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Liebe zur Wahrheit

Aus der Januar 1917-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


In der Offenbarung vergleicht Johannes das neue Jerusalem mit einer Braut, die geschmückt ist ihrem Manne, und auf Seite 592 von Wissenschaft und Gesundheit definiert Mrs. Eddy die himmlische Stadt als „die göttliche Wissenschaft; die geistigen Tatsachen und die geistige Harmonie des Universums.” Das von dem Lieblingsjünger gebrauchte Bild spricht wohl jedermann an, denn „alle Welt liebt einen Liebenden,” wie Emerson sagt. In ihrer geistigen Bedeutung ist die Liebe so ganz und gar göttlich, so unzertrennbar eins mit dem wahren Sein, daß sogar die begrenzte menschliche Auffassung von Liebe die Menschen zur Selbstaufopferung, ja zu Heldentaten anregt.

Hat der Schüler der Christlichen Wissenschaft erst die Bedeutung der Beschreibung des Johannes sowie Mrs. Eddys Auslegung davon erfaßt, so stellt sich auch die Frage ein, ob die göttliche Wissenschaft für ihn so anziehend ist wie der Apostel sie versinnbildlicht. Ist uns die Erkenntnis der Wahrheit das wünschenswerteste Ziel? Sind wir bereit, für unsre Liebe zur Wahrheit Ungemach zu leiden, Opfer zu bringen und Jahr für Jahr auf das Erlangen der vollkommenen Erkenntnis der Wahrheit hinzuarbeiten? Lieben wir das durch die Christliche Wissenschaft offenbarte geistige Ideal in solchem Maße, daß wir den Kampf, den das Sichbekennen zu dieser Lehre mit sich bringt, mit Freuden auf uns nehmen? Dies sind Fragen, die erst richtig beantwortet werden müssen, bevor der Pilger nach dem neuen Jerusalem bereit ist, die falsche Liebe, die ihn an die Erde zu ketten sucht, zurückzulassen, jene Liebe, die den müden Sucher nach dem himmlischen Frieden von jeher enttäuscht und gemartert hat.

Die göttliche Wissenschaft oder Christliche Wissenschaft, wie Mrs. Eddy sie in ihrer Beziehung zur Menschheit genannt hat, umfaßt die Erkenntnis göttlicher Dinge. Sie ist die Wahrheit über Gott, über geistige Macht und Intelligenz, über den Menschen, über alles, was das menschliche Problem ausmacht. Was gibt es im menschlichen Bewußtsein, das sich mit der wissenschaftlichen Erkenntnis des unsterblichen Wesens der Dinge vergleichen ließe? Was wäre anziehender oder lieblicher als ein Verständnis der Unendlichkeit der Liebe, der Unendlichkeit des Lebens und der Vollkommenheit alles dessen, was Gott zum Ausdruck bringt? Es ist klar, daß wir den Himmel weder hier noch anderswo erreichen können, solange die göttlichen Dinge nicht in unsern täglichen Erfahrungskreis gekommen sind, d. h. solange wir sie nicht lieben und uns aneignen.

Die falschen Vorstellungen von Gott und dem Menschen sind für all die Sünden und all das Elend der Menschheit verantwortlich, und diese Zustände werden so lange bestehen, bis die Wahrheit über Gott und den Menschen allgemein erkannt und praktisch angewendet wird. Aber diese umgestaltende Wahrheit, der errettende Christus, ist nicht vermöge selbstsüchtiger oder niedriger Beweggründe zu finden. Wir erkennen an, daß Gott Liebe ist; darum sollten wir auch einsehen, daß wir Ihn allein durch Liebe finden können, und liebevolle Gedanken erfüllen und beherrschen das Bewußtsein erst dann, wenn man sie gerne beherbergt. Die göttlichen Eigenschaften werden nicht durch bloßes Pflichtgefühl zur Tätigkeit angeregt. Solange es nicht unsre größte Freude ist, unsre Erkenntnis der Wahrheit, daß der Mensch das vollkommene Kind Gottes ist, im täglichen Leben zu beweisen, wird diese Wahrheit ihre Schätze uns nicht entfalten, denn Jesus lehrte, daß wir unsre Schätze da finden, wo unser Herz ist.

Ist es nicht selbstverständlich, daß nur die göttliche Wahrheit Zuflucht vor dem Irrtum bietet, und daß die Wahrheit nur die beschirmt, die sich ihr mit Verständnis und Liebe zuwenden? Die Sterblichen streben am eifrigsten nach dem, was ihnen am liebsten ist, sei es Wahrheit oder Irrtum. Moses ermahnte die Israeliten, Gott in ihrer Liebe den ersten Platz einzuräumen und der Wahrheit, die zu lehren er auserlesen war, eingedenk zu bleiben; dann würden sie auch seiner weiteren Ermahnung folgen, diese Wahrheit ihren Kindern mitzuteilen, sie zum Hauptgegenstand ihres Gesprächs zu machen, über sie nachzudenken und für sie zu leben. Je besser man das Wesen Gottes versteht, desto klarer sieht man ein, daß das neue Jerusalem des Geistes weder durch intellektuelle Beweisführung, noch durch theologische Dogmen, noch durch den Glauben an die Güte eines andern zu erreichen ist, sondern allein durch jene Liebe zu göttlichen Dingen, die uns dazu antreibt, der Gottähnlichkeit um ihrer selbst willen zuzustreben.

