In seinem Brief an die Epheser ermahnt Paulus die wahren Nachfolger des Meisters, „den Harnisch Gottes” anzuziehen und „das Schwert des Geistes” zu nehmen, „welches ist das Wort Gottes.” Auf Seite 595 von Wissenschaft und Gesundheit wird die Bedeutung des Schwertes angegeben als „die Idee der Wahrheit; Gerechtigkeit,” und im weiteren als „Rache; Zorn.” Das Schwert, das Jesus beständig führte und in dessen Gebrauch er seine Jünger unterwies, war diese „Idee der Wahrheit; Gerechtigkeit.” Durch das „Wort Gottes,” die mächtige Waffe geistigen Denkens, stillte er die stürmischen Elemente, bedräute er die Teufel des Wahnsinns, der Sinnlichkeit, der Bosheit, des Hasses, und trieb sie aus. Durch dieses Wort entwurzelte er Unglauben, Hochmut und Selbstgerechtigkeit, heilte die Kranken, weckte die Toten auf und lieferte somit Beweise für die ewige Gegenwart der Liebe.
Nicht ein einziges Mal bediente sich Jesus der fleischlichen Waffe des Zorns oder der Rache. Als er in jener trüben Stunde zu Petrus sprach: „Stecke dein Schwert an seinen Ort! denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen,” meinte er die Waffe des Zorns, die einen Schlag ausführt, um wehe zu tun, die Böses mit Bösem vergilt und schließlich durch die selbstzerstörenden Elemente der Feindschaft und des Hasses überwältigt wird. Mit feinem Gleichnis vom bösen Weingärtner, welcher sagte: „Dies ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!” zeigte Jesus, daß das Böse nichts erreicht. Denn „was wird nun der Herr des Weinberges tun?” fragte er. „Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.”
Obwohl Jesu Lehre sich auf Liebe gründete und man ihr zufolge dem Übel nicht widerstehen soll, so warnte er doch seine Jünger vor dem Glauben, daß er gekommen sei, Frieden zu senden. Er sagte: „Ich bin nicht kommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert”— das Wort Gottes, welches schlechte, irrige Vorstellungen umkehrt, sie aus ihrer falschen selbstsüchtigen Ruhe aufrüttelt und in ruhiger aber wirksamer Weise verdrängt und beseitigt. Diese geistige Tätigkeit veranlaßt das Übel, für seine scheinbare Existenz zu kämpfen und gegen die göttliche Liebe, die ihm Qual bereitet, Hiebe auszuführen. Doch endet es durch Selbstvernichtung. Damit seine Jünger bereit wären, den geheimen wie den offenen Angriffen zu begegnen, die das Aufdecken des Irrtums durch die Wahrheit oftmals verursacht, lehrte sie Jesus, Böses stets mit Gutem zu vergelten und die Weisheit der Schlange mit der Harmlosigkeit der Taube zu vereinen.
In jenen wundervollen Versen in der Bergpredigt, wo Jesus seine Jünger im göttlichen Gesetz der Liebe gegen die Feinde unterwies, erklärte er ihnen, wahre Klugheit erheische, daß man Konflikte meide und sich von allem Streit zurückziehe. Die Worte: „Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel,” bedeuten eigentlich: Leistet dem Übel keinen Widerstand, kämpft nicht gegen dasselbe. Das griechische Zeitwort, das hier mit „widerstrebet” übersetzt worden ist, setzt sich aus zwei Worten zusammen, von denen das erste „gegen” und das zweite „Streit, Aufruhr, Krieg” bedeutet. Der fleischliche Sinn, dem die Dinge des Geistes verschlossen sind, hat dieses Nichtwiderstehen immer als Feigheit und Trägheit aufgefaßt, während es doch tatsächlich den höchsten Grad moralischen Muts darstellt, weil es die göttlichen Eigenschaften der Selbstentäußerung und Vergebung mit der geistigen Forderung vereint, die Feinde zu segnen.
