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Naeman und Gehasi

Aus der Januar 1917-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Es ist schon viel über die Geschichte von Naeman geschrieben worden, aber die Lehren, die sie birgt, sind unerschöpflich. Im Lichte der Christlichen Wissenschaft betrachtet, d. h. in dem Lichte, das das geistige Verständnis im menschlichen Bewußtsein aufgehen läßt, erweist sich diese Begebenheit als besonders lehrreich, wenn sie auch von der Welt wegen der herrschenden materiellen Denkart nicht gewürdigt wird.

Im fünften Kapitel des zweiten Buchs der Könige lesen wir, daß Naeman, der aussätzige Feldhauptmann, ein gewaltiger Mann war, ein Mann, der großen Einfluß beim König hatte, „denn durch ihn gab der Herr Heil in Syrien.” Die Syrier hatten ein israelitisches Mädchen gefangen genommen, das nunmehr im Haushalte des Naeman diente. Sie erzählte ihrer Herrin von dem Propheten Elisa und meinte, dieser könnte ihren Gemahl heilen. Naeman vernahm dies, und nachdem er sich mit dem König darüber besprochen hatte, entschloß er sich, die Reise nach Samaria zu machen und zu sehen, ob dort Heilung für ihn zu finden sei. Eine Untersuchung der Beweggründe, wie wir es in der Christlichen Wissenschaft lernen, ist hier von besonderem Interesse. Naeman besaß offenbar ein gut Teil Stolz und Hochmut, wohl weil er sich mit dem König so gut stand. Er war voll vorgefaßter Meinungen über die Art und Weise, wie seine Heilung zustande kommen müsse, was beim Heilen irgendeiner Krankheit stets ein großes Hindernis ist. Als er beim Propheten angekommen war, stieg er nicht ab und ging nicht in dessen Haus, sondern blieb im Wagen.

Elisa, dessen Weisheit von Gott war, sah die Notwendigkeit, dem Naeman wegen seines Stolzes und seines Egoismus einen Verweis zu erteilen. Er sandte ihm daher die Botschaft: „Gehe hin und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder erstattet und rein werden.” Die Aussicht auf die Heilung allein sollte genügt haben, Naeman zu willigem Gehorsam zu veranlassen; aber Umgebung und Umstände hatten in ihm ein solch abnormes Selbstgefühl erzeugt, daß die geistige Bedeutung von „waschen,” nämlich mentale Reinigung, von ihm nicht erfaßt wurde. Er war enttäuscht, und sein verwundeter Stolz ließ ihn antworten: „Ich meinte, er sollte zu mir herauskommen und hertreten und den Namen des Herrn, seines Gottes, anrufen und mit seiner Hand über die Stätte fahren und den Aussatz also abtun.” Aus dieser Rede geht hervor, daß er sozusagen auf dramatische Weise geheilt werden wollte.

Elisa war ein guter Gedankenleser. Er wußte, daß dem Naeman eine Lehre in der Demut und im Gehorsam not tat, gerade wie der Praktiker heutzutage in vielen Fällen erkennt, daß gewisse Irrtümer im Bewußtsein des Patienten zerstört werden müssen, ehe Heilung erfolgen kann. Der Feldhauptmann weigerte sich zuerst, dem Geheiß des Propheten Folge zu leisten, und erging sich in Erörterungen über den relativen Heilwert der Flüsse in Israel und der Wasser in Damaskus. Dadurch bewies er von neuem seine übertriebene Meinung von sich selbst und seinen Nationalstolz. War er denn nicht zum Propheten gekommen, um von dessen Gott geheilt zu werden, weil alle andern Mittel erfolglos geblieben waren? Glücklicherweise erwiesen sich seine Knechte als gute Ratgeber. Sie antworteten ihm: „Wenn dich der Prophet etwas Großes hätte geheißen, solltest du es nicht tun? wieviel mehr, so er zu dir saget: Wasche dich, so wirst du rein!” Diese Worte der Knechte Naemans veranschaulichen jene einfache, kindliche Denkweise, von welcher der Meister sagte, sie müsse von einem jedem erlangt werden, der ins Himmelreich kommen will. Naeman befolgte ihren guten Rat, wusch sich im Jordan siebenmal und ward schnell und vollständig geheilt.

