Die Christlichen Wissenschafter werden oft aufgefordert, sich andern als den im Kirchenhandbuch genannten Tätigkeiten zu widmen. Der Irrtum kennt offenbar kein erfolgreicheres Mittel, die Ziele der Wahrheit zu vereiteln, als das, ihre Nachfolger zu verleiten, daß sie ihre Kräfte in einer Weise verwenden, die den geistigen Fortschritt nicht unmittelbar fördert. Diese Versuchung tritt oft in der verführerischsten Form auf. Manchmal macht sie sich wohl unter dem Deckmantel der Bürgerpflicht als eine vielversprechende Gelegenheit geltend, dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen, eine würdige Sache zu unterstützen, eine gerechte Regierung herbeiführen zu helfen oder sich gesellschaftlich emporzuschwingen,— diese und zahlreiche andre vielversprechende Gründe werden vorgebracht, um den Christlichen Wissenschafter von dem geraden Weg abzulocken, den unsre Führerin allen denen gewiesen hat, die wirklich wünschen, durch hilfreiche Unterstützung ihrer Mitmenschen in geistiger Hinsicht Fortschritte zu machen.
Solche Versuche vermögen die Christlichen Wissenschafter, die die arglistige Vorgangsweise des Bösen wohl kennen, nicht irrezuführen. Sie betrachten nur das als ihrer Hingebung würdig, was die Menschheit geistig vorwärtsbringt, sie wenden sich ausschließlicher dem Geist zu und vertrauen mehr und mehr darauf, daß das Gebet des Verständnisses die Heilung und Erneuerung herbeiführen wird, die der Welt so sehr not tut. Mrs. Eddy beleuchtet die Lage in The People's Idea of God (S. 1) auf wunderbare Weise, wenn sie sagt: „Jeder Schritt vorwärts ist ein Schritt zu weiterer Vergeistigung. Das große Wesentliche bei der Umgestaltung ist nicht menschlicher Weisheit entsprungen, es erhält seine Lebenskraft nicht aus menschlichen Zusammenschlüssen; vielmehr besteht es darin, daß die materiellen Bestandteile abfallen von der Vernunft, daß das Gesetz in seine ursprüngliche Sprache, Gemüt, zurückübersetzt und schließlich die Einheit des Menschen mit Gott hergestellt wird.”
Manchmal tritt die Versuchung an die Christlichen Wissenschafter heran, dieser oder jener Vereinigung beizutreten. Deren Zweck mag an sich gut sein, und es mögen ihr hochgeachtete Bürger, gute und wahre Menschen, angehören. Es ist nicht schwer, überzeugende Gründe für einen solchen Schritt zu finden, ja, es gibt deren viele, und alles scheint dafür zu sprechen. Im Kirchenhandbuch jedoch, das jeder Christliche Wissenschafter bereitwillig und dankbar als Richtschnur für seine Lebensführung anerkennt, befinden sich besondere Bestimmungen, die den Fall vollkommen decken. In Artikel VIII, Abschnitt 16 heißt es, daß es die Pflicht der Mitglieder Der Mutter-Kirche ist, „Frieden auf Erden und Wohlwollen unter den Menschen zu fördern,” und weiter: „Doch sollen Mitglieder Der Mutter-Kirche fernerhin nicht Mitglieder andrer Vereine werden, außer solcher, die im Handbuch Der Mutter-Kirche angegeben sind.” Die Stelle wird offenbar am besten verstanden, wenn sie im Zusammenhang mit dem vorhergehenden Abschnitt von Artikel VIII gelesen wird: „Mitglieder dieser Kirche sollen keinen Vereinen beitreten, die ihrem Fortschritt in der Christlichen Wissenschaft hinderlich sind. Gott verlangt unser ganzes Herz, und Er bietet auf den weiten Bahnen Der Mutter-Kirche allen ihren Mitgliedern genügend Gelegenheit zu pflichtgetreuer Betätigung.”
