Vor kurzer Zeit suchte eine Christliche Wissenschafterin am Ende eines besonders finstern Tages Zuflucht in einer Mittwochabend-Versammlung. Ihre Familie stand vor der Frage der Arbeitslosigkeit. Der Mangel an den notwendigsten Dingen hatte sich während der letzten paar Wochen täglich fühlbarer gemacht, und die Mitglieder des Haushalts waren der Verzweiflung nahe. Während sich die Schreiberin in der Dämmerung langsam dem Kircheneingang näherte, verwandelte sich ihr verzweifeltes Sehnen, von der Last, die ihr damaliges Verständnis vom Prinzip der Versorgung nicht zu beheben vermochte, wenigstens einen Augenblick befreit zu werden, in das unbestimmte Verlangen, für irgend etwas danken zu können.
Während der Versammlung wuchs dieses Samenkorn des Verlangens. Sie war von dem großen Wunsch beseelt, ihrer besonderen Dankbarkeit für eine bestimmte Wohltat, die sie empfangen, Ausdruck zu verleihen. Der Irrtum gab wohl zu, daß sie gewisse Segnungen empfangen hatte; aber durch die Einflüsterung, daß ja alle schon in früheren Zeugnissen vor der gleichen Zuhörerschaft erwähnt seien, versuchte er ihr die Zeugnisabgabe unmöglich erscheinen zu lassen, und so blieb sie sitzen. Dann aber ging der Irrtum, wie es stets der Fall ist, einen Schritt zu weit. Er behauptete, sie hätte seit der Zeit, da sie ein christlich-wissenschaftliches Leben zu führen angefangen, häufiger Not gelitten als in früheren Tagen, wo sie einfach mit dem Strom geschwommen — dem Strom der sterblichen Annahmen. Jetzt hatte ihr der Irrtum selber den Anhaltspunkt zu seiner beschleunigten Zerstörung gegeben, denn sie wußte, daß sie für das andauernde Wirken der Christlichen Wissenschaft in ihrem täglichen Leben dankbar war.
Während sie diesen Engel beherbergte, brachte der Irrtum die Einwendung vor, die Versammlung sei beinahe zu Ende und sie würde keine Zeit mehr haben, etwas zu sagen. Aber es war noch Zeit, und sie benützte sie. Ihr Bewußtsein war von der herrlichen Tatsache erfüllt, daß es ihr nicht mehr an Lebenskraft zur Verrichtung ihrer täglichen Arbeit fehlte, wie es ehedem der Fall gewesen. Ein Gefühl tiefer Dankbarkeit kam über sie, und die drohende Schwierigkeit, in der sie sich gerade befand, löste sich in ihr ursprüngliches Nichts auf. Ganz natürlich kam es ihr vor, daß sie, sobald sie nach Hause gekommen, durch den Fernsprecher angerufen wurde und die Mitteilung erhielt, daß das Bedürfnis nach Arbeit gestillt war. Sie hatte ja das Joch der Dankbarkeit auf sich genommen und fand nun die verheißene Ruhe.
Der Ausspruch Mrs. Eddys in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 519): „Geben hat das göttliche Gemüt nicht arm gemacht und kann es niemals arm machen. Der Auffassung der göttlichen Wissenschaft gemäß folgt dem Wirken dieses Gemüts keine Erschöpfung,” erhebt sich für manchen mühseligen Sterblichen, der in die Reihen der Schüler der Christlichen Wissenschaft eintritt, wie ein himmelanstrebender, schneebedeckter Berg, der zwar erhaben ist in seiner Größe, aber sehr hoch für die sterblichen Begriffe. Von unserm Standort mitten im sumpfigen Tiefland des entmutigten menschlichen Strebens aus ist unser erster weiter Blick allerdings eine Beruhigung und ein Trost. Welch beseligende Befreiung von den uns quälenden Ängsten ist es, wenn wir das sehende Auge zu den stillen, weißen Höhen der Wahrheit über die geistige, wahre Substanz erheben können! Uns der „Auffassung der göttlichen Wissenschaft” anschließend, streben wir sodann geduldig danach, diese Höhen zu erklimmen, den Aufstieg himmelwärts Schritt für Schritt zu machen, bis wir schließlich jenes erhöhte Verständnis erreichen, durch das wir die Gewißheit erhalten, daß seine erste herrliche Verheißung wahr ist,— wo wir wissen, daß die göttliche Liebe den geistigen Reichtum schon geschaffen hat, der wahre Fülle ist und der jede menschliche Notdurft stillt.
In der unendlichen Schatzkammer der göttlichen Versorgung findet sich alles, was zum Wachstum und Fortschritt jetzt und in alle Ewigkeit nötig ist. Um unendlich, unbegrenzt, ewig, unerschöpflich und sicher sein zu können, muß die Versorgung ganz und gar geistig sein und kann nicht von menschlichen Anstrengungen abhängen. Wer glaubt, Versorgung zu erzeugen, arbeitet vergebens. Natürlich kann ein Mensch, der wirklich versteht, daß die eine große Quelle, nämlich Gott, seine Versorgung mühelos schafft, nicht umhin, seiner Dankbarkeit durch richtige Tätigkeit Ausdruck zu verleihen. Und solange er auf dieser Ebene der menschlichen Erfahrung weilt, befaßt er sich mit sogenannten materiellen Dingen sowohl wie mit rein geistigen, um Ordnung, Schönheit, Heiligkeit und Bequemlichkeit in sein Leben zu bringen. In der Umgangssprache ausgedrückt: er arbeitet. Wahre Arbeit ist also, ob man sie nun geistig oder körperlich nennt, durch Taten ausgedrückte Dankbarkeit. Die Fülle der Versorgung drängt sich der Menschheit tatsächlich von allen Seiten auf, und zwar schon ehe diese aus Dankbarkeit zum Schöpfer anfängt, tätig zu sein. Von diesem höheren Gesichtspunkt aus erkennt man, daß ein richtiges Verständnis von der Bedeutung der täglichen Arbeit die Unterwerfung unter den Irrtum aufhebt, daß die Menschen der Überarbeitung ausgesetzt seien. In Wirklichkeit kann es keine Übertätigkeit geben.
Wenn sich die Sterblichen abmühen in der Annahme, daß sie die Versorgung schaffen, die ihre berechtigten Bedürfnisse ganz oder zum Teil stillt, dann unterwerfen sie sich durch diesen Denkfehler den sogenannten sterblichen Gesetzen der Schwäche und der Müdigkeit, und zwar so lange, bis ihre Denkweise berichtigt wird. Christi barmherzige Aufforderung an alle, die sich mit irrigen Annahmen abquälen, lautet: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir. ... Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.” Nehmen wir das Joch der Dankbarkeit für die Wahrheit auf uns, dann erweist sich das als leicht, was für den sterblichen Sinn eine drückende Last zu sein scheint.