Wie hilf- und lehrreich ist doch diese Erzählung in ihrer Einfachheit! Der Gehorsam des anfangs so herrschsüchtigen Offiziers, des Feldhauptmanns des Königs, gegenüber dem armen Propheten bedeutete jedenfalls eine große Überwindung von Stolz und falschem Ehrgefühl. Das höchste Lob, das Jesus während seines Lehramts erteilte, galt dem Hauptmann zu Kapernaum, der in hohem Maße Demut an den Tag legte. Es lautete: „Solchen Glauben habe ich in Israel nicht gesunden!” Als Naeman diese mentale Stufe erreicht hatte, war er für seine Heilung bereit, und Elisa, der die Nichtsheit der Materie und die Allheit Gottes erkannte, bewies, daß es vor Gott keine „unheilbare Krankheit” gibt.

Auf Seite 593 von Wissenschaft und Gesundheit finden wir folgende Definition des Wortes Prophet: „Ein geistiger Seher; das Verschwinden des materiellen Sinnes vor den bewußten Tatsachen der geistigen Wahrheit.” Ferner lesen wir auf Seite 213 desselben Buches: „Es ist denkbar, daß die Eindrücke der Wahrheit so deutlich wie Laute waren, und daß sie in Lauten zu den ersten Propheten kamen, ehe das menschliche Wissen in die Tiefen einer falschen Auffassung der Dinge hinabgetaucht war — in die Annahme eines materiellen Ursprungs, die das eine Gemüt und die wahre Quelle des Seins verwirft.” Wir können also alle Propheten und Seher werden, und zwar dadurch, daß wir unser Bewußtsein von allen falschen Sinnesvorstellungen reinigen, besonders von dem falschen Begriff, daß Irrtum irgendwelcher Art je einen Ursprung hatte.

Als Naeman sah, daß er Heilung erlangt hatte, war er voller Freude und wollte seiner Dankbarkeit auf materielle Weise Ausdruck geben. Dies zeigt eine richtige Denkart, denn wahre Dankbarkeit begnügt sich nicht mit Worten. Elisa wollte jedoch des Feldhauptmanns Geschenke nicht annehmen, und so blieb diesem nichts andres übrig, als sie wieder mit nach Hause zu nehmen. Man darf wohl annehmen, daß seine Denkweise eine gründliche Änderung erfahren hatte, denn Stolz, Prahlerei und Eigenwille waren gerügt worden, und die Macht des Gottes Israels hatte sich an ihm bewiesen.

Hier tritt uns nun ein weiterer Charakter entgegen, nämlich Gehasi, Elisas Diener. Offenbar hatte dieser die Gelegenheit nicht ausgenützt, die ihm sein Umgang mit dem Mann Gottes bot, denn er hatte nicht einmal das erste Erfordernis aller Rechtschaffenheit erfaßt, nämlich Ehrlichkeit. Gehasi glaubte, er könne Elisa betrügen und sich einen Teil der Geschenke aneignen, die sein Meister abgelehnt hatte. Deshalb jagte er dem Naeman nach und brachte ihm eine erlogene Botschaft vom Propheten, nämlich daß dieser nun doch ein kleines Geschenk für wohltätige Zwecke annehmen würde. Der Feldhauptmann erfüllte diese Bitte gerne, ja diesmal stieg er zuvorkommend von seinem Wagen, um sogar einen Diener des Propheten zu empfangen. Gehasi kehrte zu Elisa zurück. Aber dieser wußte, dank seines geistigen Wahrnehmungsvermögens, was vorgefallen war, und schilderte zu seines Dieners nicht geringem Erstaunen den ganzen Vorfall. Alsdann verkündete er ihm eine strenge Strafe, indem er sagte: „Aber der Aussatz Naemans wird dir anhangen und deinem Samen ewiglich.” Und Gehasi ging von ihm „aussätzig wie Schnee.”