Wenn also Jesus seinen Jüngern riet, dem Übel nicht zu widerstehen und sich mit einem Gegner zu verständigen, mit andern Worten, gegen ihn friedlich gesinnt zu sein, so appellierte er an ihre neuerweckte geistige Erkenntnis, die ihnen „das Schwert des Geistes,” das „Wort Gottes” an die Hand geben sollte. Mit dieser wirksamen mentalen Waffe versehen, konnten sie dem äußeren wie dem inneren Feind widerstehen. Die durch geistiges Denken erlangte Kraft befähigte sie nicht nur, sich ruhig von Streitigkeiten zurückzuziehen, sondern auch, jede böse Absicht als etwas Unpersönliches zu sehen. Dadurch entzogen sie dem Bösen seinen Gegner sowie das Zwischenmittel, durch welches es zum Ausdruck kommen könnte, und es blieb dem Bösen somit nichts andres übrig als sich selbst zu zerstören.
Der Meister hielt seine Jünger dazu an, jene Weisheit, Liebe und Sanftmut zu pflegen, die Ungerechtigkeit und bloße menschliche Ansichten aufhebt, weil sie Urteil und Entscheidung Gott überläßt, „welcher geben wird einem jeglichen nach senen Werken.” Ferner ermahnte er sie, ihm auf dem Weg der Selbstzucht zu folgen, den neuen Menschen (die Christus-Idee) anzuziehen. Hierzu gehört jetzt wie damals das Aufgeben des durch das fleischliche Gemüt zum Ausdruck kommenden falschen Sinnes, der nie friedfertig ist, sondern immer rechten und streiten will und sich aller möglichen Mittel bedient, um seine selbstsüchtigen Gründe vorzubringen und seine eignen Zwecke zu erreichen.
Welche Geduld, Liebe und göttliche Barmherzigkeit bewies doch Jesus in seinem Umgang mit Menschen! Wie groß war doch der Abstand zwischen seinem metaphysisch erleuchteten Bewußtsein und der zwar empfänglichen aber wankenden Denkart seiner Jünger! Wie wunderbar war seine Duldsamkeit gegenüber dem grob-materiellen, abergläubisch-frommen Wesen der Schriftgelehrten und Pharisäer, die ihn fortwährend in seiner Rede zu fangen suchten! Jesus disputierte nicht mit seinen Gegnern; er ließ sich nie in einen Streit ein mit denen, die sich seiner Mission widersetzten. Er erkannte besser als irgend jemand vor oder nach ihm, wie aussichtslos es ist, das fleischliche Gemüt von geistigen Dingen überzeugen zu wollen. Daher beantwortete Jesus die Fragen seiner Gegner dadurch, daß er seine Stellung in unwiderleglicher Weise begründete. Oftmals begegnete er ihrer Frage mit einer Gegenfrage, oder er erwiderte in so wissenschaftlicher Weise, daß seine Hörer für den Augenblick verwirrt waren und schwiegen. Zuweilen verließ er sie, ehe sie Zeit zur Überlegung hatten und sich zu einem neuen Angriff sammeln konnten. Er zog sich von dem Kampf zurück, den seine Worte der Wahrheit erzeugt hatten, und ließ den Irrtum sich selber vernichten. Einstmals „verwunderten sie sich und ließen ihn und gingen davon”— ein Beweis dafür, daß die Wahrheit streitende Elemente zum Schweigen bringen und Disharmonie aufheben kann. Als die Jünger zu ihm kamen und sprachen: „Weißt du auch, daß sich die Pharisäer ärgerten, da sie das Wort höreten?” riet er ihnen, den Kampf zu meiden. „Lasset sie fahren!” sagte er, „sie sind blinde Blindenleiter. Wenn aber ein Blinder den andern leitet, so fallen sie beide in die Grube.”
Seine Liebe zu der ganzen Menschheit veranlaßte Jesus, die verborgene Sünde furchtlos aufzudecken, die als Weisheit und Gerechtigkeit verkleidet auftrat, von der er aber wußte, daß sie das gerade Gegenteil dieser Eigenschaften war. Mit der Bloßstellung des Übels als einer Lüge bezweckte er, die Augen derer zu öffnen, die in der Finsternis des Selbstmesmerismus und der Heuchelei wandelten, sie mit dem Vater bekannt zu machen und in ihnen den Wunsch zu erwecken, den Sohn, den Christus, zu erkennen und ihm gleich zu sein in Wort und Tat. Wir lesen, daß Jesus, nachdem er zu dem Volk in Gleichnissen geredet hatte, „seinen Jüngern alles auslegte,” weil sie ein empfängliches Gemüt und eine tiefe Liebe zur Wahrheit besaßen. Bei andern begnügte er sich damit, „das Wort” zu sprechen, da er wußte, daß selbst wenn es keine Aufnahme fände, es „seinen eignen Samen bei ihm selber” hatte, welcher wegen der ihm innewohnenden Lebenskraft schließlich im Bewußtsein wirken und dabei die Irrtümer der Unkenntnis, der weltlichen Weisheit und des Eigenwillens austreiben und alles Böse umstoßen würde.