Die Frage also, ob etwas seinem Fortschritt in der Christlichen Wissenschaft hinderlich ist oder nicht, ist der Prüfstein, den ein Christlicher Wissenschafter an seine Handlungen legt. Was uns davon ablenkt, die Lehren unsrer Führerin in Verbindung mit der Bibel beständig und aufmerksam zu erforschen und zu betätigen; was unsre geistige Einsicht trübt durch die Vergrößerung des Irrbildes der Materie; was unsern aus tiefstem Herzen kommenden Glauben an die Dinge des Geistes, an das „was unsichtbar ist” verringert, das ist unmittelbar dem Fortschritt hinderlich und muß folglich vom gewissenhaften Schüler gemieden werden. Das Wohlergehen der Menschheit wird allein durch die Tätigkeit der geistigen Wahrheit gefördert. Die Wahrheit ist ebenso gebieterisch in ihren Forderungen, wie sie in ihren Belohnungen zuverlässig ist. Daß wir die Sache nicht mißverstehen! Es gibt nur einen Prüfstein: Ist es unserm geistigen Wachstum hinderlich? Nicht in Vereinen, die die Sinne befriedigen, nicht in Verbindungen, die angenehme gesellschaftliche Beziehungen in Aussicht stellen, sondern „auf den weiten Bahnen Der Mutter-Kirche” finden sich die besten Gelegenheiten zur Förderung unsres geistigen Wachstums.
Die Gefahr liegt nun nicht darin, daß man überhaupt Mitglied einer vielleicht lobenswerten Verbindung ist, sondern in dem Gebrauch, den man von dieser Mitgliedschaft macht. Verhindert sie einen, das Ziel zu erreichen, nach dem jeder gewissenhafte Christ trachtet, nämlich so gesinnet zu sein, „wie Jesus Christus auch war”? In Retrospection and Introspection sagt unsre Führerin (S. 70): „Der wahre Lehrer der Christlichen Wissenschaft lebt nach der Wahrheit, die er lehrt. In seiner hervorragenden Stellung unter den Menschen steht er tatsächlich an der Spitze aller gesundheitlichen, bürgerlichen, sittlichen und religiösen Umgestaltungen.” Ist es nicht offenkundig, daß unsre Führerin genau wußte. welche mentalen und geistigen Eigenschaften der Lehrer der Christlichen Wissenschaft zum Ausdruck bringen müsse? Wer anders als der erfahrene Arbeiter in der Christlichen Wissenschaft ist imstande, die Richtung, in der sich das menschliche Denken bewegt, klug zu erkennen und sie genau zu deuten? Man wird dadurch zum Erneuerer, daß man die Wahrheit erkennt, die die Menschen freimacht, daß man richtig denkt, und nicht dadurch, daß man als Vorsitzender oder als Mitglied einer Vereinigung wirkt, wie uneigennützig deren Zweck und wie aufbauend ihre Tätigkeit auch sein möge. Kenntnis der Bürgerpflichten und der Anlässe zu Neuerungen ist notwendig zur Förderung der allgemeinen Wohlfahrt, aber diese Kenntnis ist stets der Diener des geistigen Verständnisses.
Im Johannes-Evangelium lesen wir, wie die Jünger einmal den Meister baten zu essen, da sie um sein Wohlergehen besorgt waren. Er antwortete: „Ich habe eine Speise zu essen, von der ihr nicht wisset.” Damit meinte er offenbar die geistige Unterstützung, die ihm durch die göttliche Liebe beständig zuteil wurde. Er erklärte weiter: „Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen des, der mich gesandt hat.” Und dann folgen die bekannten Worte, die keinen Aufschub dulden bei der Ausführung der Werke des Vaters: „Siehe, ich sage euch: Hebet eure Augen auf und sehet in das Feld; denn es ist schon weiß zur Ernte.” Wie vollkommen stellt dieses Bild den Zustand dar, vor dem die Christlichen Wissenschafter stehen! Die Felder sind in der Tat reif,— reif für die Sichel der Wahrheit, die die scheinbar allzu üppige Ernte des Irrtums zerstören soll. Es ist die Aufgabe und die Pflicht der Christlichen Wissenschafter, das höchste Verständnis anzuwenden, das sie besitzen, um die mannigfaltigen Ansprüche des Bösen zu zerstören. Unsre Führerin hat die Richtung angegeben und den Weg so deutlich gewiesen, daß selbst der unachtsame Wanderer nicht irregehen kann. Und wir werden genau in dem Verhältnis Fortschritte machen, wie wir uns an die Vorschriften unsrer Führerin halten.
