In „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 426) schreibt unsere Führerin: „Die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft findet den Weg weniger schwierig, wenn sie das hohe Ziel beständig vor Augen hat, als wenn sie ihre Fußtapfen zählt in ihrem Bemühen dieses Ziel zu erreichen. Ist das Ziel begehrenswert, dann beschleunigt die Erwartung unsern Fortschritt. Das Ringen nach Wahrheit macht uns stark anstatt schwach und bringt uns Ruhe anstatt Ermüdung”. Wer sich noch nicht lange mit der Christlichen Wissenschaft befaßt hat, fragt wohl: Was ist das Ziel? Mrs. Eddy hat diese Frage in ihren Werken wiederholt beantwortet. Als eine dieser Antworten kann eine Stelle in „Wissenschaft und Gesundheit” (S. 472) aufgefaßt werden, wo es heißt, „daß Gott verstanden, angebetet und demonstriert werden muß”. Diese Erklärung hat manchmal den Widerwillen der alten schulmäßigen Denkweise erregt. Der fromme Christ betete das an, was er für Gott hielt; aber er verstand Gott nicht, und der Vorschlag, den Allmächtigen zu „demonstrieren”, wäre ihm ebenso gotteslästerlich wie unverständlich vorgekommen, hauptsächlich weil er die Gottheit für eine begrenzte Persönlichkeit hielt. Wenn aber Gott als das unendliche göttliche Prinzip des Menschen verkündet wird, beginnt das Verstehen der Möglichkeit, die Wahrheit über das göttliche Prinzip zu demonstrieren oder zu beweisen, im Bewußtsein zu dämmern; und das Verstehen und Anwenden der Christlichen Wissenschaft entfaltet darüber hinaus die Tatsache, daß des Menschen göttliches Prinzip beweisbar ist.
Doch auch dies bringt denjenigen, der im Erfassen der Christlichen Wissenschaft noch nicht weit genug vorgedrungen ist, manchmal in Verwirrung, und seine nächste Frage ist vielleicht: Welche Schritte führen zu diesem hohen Ziel, und können die Sterblichen sie auch ausführen? Daß dies möglich ist und täglich gezeigt wird, wissen Tausende von Menschen, die beweisen, daß Gott nie etwas Unmögliches verlangt und an alle dieselbe Anforderung stellt: „Bringet aber die Zehnten ganz in mein Kornhaus, auf daß in meinem Hause Speise sei, und prüfet mich hierin, spricht der Herr Zebaoth, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle”. Es ich unser großes Vorrecht, zu erfahren, was diese Zehnten sind, und wie sie alle dargebracht werden, um des Menschen Beziehung zu Gott und Gottes wohltätigen Willen und Segen prüfen zu können, der so überreich ist, daß das menschliche Bewußtsein ihn nicht zu erfassen vermag. In dem Verhältnis jedoch, wie das Menschliche in der Gegenwart des Göttlichen aufgeht, tritt der geistige Ausdruck von Gottes grenzenloser Liebe und Fürsorge in die Erscheinung.
Wie die Christliche Wissenschaft lehrt, ist das unendliche schöpferische und regierende göttliche Gemüt das Prinzip des Menschen und des Weltalls. Nun ist aber die Idee die einzig denkbare Schöpfung des Gemüts; und der Mensch, das wahrheitsgetreue Bild des Gemüts, ist der Heiligen Schrift zufolge ganz natürlich und unvermeidlich die höchste Idee der Schöpfung, das individualisierte Spiegelbild aller Eigenschaften und aller Macht des schöpferischen Gemüts. Folglich tritt der Mensch in dem Maße, wie wir ihn demonstrieren, in die Erscheinung und wird ganz im Besitze des göttlichen Wesens erfunden. Eine solche Kundwerdung weist, selbst wenn sie nicht vollständig ist, unfehlbar auf des Menschen göttlichen Ursprung hin und verheißt die vollständige Verdrängung des beschränkenden Glaubens an materielle Persönlichkeit.