Jesus bestand niemals gewaltsam auf einer Sache, noch übte er auf den Erfahrungsgang andrer einen beschränkenden Einfluß aus. Dies geht besonders klar aus seiner Haltung gegen die beiden Jünger hervor, die, wie er vorhersah, ihn in der schweren Prüfungsstunde verlassen würden. Er stritt nicht mit ihnen, um sie von dem Leiden zu retten, das ihre Schwäche und ihre Treulosigkeit über sie bringen mußte, denn er sah deutlich, daß sie nur durch Erfahrung lernen würden. Von Judas sagte er in traurigem Tone: „Doch siehe, die Hand meines Verräters ist mit mir über Tische,” und auf den Hingang von des Menschen Sohn Bezug nehmend, sprach er: „Doch weh demselbigen Menschen, durch welchen er verraten wird!” Seine Worte an Petrus bewiesen sein unerschütterliches Vertrauen zu diesem Jünger: „Siehe, der Satanas hat euer begehrt, daß er euch möchte sichten wie den Weizen; Ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dermaleins dich bekehrest, so stärke deine Brüder.” Jesus erklärte liebevoll, was erforderlich war, um sein Jünger zu sein, und welche himmlischen Schätze durch eine solche große Selbstaufopferung erlangt werden könnten; aber er stellte es jedem frei, zwischen Gott und dem Mammon zu wählen.
Das erhabenste Beispiel, wie Jesus das Schwert des Geistes handhabte, sehen wir im Gerichtssaal vor Pilatus, als er nach seinen herrlichen Demonstrationen über das Böse, über Krankheit und Tod, verfolgt und mit Anklagen überhäuft wurde. Das Schweigen, das er bewahrte und über das Pilatus verwundert sagte: „Antwortest du nichts? Siehe, wie hart sie dich verklagen!” bewies, wie friedfertig Jesus gegen seine Feinde gesinnt war und wie liebevoll er ihnen vergab, indem er es unterließ, ihren Anschlägen entgegenzuwirken. Nicht einmal als ihre Rache gestillt war, nachdem sie ihn gekreuzigt hatten und schmähend vor ihm standen, sprach er ein einziges Wort der Rechtfertigung im Hinblick auf seine früheren Liebestaten, oder ein Wort der Erklärung für die scheinbare Unmöglichkeit, sich selber zu helfen und vom Kreuz herabzusteigen. Auf Seite 124 von „Miscellaneous Writings“ sagt Mrs. Eddy: „Der letzte Akt der Tragödie auf Golgatha zerriß den Schleier der Materie und enthüllte der Liebe großes Erbe an die Sterblichen: die Liebe, die ihren Feinden vergibt. Dieser gewaltige Akt krönte das Christentum und krönt es auch heute noch: ... er bringt dem Leiden Inspiration, der Geduld Erfahrung, der Hoffnung Glauben, dem Glauben Verständnis und dem Verständnis die triumphierende Liebe!”
Als Christliche Wissenschafter haben wir es alle Tage nötig, das „Schwert des Geistes” zu schwingen — „die Idee der Wahrheit,” der „Gerechtigkeit” anzuwenden, und zwar können wir dies mit der Gewißheit tun, die sich aus wissenschaftlicher Kenntnis ergibt. Wir müssen das Rüstzeug der Welt, Groll und Zorn, ablegen. Nur so können wir hilfreich mitwirken und die größte Sache auf der Welt fördern helfen, die unsre Führerin mit so viel Aufopferung und Liebe zum Wohl der Menschheit gegründet hat. Um aber die geistige Waffe, mit welcher der Irrtum ausgetrieben und Kranke geheilt werden können, richtig zu gebrauchen, müssen wir erst lernen, das Wort der Wahrheit richtig anzuwenden, nämlich mit Aufrichtigkeit, Weisheit und Liebe. Andernfalls wirkt es wie ein scharfer Stoßdegen in der Hand eines ungeübten Kämpfers oder eines gewissenlosen Fechters und richtet Unheil an, wo es doch Schutz bringen sollte.
