Eine der vielen von Mrs. Eddy geschriebenen Stellen, für die die Christlichen Wissenschafter tief dankbar sind, befindet sich in der geistigen Auslegung des Gebets des Herrn in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 17): „Und Liebe spiegelt sich in Liebe wieder”. Wie wundervoll beleuchten doch diese Worte die Bitte aus dem Munde Christi Jesu: „Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern”! Ohne Zweifel ist der Ausgang, die Grundlage, der Wesensinhalt der Vergebung die Liebe, die die göttliche Liebe zum Ausdruck bringt. Wie könnte Vergebung auf einer andern Grundlage demonstriert werden? Wenn wir erst erkennen lernen, daß Gott Liebe ist, und daß der Mensch, Sein Ebenbild, Liebe und nur Liebe zum Ausdruck bringt, wie leicht wird dann das Vergeben! In der Tat wird unter diesen Umständen das Vergeben zur Notwendigkeit; denn in dem wahren Ebenbild, das den Menschen ausmacht, gibt es weder ein Element noch eine Erscheinungsform des Grolls oder des Hasses, des Ungleichnisses der Liebe, des scheinbaren Gegners der Vergebung.
Ein uns aus der letzten Zeit des ersten Jahrhunderts überliefertes Bild ist das des ehrwürdigen Johannes, der sich an seine treuen Nachfolger mit einer Botschaft wendet, die heute noch die betrübten Herzen der Menschen heilt. „Kindlein”, ermahnte er sie, „lasset uns untereinander liebhaben”. Wie einfach und doch wie eindringlich! Und überdies, wie reich an geistigem Lohn sind diese Worte für die, die sie in der ganzen Fülle ihrer Bedeutung befolgen! Keiner andern Gruppe von Nachfolgern Jesu in unserer Zeit ist die Notwendigkeit, den Nächsten zu lieben, so bestimmt vor Augen geführt worden, wie den Christlichen Wissenschaftern. Unsere verehrte Führerin wies ihre Schüler beständig und unaufhörlich auf die Notwendigkeit hin, die Liebe, zu der Johannes seine Nachfolger so unverhüllt ermahnte, im Bewußtsein zu behalten und in ihrem Tun zum Ausdruck zu bringen. „Geliebte Christliche Wissenschafter, behaltet euer Gemüt von Wahrheit und Liebe so erfüllt”, mahnt Mrs. Eddy in The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany (S. 210), „daß Sünde, Krankheit und Tod nicht in es eindringen können. Es ist selbstverständlich, daß einem Gemüt, das schon voll ist, nichts hinzugefügt werden kann. Ein mit Güte erfülltes Gemüt hat weder eine Tür, durch die das Böse eindringen, noch einen Raum, den es einnehmen kann”. Ein Christlicher Wissenschafter ist überzeugt, daß Mrs. Eddy damit nicht die sogenannte Liebe meinte, die ihren Ursprung lediglich in den Annahmen des Fleisches zu haben scheint und daher geistiger Eigenschaften gänzlich entbehrt. Dies ist die Nachahmung der Liebe, die sich, wenn das sterbliche Gemüt genügend Veranlassung dafür zu haben glaubt, wie geringfügig sie auch sei, in Haß verwandelt. Ihrer Natur nach ist sie mit Haß verwandt; und sie hat in Wahrheit keine Grundlage.
In diesem Zusammenhang ist die Erklärung von Gebet, die uns unsere Führerin auf Seite 39 von No and Yes gibt, überaus erleuchtend. Sie sagt: „Wahrhaft beten heißt nicht Gott um Liebe bitten; es heißt lieben lernen und die ganze Menschheit in eine Liebe einschließen. Gebet ist die Betätigung der Liebe, mit der Er uns liebt”. Wie lehrreich sind diese Worte für alle, die sich bemühen, in den Fußtapfen Christi Jesu zu wandeln, wie sie unsere Führerin ausgelegt hat! Sicherlich muß das Einschließen der ganzen Menschheit in eine Liebe jede Möglichkeit ausschließen, Groll, Eifersucht oder Bosheit zu hegen, oder irgend eine der anderen Begierden und falschen Erwartungen zu nähren, die beanspruchen, ihren Ursprung in dem sogenannten sterblichen Gemüt zu haben.