Was der menschliche Sinn unter Persönlichkeit versteht, ist eine Fälschung des Menschen; und die sogenannten Eigenschaften eines Sterblichen sind Fälschungen der Eigenschaften des geistigen, wirklichen Menschen. In der unfehlbaren Wahrheit aber gibt es keinen gefälschten Menschen, da nur Gottes Idee, der Mensch, Dasein hat. Mrs. Eddy gebraucht die Ausdrücke „das sterbliche Gemüt” und „der sterbliche Mensch”. Der „alte Mensch”, der „ausgezogen” werden soll, ist einfach die Fälschung der Eigenschaften des geistigen Menschen. Wie wesentlich ist es also, daß man der Tatsache eingedenk bleibt, daß es nur einen wirklichen Menschen gibt — den Menschen Gottes! Sonst halten wir zwei Vorstellungen vom Menschen im Bewußtsein fest, — diejenigen vom wirklichen und von einem unwirklichen Menschen, von denen der zweite anscheinend ein jemand geworden ist, und zwar ein sehr lästiger jemand.
Wie oft hört man, daß in dem Ausdruck „der wirkliche Mensch” das Wort „wirklich” besonders betont wird, als ob es auch einen wirklichen unwirklichen Menschen gäbe! Um den richtigen Sinn wiederzugeben, ist es oft nötig, das Grundwort gegenüber dem Bestimmungswort hervorzuheben, so daß es lautet: „der wirkliche Mensch”. Dadurch wird die Tatsache betont, daß es nur eine Art Mensch gibt, und daß es ein Etwas zu geben scheint, das die Maske des Menschen trägt. Wer kann sich nicht an ein Beispiel erinnern, wo sich eine Person mit unmännlichem Wesen unter dem Einfluß einer göttlichen Eingebung unerwartet zum Vollbringen einer männlichen Tat aufgeschwungen und eine andere voll Bewunderung ausgerufen hat: „Das war der wirkliche Mensch”, wobei die Betonung auf die einzige Art von Mensch hinweist, der das Gleichnis seines Schöpfers ist, während die Unmännlichkeit überhaupt keinem Menschen angehört, kein Teil des echten Menschentums ist?
Es gibt ein ursprüngliches und ganz allgemeines Erkennen des idealen Menschentums, das einem glänzend hohen Maßstab der Anforderungen gerecht wird; und wenn auch noch so viele Annahmen eindringlich den Anspruch erheben, der Mensch sei eine sterbliche, materielle Persönlichkeit, so beweist die Christliche Wissenschaft dennoch unbeirrt und unerschütterlich, daß der Mensch die intelligente, zusammengesetzte, alle göttlichen Ideen in sich schließende Idee ist. Daraus folgt so gewiß, wie auf die Nacht der Tag folgt, daß die Schritte, die zum Ziel des demonstrierten geistigen Menschen führen, das Ersetzen jeder irrigen Annahme durch die göttliche Idee in sich schließen, bis der vollkommene Mensch als der einzige Mensch erkannt wird. Wie ungeheuer doch diese Aufgabe erscheint! Doch wir dürfen uns nicht aus der Fassung bringen lassen, weil nur ein Schritt auf einmal unternommen werden kann; haben wir denn nicht die ganze Ewigkeit vor uns? Überdies hat Gott, der allgenugsame Helfer bei einem so übergroßen Vollbringen, „sein Volk heimgesucht” durch Seine Offenbarerin, Mary Baker Eddy, die von dem Verständnis des göttlichen Prinzips alle zu unserer Führung nötigen Regeln abgeleitet hat, die ebenso wissenschaftlich und unwandelbar sind wie das Prinzip selbst. Um Fortschritte zu machen, muß man der Genauigkeit der Regeln gemäß leben; dann werden Fehler berichtigt, und die Fortschritte bleiben ununterbrochen. Ein Mathematiker, der nicht genau folgert, kommt zu keinem Ergebnis. Er muß alle Fehler beseitigen, ehe er zu einem richtigen mathematischen Ergebnis gelangt. In gleicher Weise löst der Metaphysiker seine Aufgaben durch dieselbe sorgfältige Beachtung der Regeln der göttlichen Wissenschaft; er versteht, daß die Christliche Wissenschaft die Schlußfolgerung aus der Wahrheit ist, und daß alles, was wahr auch gut, und alles, was gut auch wahr ist.