Paulus spricht von denen, die das Wort Gottes verfälschen, und an einer andern Stelle von den „bösen Geistern unter dem Himmel.” Er meint damit den Gebrauch des befreiten Denkens zu selbstsüchtigen und unlauteren Zwecken, zur Erlangung persönlichen Gewinns und zur Ausübung eines bösen Einflusses. Da dieses Wirken eine täuschende Nachahmung der Wahrheit ist, so scheint es zuweilen eine Zeitlang von guten Ergebnissen begleitet zu sein. Es fehlt ihm aber alle innere Kraft und Stütze, weshalb es nicht auf immer verborgen bleiben und ehrliche, wahrheitsliebende Schüler täuschen kann. Richtige, wissenschaftliche Gedanken decken schließlich alle falsche Wirksamkeit auf und machen ihr ein Ende.
In seinem Brief an die Römer sagt Paulus: „Darum lasset uns nicht mehr einer den andern richten; sondern das richtet vielmehr, daß niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis darstelle.” Wenn ein Mensch (wir wollen hierbei im Sinne behalten, daß er unser Bruder ist) andrer Meinung ist als wir, so handeln wir auf alle Fälle recht, wenn wir nicht gegen seinen Standpunkt oder seine Ansicht kämpfen. Es ist nicht weise gehandelt, wenn wir unsre kostbaren Augenblicke verschwenden, indem wir andre zu überzeugen suchen, daß unsre Art die richtige ist, oder ihnen unser Ohr schenken, wenn sie uns ihre Ansichten aufdrängen wollen. Das Prinzip allein ist unfehlbar. Wir wollen daher gegen unsern Gegner stets friedfertig gesinnt sein und das Schwert des Geistes in geschickter und wissenschaftlicher Weise handhaben, indem wir uns von allem Streit zurückziehen, böse Suggestionen als etwas Unpersönliches sehen und Gott das Ergebnis unsrer andachtsvollen Tätigkeit bestimmen lassen, der alles, was uns zukommt, herbeiführen wird zu Seiner Zeit. Nur so kann der Irrtum entwaffnet und ausgerottet werden.
Wir vergessen so leicht, daß mit dem Befehl: „Schaffet, daß ihr selig werdet,” zunächst unsre eigne Seligkeit gemeint ist, nicht die des Gegners noch die irgendeines andern Menschen. Unser stetes Bemühen muß sein, wie Jesus jederzeit die Dinge zu tun, die Gott gefallen. Unsre Stellungnahme für das Prinzip ist dem pharisäischen sterblichen Gemüt ein Anstoß, ein Ärgernis, was uns aber nicht zu stören braucht. Sagte doch Jesus: „Haben sie den Hausvater Beelzebub geheißen, wieviel mehr werden sie seine Hausgenossen also heißen!”
Auf Seite 118 von „Miscellaneous Writings“ schreibt Mrs. Eddy: „Wir können nicht Gott, dem Guten, und zugleich dein Bösen gehorchen. ... Ehrlichkeit in jeder Lage, unter allen Umständen ist die unentbehrliche Regel des Gehorsams.” Und weiter: „Der Lohn verdienstvollen Glaubens oder der Zuverlässigkeit beruht auf der Bereitwilligkeit, allein mit Gott und für Gott zu wirken, bereit zu sein, geduldig wegen des Irrtums zu leiden, bis aller Irrtum vernichtet ist und Sein Stecken und Sein Stab dich trösten.” Laßt uns das Schwert des Geistes ergreifen — das Wort Gottes gebrauchen, um Harmonie, christusähnliches Wesen und Heilung unter den Menschen herbeizuführen. Dann können wir geduldig auf die Vermehrung des Guten warten. Unter dem Schutz der göttlichen Liebe können wir, nachdem wir „alles wohl ausgerichtet” haben, „das Feld behalten.”
Es ist ein schönes warmes Gefühl, frohe Menschen gemacht zu haben. Eine gewisse Last der drückenden irdischen Empfindungen fällt da von einem ab, als ob der Himmel sonniger, die Erde blumiger werde.