Die Christlichen Wissenschafter müssen sich besonders vor den bösen Folgen des Beherbergens von Groll schützen. Was so viele dazu anstachelt, an Groll festzuhalten und ihn zum Ausdruck zu bringen, ist falscher Ehrgeiz, der Wunsch, über seinen Nächsten erhoben zu werden, vielleicht dadurch, daß er für ein Amt in einer Zweig-Kirche gewählt, oder daß ihm eine hervorragende Stellung in der Bewegung der Christlichen Wissenschaft übertragen wird. Die Sucht nach Auszeichnung, das Verlangen nach Macht und ihrer Ausübung, — das sind irrige Gesinnungszustände, die jeder wahrhaft wissenschaftliche Christ verbannen sollte. Warum? Weil sie dem geistigen Wachstum entgegenstehen — es völlig zunichte machen möchten. Sie leisten der Eifersucht Vorschub, stacheln das Gefühl persönlicher Wichtigkeit an und begünstigen Eigenliebe, das eigentliche Wesen des Irrtums. Nur um einer Stellung willen streben, vernichtet daher den eigentlichen Zweck, wenn dieser Zweck das geistige Wachstum ist. Gehorsam gegen die Worte des Johannes, wie Mrs. Eddy sie auslegt, würde die kleinlichen Gehässigkeiten, Eifersüchteleien und Streitigkeiten heilen, die die Christlichen Wissenschafter zu Meinungsverschiedenheit und zum Streit veranlassen möchten, um so durch Trennung, durch Teilung in unwirksame Gruppen, eine einige Schar von tüchtigen christlichen Arbeitern zu schwächen. Der Lieblingsplan des Bösen ist zu entzweien und zu zerstören.
Die Christlichen Wissenschafter sollten vor dieser Sorte von Eindringlingen auf der Hut sein, um sofortigen und wirksamen Widerstand zu leisten. Wenn man über die Tatsachen des Seins nachdenkt, daß der Mensch nicht nur ewig und vollkommen ist, sondern sich auch jetzt auf seinem richtigen Platze befindet und Gottes Plan für sich erfüllt; daß der menschliche Begriff von Platz und Stellung bestenfalls falsch ist; daß das Innehaben jedes Postens in der Christlichen Wissenschaft gänzlich eine Sache der Demonstration sein sollte; daß jeder Posten an seinen Inhaber solche Anforderungen stellt, daß nur ein geistig Befähigter die damit verbundenen Pflichten erfüllen kann; daß einem nicht geistig Vorbereiteten ein solcher Posten nur Bedrängnis und Unglücklichsein und denjenigen, denen er dienen soll, unbefriedigenden Dienst bereiten könnte, — wenn diese Grundlagen begriffen sind, dann wird es eingesehen, daß das Emporstreben zu einer Stellung, deren Anforderungen über die demonstrierte Befähigung hinausgehen, dem Wachstum nicht günstig ist, sondern unsern Fortschritt Geist-wärts eher hemmt.
Es ist außerdem eine bemerkenswerte Erscheinung der Demonstration, daß der wahrhaft geistig Befähigte, eben durch das Gewinnen der Eigenschaften und des Verständnisses, die ihn dafür tauglich machen, jedes Verlangen nach Stellung verliert; denn er hat ein Verständnis seiner rechtmäßigen Stellung als das Kind der göttlichen Liebe erlangt, — eine Stellung, die, sagen wir, von persönlicher Macht, sei es zu geben oder zu nehmen, unabhängig ist. Unwürdiger Ehrgeiz ist verschwunden, und er fühlt sich von dem einen Verlangen getrieben, nämlich dadurch, daß er sich immer enger an den Vater hält, um sein geistiges Erkennen beständig zu erweitern. Auf diese Weise verbürgt er das Zum-Ausdruck-Bringen der Liebe.