Die Sterblichen müssen sich aus vielem herausarbeiten, eben aus der scheinbaren Wirklichkeit des endlichen Sinnes mit seinem mutmaßlichen materiellen Weltall der Gegensätze zwischen Schönheit und Entstellung, Licht und Finsternis, Armut und Reichtum, Gesundheit und Krankheit, Freude und Kummer, Liebe und Haß, Leben und Tod. In der Tat, wer glaubt, die irdische Erfahrung sei die einzige und eine wirkliche Erfahrung, der erklärt tatsächlich, daß „alles eitel” ist. Die Christliche Wissenschaft aber, die das geistige Gesetz vertritt und Ordnung, Gerechtigkeit, Erbarmen, guten Willen und brüderliche Liebe erzeugt, beginnt das Werk der harmonischen Gestaltung der Zustände und der Änderung des ganzen Ausblicks der Menschheit. Sie spornt die Gleichgültigen zum Handeln an, überzeugt die Sünder von ihrer Sünde und wandelt sie um, erfüllt die Verzagten mit Hoffnung, heilt die Kranken, verbindet die zerbrochenen Herzen und erhebt den Christen zu der Erwartung und Verwirklichung seines sehnlichsten Verlangens. Wer Gottes Wort auf Grund geistiger Wahrnehmung vernimmt, macht sich ernstlich daran, Leben zu finden, und ist nicht entmutigt, wenn er hört, daß er, um dies zu tun, seine sterbliche Auffassung von Leben gegen die göttliche aufgeben muß. Der Weg geht aufwärts; der Blick ist emporgerichtet; und ein genaues Beachten der Unterweisungen unserer Lehrerin und Führerin, Mrs. Eddy, ist unbedingt erforderlich.
Mrs. Eddy schreibt auf Seite 346 von „Wissenschaft und Gesundheit”: „Die Nichtsheit von nichts ist klar; wir müssen aber verstehen, daß der Irrtum nichts ist, und daß seine Nichtsheit nicht errettet werden, sondern demonstriert werden muß, um die Etwasheit — ja, die Allheit — der Wahrheit zu beweisen”. Hier haben wir also eine grundlegende Regel, nämlich, daß wir die Nichtsheit des Irrtums demonstrieren, damit die Etwasheit — die Allheit — der Wahrheit bewiesen wird. Diese Regel weist auf die selbstverständliche Tatsache hin, daß die Allheit der Wahrheit solange nicht bewiesen wird, wie der Anspruch des Irrtums verschont bleibt. Gerade hier begegnet der Christliche Wissenschafter dem Argument der Schlange, die, um sich zu retten, ihm zuflüstert, wenn er am Irrtum teilnehmen (an ihn glauben) würde, so würde er trotz des göttlichen Verbots „mitnichten des Todes sterben”, den richtigen Begriff von Wahrheit nicht verlieren. Wenn diese listige Behauptung den Hörer mit ihrer Feindschaft wider den göttlichen Befehl mesmerisiert, während er wegen seiner Weigerung, „Schlangen” zu handhaben, gerügt wird, so gerät er in Zorn. Andererseits sind die Weisen und Gehorsamen stets auf der Hut, um die listige Einflüsterung zu entdecken und sie auszutreiben, ehe sie sie blind macht. Sogar einer, der die Christliche Wissenschaft erst kennen gelernt und nur ein Körnchen Verständnis von der allmächtigen Wahrheit erlangt hat, der aber gegen das gehorsam ist, was er weiß, vollbringt Wunder und nimmt mehr Wahrheit in sich auf. Er tut sein Bestes und wird sein Bestes stets mit dem tun, was er hat. Die Gehorsamen sind wahrlich die, die reines Herzens sind, und die „Gott schauen werden”.
Die Arbeit des Christlichen Wissenschafters ist die Zerstörung von Sünde, Krankheit und Tod durch die Verwirklichung der Harmonie von Leben, Wahrheit und Liebe. Er schafft keine harmonischen Zustände dadurch, daß er sie für wirklich erklärt, noch ruft er sie aus einem schlummernden Zustand ins Leben. Gott erschafft alles Gute und bringt sich darin zum Ausdruck. Das Bekräftigen der Wahrheit und das Verneinen des Irrtums lösen aber die Nebel des Mesmerismus auf, und das Gute tritt dann in mannigfaltiger Gestalt in die Erscheinnung. Wenn man also aus einem Wahn erwacht, so ruht man in der Harmonie, die immer besteht und stets bestand; und man hat Frieden. Ist das zu verneinende Böse Haß, so weiß der Christliche Wissenschafter und besteht darauf, daß es im Gemüt und dessen Spiegelbild nur selbstlose Liebe gibt; und wenn er dies verwirklicht, hört er auf zu hassen und wird duldsam, barmherzig, mitfühlend und freundlich, wodurch sich der Haß als eine unpersönliche Täuschung erweist.
