Die Menschheit ist so sehr gewohnt, das Zeugnis der physischen Sinne bedingungslos anzunehmen, daß so mancher Sucher, der sich der durch die Christliche Wissenschaft geoffenbarten Wahrheit gegenübersieht, wie Nikodemus ausruft: „Wie mag solches zugehen?” Nikodemus, der Jesus an seinen mächtigen Werken als Propheten erkannte, glaubte offenbar, durch das Erforschen der Lehre des Meisters seine rabbinische Weisheit erweitern zu können. Wie groß war daher sein Erstaunen, als unser Meister, statt mit der Erklärung einer neuen Lehre zu beginnen, eine Anschauung darlegte, die die Grundlage der jüdischen Auslegung wie überhaupt alle materialistische Weisheit umstieß, indem er erklärte: „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.” Mit andern Worten, die fleischliche Denkart mit ihren materiellen Erklärungen vom Sein und geistige Dinge sind einander wesensfremd.
Wenn Gott Geist ist, wie Jesus ein andermal erklärte (siehe Joh. 4, 24), so folgt, daß Sein Reich — das, was aus Ihm hervorgeht, von Seinem Bewußtsein umfaßt wird — Ihm wesensgleich sein muß, d. h. geistig. Woher kommt dann „das Fleisch”— die Materie, die Sterblichkeit, das Übel, der Irrtum? Woraus sind sie „geboren”? Es scheint fast, als habe die Menschheit gerade wegen der Einfachheit und Bündigkeit der Antwort des Meisters in diesem Zwiegespräch den Punkt übersehen, den er diesem „Menschen unter den Pharisäern” so klar zu machen suchte: „Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen.”
Gott als die einzige Ursache und den einzigen Schöpfer anerkennen, ist gleichbedeutend mit der Erklärung, daß allein das, was zu Seinem Reich gehört, mit andern Worten, das, was geistig ist, wirklich besteht. Wenn wir ferner das Weltall so kennen wollen, wie Gott es schafft und kennt, müssen wir uns auf den göttlichen Standpunkt stellen, müssen wir es geistig auffassen. Es ist klar, daß es bloß einen richtigen Standpunkt geben kann, nämlich den geistigen. Andre Standpunkte sind nur hypothetischer, irriger Art; folglich sind auch die sich daraus ergebenden Folgerungen und deren Resultate unwirklich. Auf Seite 301 von Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift lesen wir: „Täuschung, Sünde, Krankheit und Tod entstehen aus dem falschen Zeugnis des materiellen Sinnes, der von einem vermeintlichen Standpunkt außerhalb der Brennweite des unendlichen Geistes aus ein umgekehrtes Bild des Gemüts und der Substanz darstellt, in welchem das Unterste zu oberst gekehrt ist.”
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