Hieraus ist zu ersehen, daß Unehrlichkeit die Ursache von Krankheit sein kann. Es war eine schreckliche Strafe, die Gehasi erhielt; aber wenn man bedenkt, welch herrliche Gelegenheiten, richtig denken zu lernen, er hatte unbenützt gelassen, so ist es klar, daß ein ernstes Übel irgendwelcher Art nicht ausbleiben konnte. In der Erfahrung, welche die Bibel den „Zorn Gottes” nennt und welche die Christliche Wissenschaft als den sich selbst zerstörenden Irrtum erklärt, werden die Menschen so lange durch ihre eignen Sünden bestraft, bis sie sich vom Bösen abwenden. Und dann erst können sie die Nichtsheit des Bösen durch Tatbeweise dartun.

In Wissenschaft und Gesundheit lesen wir: „Es ist Irrtum für irgend etwas andres als für deine eignen Sünden zu leiden ... und das wirkliche Leiden für deine eignen Sünden wird in dem Verhältnis aufhören, wie die Sünde aufhört” (S. 391). Um also in unsrer Zeit von einer durch Sünde verursachten Krankheit geheilt zu werden, sei es Aussatz, Mangel oder irgendein andres Übel, muß der Leidende demütig genug sein, um die Ursache zu erkennen und sich von ihr abzuwenden. Er muß einsehen lernen, daß das Gesetz Gottes über alle menschlichen Gesetze erhaben ist.

Unehrlichkeit kann manchmal auf ein abnormes Selbstgefühl zurückgeführt werden, auf Prachtliebe oder Reisesucht, auf das Verlangen nach hoher Stellung; und wer sich diesen Begierden ergibt inmitten von Gelegenheiten, die Wahrheit zu erkennen, kann seiner Strafe nicht entgehen, wenn sie auch nicht immer so schnell erfolgt wie bei Gehasi. Nachdem Jesus einst einen Mann geheilt hatte, sagte er zu ihm: „Sündige hinfort nicht mehr, daß dir nicht etwas Ärgeres widerfahre.”

Die dritte Lehre, die wir aus dieser Erzählung ziehen können, bezieht sich auf „erbliche Übertragung.” Wir hören gegenwärtig so vieles über Bakterien, Ansteckung und andre medizinische Theorien, daß die Christlichen Wissenschafter stets auf der Hut sein müssen, nicht von der daraus erwachsenden Furcht angesteckt zu werden. Für diejenigen, die bestrebt sind, sich aus ihren materiellen Annahmen herauszuarbeiten, ist die Geschichte von Gehasi eine wunderbare Darlegung der Tatsache, daß Krankheit nicht materiell ist und daher auch nicht mit materiellen Mitteln behandelt werden sollte. Für die damaligen sowie auch für die heutigen Ärzte war der vorliegende Fall eine „unheilbare Krankheit,” und das Urteil für Gehasis Nachkommen lautete dementsprechend: Mit Aussatz erblich belastet! Was war nun notwendig, um diesen falschen Zustand zu berichtigen? Sicherlich nicht Arzneimittel. Die Erfordernisse waren, die mentale Neigung zur Unehrlichkeit zu zerstören und die falsche Vorstellung von Substanz, eine Vorstellung, welche gewöhnlich als Furcht zum Ausdruck kommt, zu berichtigen.

Solche, die geduldig an der Überwindung eines Zustandes arbeiten, mit dem sie „erblich belastet” zu sein scheinen, können durch das Erfassen dieser Wahrheit von einem fast erdrückenden Furchtgefühl befreit werden. Sie kommen zu der Einsicht, daß, weil Krankheit mental ist, sie mental behandelt werden muß; und da alles unendliches Gemüt ist, wie die Christliche Wissenschaft lehrt, muß der Mensch eine unendlich gute Mentalität wiederspiegeln. Nichts Böses in irgendwelcher Gestalt kann sich seiner Autorität widersetzen. Wir können Gehasis Erfahrung auf unsre eignen Verhältnisse anwenden. Unser Fehler muß nicht gerade Unehrlichkeit sein; möglicherweise ist es Groll, Selbstsucht, ein Gefühl intellektueller Überlegenheit, und die Folgen mögen auf andre Weise zum Ausdruck kommen. Auf jeden Fall aber ist das Heilmittel, nämlich die Erkenntnis geistiger Wahrheit, stets zur Hand.


Der Glaube an Gott ist die Quelle alles reinen Natur- und Brudersinns der Menschheit, die Quelle aller Gerechtigkeit.

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