem üblichen Einwand, die Religion sei geheimnisvoll und rätselhaft, Gottes Wege seien unergründlich, und sie ergründen zu wollen sei rebellisch, wenn nicht gar gotteslästerlich, lassen sie sich nicht mehr abspeisen.
Solche Sucher nach Wahrheit kehren sich nicht mehr an derartige Einwendungen, sondern verlangen ohne alle Umschweife nach einer Antwort, welche die Vernunft befriedigt. Sie geben sich nicht mehr mit Ausflüchten zufrieden. Gibt es einen Gott? Wenn ja, was ist Sein Wesen? Gibt Er Sünde, Krankheit und Tod zu? Hat Er bei den schrecklichen Metzeleien, bei Zwist und Verzweiflung Seine Hand im Spiel, oder ist Er nicht wenigstens ein stiller Zeuge davon? Gibt es eine über allem waltende Vorsehung, oder ist das Weltall der Spielball des blinden Zufalls? Liefern die physischen Sinne das Zeugnis, auf das man sich wegen eines endgültigen Urteils über Wirklichkeit stützen kann? Dies sind Fragen, die sich nicht länger unterdrücken lassen.
Diejenigen, die über diese Fragen nachdenken, fangen an einzusehen, daß das Sichverlassen auf das Sinnenzeugnis zu einer Philosophie der Verzweiflung führen muß, denn auf Grund dieses Zeugnisses sind der Mensch, das Weltall, in dem er lebt, und die Gesetze, die sein Dasein bestimmen, materiell. Unter einer solchen Herrschaft beginnt und endet der Mensch elendiglich, und während der kurzen Dauer seines Daseins ist er der Spielball der Elemente. Die sogenannten physischen Tatsachen enthalten nichts, was auf das Vorhandensein von Mitleid, Erlösung, Heilung, Beständigkeit oder Unsterblichkeit hinwiese. Hier entsteht nun die quälende Frage: Wenn der Mensch das Opfer der Umstände und Verhältnisse ist, welchen Trost hat dann die Religion zu bieten? Die vorherrschenden Ansichten und Theorien über den Wert des Lebens und das Wesen des Menschen sind gänzlich außerstande, der Menschheit eine befriedigende Hoffnung darzubieten. Sie sind alle „blinde Blindenleiter.” Der dunkle Abgrund der Verzweiflung wartet aller, die sich ihrer Führung anvertrauen. Sie sind ohne alle Hoffnung, weil sie der Wissenschaft des Seins entbehren.
Die Christliche Wissenschaft, wie sie von Mrs. Eddy gelehrt wird, begegnet diesem Aufruhr, diesem verzweifelten Sinnenwirrnis mit des Meisters Vermahnung: „Schweig und verstumme,” sowie mit seinen trostreichen Worten: „Fürchtet euch nicht.” Wahre Weisheit kann nur in der Wahrheit ihren Ursprung haben; unverfälschte Religion muß auf Wissenschaft beruhen; Intelligenz, um wirksam zu sein, muß vom Bösen frei sein. Wenn Gott das Leben des Menschen ist, so muß Er der Vater-Mutter Gott sein. Aus diesem Grunde ist das Bestreben, das Weltall und das Dasein des Menschen zu erklären, ohne Gott und Sein Wesen in Betracht z ziehen, auch nicht einen Augenblick der Beachtung derer wert, die angefangen haben, sich der Wahrheit bewußt zu werden.
Was ist nun das Wesen Gottes? Gott ist Geist. Besäße Er irgendein physisches Element oder eine physische Eigenschaft, so wäre Er für die physischen Sinne wahrnehmbar, und sie könnten Seine Gegenwart und Macht feststellen. Die Christliche Wissenschaft gibt in ihrer Definition von Gott auch nicht die geringste materielle Eigenschaft zu. Auf Seite 465 von Wissenschaft und Gesundheit lesen wir: „Gott ist unkörperliches, göttliches, allerhabenes, unendliches Gemüt, Geist, Seele, Prinzip, Leben, Wahrheit und Liebe.” Keiner dieser Begriffe kann durch eine materielle Ausdrucksweise wiedergegeben werden, ohne daß dadurch seine Bedeutung verloren ginge. Welche Freude und welchen Trost bringt doch dem Schüler der Christlichen Wissenschaft die Erkenntnis, daß die gegenwärtigen Vorkommnisse in der menschlichen Erfahrung die Wahrheit des Seins nicht beeinflussen können, sondern daß vielmehr ein geistiges, wissenschaftliches Verständnis von der Wahrheit den Lauf der Geschehnisse zu lenken und zu bestimmen vermag.
