Christus Jesus sagte: „Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen.” Der Christliche Wissenschafter, der sich bemüht, das Reich Gottes auf Erden erscheinen zu lassen, lernt verstehen, was es heißt, aufbauend zu arbeiten, und wenn er wach ist, wird er sich vor Eifer „mit Unverstand” hüten und es nicht versuchen, offenbare Übel vorzeitig und unterschiedslos beseitigen zu wollen, ehe der Charakter des einzelnen sich soweit gefestigt hat, daß sein Denken und Handeln in jeder Beziehung auf die richtige Grundlage gestellt werden kann. Jesus konnte das Böse augenblicklich vernichten; unser Bewußtsein jedoch muß erst zu der Höhe seines Verständnisses heranwachsen, ehe wir seinem Beispiel folgen können, sonst könnten unter Umständen schlimme Folgen zu befürchten sein.
Die Erklärung von Kirche im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift,” von Mary Baker Eddy lautet teilweise wie folgt (S. 583): „Der Bau der Wahrheit und Liebe; alles, was auf dem göttlichen Prinzip beruht und von ihm ausgeht.” Es hat oft den Anschein, als ob es unter Kirchenmitglieder an der nötigen Einheit fehle und daß aus diesem Grunde die Liebe und das Wohlwollen unter denen, die zugestandenermaßen für eine gemeinsame Sache arbeiten, nicht immer zum Ausdruck zu kommen scheint. Daß es an der Oberfläche scheinbar Meinungsverschiedenheiten gibt, beweist noch nicht unbedingt, daß die Kirchenmitglieder die Tatsache aus den Augen verloren haben, daß die Interessen des einen von denen des andern nicht zu trennen sind; trotzdem werden sie ohne bewußte Einheit Arbeitern gleichen, die viele Tage lang fleißig arbeiteten, um einen schönen Bau aufzurichten, bei dem alles richtig vorwärts geht, von denen aber einige jede Nacht unter dem Deckmantel der Dunkelheit einen Teil der bei Tage verrichteten Arbeit wieder einreißen. Wenn jede Nacht auch nur wenige Steine abgetragen würden, könnte der Bau natürlich nie zustandekommen oder seine Fertigstellung würde zum mindesten arg verzögert werden, sodaß er lange nicht bewohnt oder für die vorgesehenen Zwecke verwendet werden könnte. Bei dem Bau eines materiellen Gebäudes könnte das kaum vorkommen, da ein Wächter den Bau des Nachts aufmerksam bewacht. So sollte es auch mentale Wächter geben, die sich noch ernstlicher bemühen, den Bau, der mental gebaut wird, zu bewachen, um den Feinden, als da sind Kritik, Verdammung, Herabsetzung, Selbstgerechtigkeit oder gar Verleumdung, den Eintritt zu verwehren, besonders wenn sie sich gegen die wenden, die zu den verschiedenen Kirchenämtern erwählt wurden.
Die Christliche Wissenschaft fordert von einem jeden, daß er seinen mentalen Standpunkt mit der Goldenen Regel in Übereinstimmung bringt, und man sollte sich klar machen, daß die Leser, Vorstandsmitglieder und andern Beamten, nachdem sie gewählt worden sind, ein Anrecht haben auf die tätige und liebevolle Unterstützung der Mitglieder der Kirche, der sie dienen. Man sollte daran denken, daß sie nicht darum gebeten haben, in diese Ämter gewählt zu werden. Zuweilen mag ihnen die Wahl nicht einmal willkommen sein; aber da sie nun mit der Aufgabe geehrt worden sind, erfüllen sie gewöhnlich ihre Pflichten nach bestem Vermögen und erwarten von den Mitgliedern mit Recht Wohlwollen und liebevolle Unterstützung. Auch die vom Vorstand ernannten Beamten, wie die Mitglieder der verschiedenen Komitees, der Vorsteher der Sonntagsschule und sein Assistent, der Organist u.s.w., wurden auf Grund ihrer besonderen Fähigkeiten für die Posten ausgesucht. Und wir dürfen wohl gerechterweise annehmen, daß sie ihr Bestes tun, und zwar zuweilen unter Schwierigkeiten. Es kann natürlich vorkommen, daß der Vorstand in manchen Fällen eine bessere Wahl hätte treffen können; aber auch wir könnten oft richtiger handeln, wenn wir uns des alleinigen Gemüts bewußt wären! Wir müssen erst einsehen lernen, um einen kürzlich gelesenen Aufsatz anzuführen, daß „das Christentum Barmherzigkeit in uns entfaltet, wodurch wir die Übel außer uns überwinden können.” Bis diese wünschenswerte Umwandlung im menschlichen Bewußtsein bewirkt ist, wird alles Bekritteln und Stellungnehmen gegen Personen nichts Gutes zustande bringen.