Man macht die Beobachtung, daß einer der die Christliche Wissenschaft mit höchster Begeisterung annimmt, mit brennender Ungeduld große Fortschritte zuversichtlich erwartet. Wenn es auch wahr ist, daß Krankheit häufig augenblicklich oder in verhältnismäßig kurzer Zeit geheilt wird, so kommt es doch oft vor, daß Sünde nicht so bereitwillig weicht; denn während niemand gerne krank ist, halten alle in verschiedenem Grade an den Sünden der materiellen Gesinnung fest. Die Hartnäckigkeit des sterblichen Gemüts, die Zähigkeit seiner Annahmen überraschten und enttäuschten auch die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft; und sie fahren fort, ihre Nachfolger zu überraschen, zu verwirren oder gar aus der Fassung zu bringen. Darum blickt ein Christlicher Wissenschafter manchmal mit wechselnden Gefühlen nieder auf seine Fußtapfen und empfindet je nachdem Hoffnung oder Mutlosigkeit, Erwartung oder Enttäuschung, Frische oder Abgespanntheit und findet den Pfad recht schwierig. Das Leiden erscheint wirklich und hart, die Widerwärtigkeit schwer überwindbar. Was er nun braucht, ist die Erkenntnis, daß er auf falschem Wege ist, und daß er emporblicken muß — empor zu dem Ziel des demonstrierten vollkommenen Menschen — und gesättigt werde, wenn er erwacht in Seinem Bilde. Wenn er wahrhaftig genug, geduldig genug, ausdauernd genug ist, um seinen Blick auch weiterhin emporgerichtet zu halten, so wird das Licht heller, so weicht das Böse dem vernichtenden Gesetz der Liebe rascher, so sind schließlich diese Pfeile der Bosheit nicht mehr imstande durchzudringen. Der Undank derer, die er gesegnet hat, kränkt ihn nicht mehr, die Tücken der Feinde versuchen ihn vergebens zu umgarnen. Wenn das Gute, das er tut, verleumdet wird, kann er bitten: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!” Ist er bei diesem Schritt angelangt, so wird er nicht mehr glauben, er entferne sich von Gott, wenn er Irrtum aufdeckt, der seine Gesinnung bisher unverdächtigt beeinflußte, bis er durch Züchtigung veranlaßt wurde, den Scheinwerfer der Wahrheit auf ihn zu richten; denn er weiß, daß wissenschaftliches, geistiges Verständnis die Schlange als ein Nichts aus ihrem Versteck vertreibt, wodurch sie zerstört wird. Sein Hauptbestreben ist, sich zu berichtigen, indem er vertraut, daß er das Ziel erreichen kann und wird. Solcher Art ist der glückliche Christliche Wissenschafter; er wird stets auf der rechten Seite, anderen emporhelfend, erfunden.
Die Sterblichen werden dadurch der Erde enthoben, daß sie die Lehren zu Herzen nehmen, die zeigen, daß der sterbliche Sinn nur eine trügerische Nachahmung der unsterblichen Seele ist; daß alle menschlich guten Dinge und Zustände nur Sinnbilder der vollkommenen Dinge und Zustände des göttlichen Lebens sind; daß die Idee geistiger Glückseligkeit den vorübergehenden Begriff von vergänglichem Glück weit übersteigt, wie viele materielle Freuden die Sterblichen auch zu genießen scheinen; daß ihr gegenwärtiger Begriff von Wohnen nur zeitlich ist und sie in Wirklichkeit das Haus besitzen, das nicht mit Händen gemacht ist, kurz: die Sterblichen wissen, daß sie alles, was sie rechtmäßig ersehnen, in ganzer Vollkommenheit durch ein reiferes Verständnis von Gott, Seele, geoffenbart finden. Das begehrenswerte Ziel beschleunigt ihren Fortschritt, stärkt ihre Liebe und bringt ihnen Ruhe im Wirken.
Nachdem nun alles über die Notwendigkeit, die Schlußfolgerung der Christlichen Wissenschaft zu ziehen und anzuwenden, gesagt ist, sei zum Schluß noch erwähnt, daß der Buchstabe ohne den Geist — die Liebe und das Leben der Güte — nichts nütze ist; denn, wenn einer die Übel aus sich nicht austreibt, nicht christus-ähnlicher wird, so kann er die Kranken nicht heilen und die Sünder nicht erlösen, so übt er nicht christlich-wissenschaftliches Gemüts-Heilen aus, sondern bearbeitet das sogenannte sterbliche Gemüt durch Willenskraft. Nicht Worte, sondern der liebreiche, geistige Beweggrund und Zweck teilen eine heilige, gesunde Gesinnung mit, wodurch sie die an Sünde Leidenden heilen, — sowohl die Sünde als auch ihre Wirkungen zerstören.