Die Christliche Wissenschaft sucht nicht, von dem Zeugnis der Physischen Sinne auf Gott zu schließen, sondern sie fordert den ehrlichen Sucher auf, den Menschen und das Weltall von dem von Christus Jesus gelehrten Gott herzuleiten. Seit langer Zeit haben die Naturwissenschaften Gott ignoriert, während die schulmäßige Theologie Sein Wesen verdunkelt hat. Die Christliche Wissenschaft zerstört sowohl Unglauben als Verfinsterungssucht mit dem Schwert der Wahrheit und gibt der harrenden Welt die Versicherung, daß im geistigen Weltall Gewißheit, Aufklärung, Erkenntnis und Wissenschaft vorhanden sind. Da Gott Geist ist, so muß der Mensch geistig sein, und die Materie kann somit keine Gewalt über sein Leben haben. Der Glaube, als sei Leben in der Materie, zerstört den Wert des Lebens, denn er macht es von den Wechselfällen der menschlichen Erfahrung abhängig und gibt es der Zerstörung preis. Ein solcher Glaube ist ein Hohn auf die Unsterblichkeit und möchte den Menschen der Vernichtung überlassen. Wenn daher die Welt eine Erfahrung durchmacht, in welcher der Glaube, daß die Materie der Träger des Lebens sei, nur geringe Beachtung findet, so frägt sie sich, ob denn ein Glaube, dessen man sich so leicht entledigen kann, wirklich wahr sein konnte.
Hier kommt uns die Christliche Wissenschaft hilfreich entgegen und erklärt, daß, weil Gott sowohl Geist als Leben ist, das Leben des Menschen nicht in der Materie sein kann, sondern im Geist sein muß, und daß folglich das Schwinden des Glaubens, als sei die Materie der Träger des Lebens, nicht die Zerstörung des Lebens bedeutet, sondern nur die Zerstörung einer falschen Vorstellung vom Leben. Die Möglichkeit der Unsterblichkeit bleibt somit trotz dieser vorübergehenden Annahme unversehrt, und durch Vernunft und Offenbarung verwandelt die Christliche Wissenschaft diese Möglichkeit in Gewißheit.
Der zu Gottes Bild und Gleichnis geschaffene Mensch ist ein unsterbliches Wesen, gänzlich unabhängig von den Physischen Sinnen und dem physischen Augenschein. Die Krise von Sünde, Krankheit und Tod, welche die Welt gegenwärtig durchmacht, bedeutet demnach keineswegs, daß Gott der Liebe entbehrt, sondern vielmehr, daß der Menschheit die Erkenntnis von Gott als Liebe fehlt und sie sich daher der Annahme hingibt, physische Kraft sei Macht, Haß, Selbstsucht und Verbrechen seien geschaffene Wesenheiten und könnten wünschenswerte Resultate herbeiführen. Die Fehler der Menschheit sind nicht imstande, Gottes Liebe in Frage zu stellen, wohl aber dienen solche Fehler dazu, die Menschen zu belehren und sie zu veranlassen, sich von ihren falschen Göttern ab- und dem einen, wahren Gott, dem unendlichen Guten, zuzuwenden. Warum denn an dem Glauben festhalten, daß der Mensch und das Weltall materiell seien, und dann Gott für die Folgen dieses Glaubens, nämlich Zerstörung und Tod, verantwortlich machen? Warum nicht lieber diese falsche Annahme fahren lassen, sich ein geistig wissenschaftliches Verständnis aneignen und dadurch die Religion neu aufbauen?
Diejenigen, die das scheinbare Vorhandensein des Bösen als Beweis anführen, daß Gott nicht Liebe ist, daß das Gebot, seinen Nächsten zu lieben, keine Geltung mehr habe, und daß Religion nichts als Trug sei, stützen sich auf falsche Voraussetzungen und kommen dadurch zu falschen Schlüssen. Solche Leute müssen ihre Denkweise umkehren und das Wesen des Lebens und der Liebe von dem Wesen Gottes herleiten. Dann werden sie bald finden, daß sie in einer Welt des Lichts statt der Finsternis, der Wahrheit statt des Irrtums, des Gemüts statt der Materie leben. Sie werden einsehen lernen, daß, insofern sie sich dieser Tatsachen des Seins stets bewußt bleiben und sie im täglichen Leben zum Ausdruck bringen, sie imstande sind, die angebliche Wirklichkeit und Macht des Bösen zunichte zu machen, die Sünder zu bekehren, die Kranken zu heilen, die sterbenden zu retten und Frieden herzustellen, wo früher Zwist herrschte. Kurz, sie werden dartun können, daß die Weltweisheit, die Philosophie der Verzweiflung ein kolossaler Irrtum ist, sowohl in der Theorie wie in der Ausübung.
Gott begegnet manchem, der Ihn nicht grüßt.—Sprichwort.