Das soll nun nicht heißen, daß etwas tatsächlich Böses übersehen werden sollte; aber Liebe ist immer aufbauend, und wenn sie nicht moralisch unwürdig oder tatsächlich zum Amt ungeeignet sind, haben diese Arbeiter ein Recht auf unsre Unterstützung. Ist das jedoch nicht der Fall, wäre es dann nicht liebreicher und wahrer Weisheit entsprechender, sich an den erwählenden Vorstand oder den betreffenden Kirchenbeamten selbst zu wenden, um die Angelegenheit zur Sprache zu bringen und zu klären? Wenn wir dazu zu feige sind, sollten wir lieber schweigen! Wenn aber die Mitglieder statt dessen die Angelegenheiten untereinander besprechen und dabei oft den Samen des Unfriedens und des Zweifels in die Gedanken derer säen, die sonst aus den Gottesdiensten viel Segen empfangen würden, heißt das nicht, unsern so mühsam errichteten Bau wieder einreißen? Die Leser in einer christlich-wissenschaftlichen Kirche mögen nicht immer ebenso gut sein wie ihre Vorgänger; doch dürfen wir überzeugt sein, daß sie ihr Bestes tun, und wir sind immer zu gleicher Hilfsbereitschaft verpflichtet.
Unsre Kirchenbeamten brauchen all die liebreiche Unterstützung, die wir ihnen nur zu geben vermögen. Sie bedürfen unsres aufbauenden Denkens, Redens und Handelns. Und auch wir selbst bedürfen des erhebenden und heilenden Einflusses solch aufbauender Arbeit in unserm eignen Denken. Wenn sich jedes Mitglied der Kirche der Christlichen Wissenschaft demütig vornehmen wollte, den Gottesdiensten beizuwohnen mit einem Herzen, das nur den liebevollen Wunsch kennt, seinen Bruder durch rechtes Denken zu segnen, und wenn jeder einzelne alle zerstörerischen und hindernden Einflüsterungen zurückweisen wollte, die sein Denken, durch das nur die Wahrheit fließen soll, hemmen möchten: welch heilenden Einfluß würde dies zur Folge haben! Wie schnell würde dann das empfängliche Bewußtsein derer, die kommen, um Heilung und Hilfe zu finden, den wohltuenden Einfluß unsrer liebevollen Wahrheits-Behauptungen empfinden! Und auch wir selbst würden uns bewußt, daß „das Herz durch Geben reich wird,” und es würden sicherlich viele die Gottesdienste „neugeboren, stark und frei” verlassen (Wissenschaft und Gesundheit, S. 442). Auf diese Weise würde ein jeder zu der von Gott bestimmten Zeit das Verständnis erlangen, das zur Demonstration der Worte Mrs. Eddys auf Seite 455 von „Wissenschaft und Gesundheit” befähigt: „Gott wählt für den höchsten Dienst nur jemand aus, der zu einer solchen Tauglichkeit für denselben herangewachsen ist, daß jeglicher Mißbrauch der Mission zur Unmöglichkeit wird.”