Obschon die Sterblichen der Sünde und ihrer Tätigkeit im menschlichen Bewußtsein mehr oder weniger gleichgültig gegenüberstehen, so sind sie doch aus allen Kräften bestrebt, ihren Folgen zu entrinnen; und dieses Verlangen nach physischer Freiheit ist gewöhnlich die erste Anregung, bei der Christlichen Wissenschaft Hilfe zu suchen. Nun mag dies für einen Anfänger ganz in Ordnung sein, beweist aber einen Standpunkt, den der Christliche Wissenschafter nicht lange einnehmen darf. Wir können nicht unsre ganzen Neigungen auf geistige Dinge richten, solange wir das Materielle lieben. (Siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 326.) Der Christ hat ein Anrecht auf körperliche sowohl wie geistige Gesundheit; aber er kann diese Segnungen erst dann billigerweise von Gott verlangen, wenn er aufrichtig nach sittlicher und geistiger Besserung strebt. Das Trachten nach physischem Wohlsein, allein um dieses Wohlseins willen, ist eine Form von Sinnlichkeit und führt nicht zu geistigem Fortschritt.

In der Christlichen Wissenschaft geheilt werden und die Wahrheit lieben, die da heilt, sind zwei verschiedene Dinge. Eine solche Liebe ist aber nötig, wenn man ein wahrer Christlicher Wissenschafter werden will, d. h. dem Buchstaben wie dem Geiste nach. Wer mit den physischen Wohltaten, die die Christliche Wissenschaft mit sich bringt, zufrieden ist, unterwirft sich tatsächlich der Materialität, ja er beweist seinen Mangel an Verständnis für den Ruf der Wahrheit. Diese Gleichgültigkeit gegenüber der Forderung, das geistig Gute zu erstreben, führt zu Selbstsucht und Streit unter den Brüdern. Sie beweist, daß man das eigne Ich mehr liebt als die Wahrheit, die Person mehr als das Prinzip; sie bildet den Irrtum, der die Christen ihres geistigen Erbes zu berauben und das Christentum unter der Gewalt des sogenannten fleischlichen Sinnes zu halten sucht.

Die körperlichen Heilungen, die die Christliche Wissenschaft der Menschheit bringt, sind gewiß sehr erfreulich; aber man kommt leicht in Gefahr, allzugroßes Gewicht auf diesen Teil ihrer Tätigkeit zu legen; man vergißt leicht, daß durch ihren läuternden Einfluß die Sterblichen auch von der Sünde befreit werden müssen. In der Christlichen Wissenschaft sind wahre körperliche Heilung und geistige Wiedergeburt unzertrennlich. Wenn wir uns freuen, daß uns die Wahrheit von Krankheit frei macht, so müssen wir uns auch freuen, daß sie uns von allen übrigen Irrtümern erlöst. Daher müssen wir ebenso eifrig auf moralische wie auf physische Besserung bedacht sein. Wer sich zu der Wahrheit bekennt, daß der Mensch Gottes gesund ist, nimmt kein großes Kreuz auf sich; aber die gleiche Wahrheit lehrt auch, daß der Mensch aufrichtig und selbstlos ist. Man kann demnach diese Wahrheiten in ihrer praktischen Anwendung nicht trennen. Wir sind mit unsrer Erklärung, daß wir Gott „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte” lieben, erst dann aufrichtig, wenn es uns Freude bereitet, unser Bewußtsein mit Gutem erfüllt zu halten.

Die Wahrheit über den zu Gottes Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen lautet, daß dieser stets rein und vollkommen, liebend und liebenswert ist. Macht es uns Freude, über wiese Wahrheit in ihrer Beziehung auf uns selber und unsre Nächsten nachzudenken? Lieben wir dieses geistige Ideal in solchem Maße, daß dadurch die gegenteilige Vorstellung von sündhaften, kranken und selbstsüchtigen Persönlichkeiten in unserm Denken keinen Raum mehr findet? Zieht uns die Wahrheit über den Gottesmenschen so stark an, daß die bösen Einflüsterungen in unserm Bewußtsein kein Gehör mehr finden?

Die Sterblichen müssen die Wahrheit um ihrer selbst willen lieben lernen, nicht bloß um ihrer heilenden Wirkung willen. So teuer muß uns die Wahrheit über die Göttlichkeit des wahren Menschen werden, daß es unsre größte Freude ist, sie durch uns zum Ausdruck kommen zu lassen. Die Erklärung, daß wir Gottes Kinder sind, darf nicht nur zur Überwindung körperlicher Leiden gebraucht werden, sondern sie muß uns auch daran erinnern, daß dieses Verhältnis auch in jeder andern Hinsicht besteht. Wenn wir die Wahrheiten der göttlichen Wissenschaft, die Allheit der göttlichen Liebe einfach dazu benützen, uns vor dem Haß andrer zu schützen, während Haßgedanken gegen andre noch in unserm Bewußtsein wohnen, wird unsre Vorstellung vom Bösen wachsen. Richten wir in der Christlichen Wissenschaft unser Hauptaugenmerk auf die körperlichen Wohltaten, so schrecken wir natürlich von den materiellen Opfern zurück, die von uns gefordert werden. Lieben wir aber die Wahrheit deshalb, weil sie aus uns bessere Menschen macht, dann werden wir gerne unser irdisches All gegen diese „köstliche Perle” eintauschen.

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