Viele Menschen tragen das Verlangen in sich, vorauszuplanen und für die Zukunft vorauszubestimmen. Eine gewisse Sorte von Denkern gibt sich in ausgedehntem Maße dieser Art des Denkens hin. Nicht nur für sich sondern auch für alle, auf denen ihre Gedanken ruhen, vom Staatsoberhaupt bis zu ihren Geschäftsteilhabern, Freunden, Nachbarn und Familienangehörigen, legen sie sich auf einen von ihnen ausgedachten Handlungsplan fest. Der Apostel Jakobus hat sich sicher gegen diese Neigung des sogenannten menschlichen Gemüts gewandt, als er schrieb: „Wohlan nun, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir gehen in die oder die Stadt und wollen ein Jahr da liegen und Handel treiben und gewinnen; ... dafür ihr sagen solltet: So der Herr will und wir leben, wollen wir dies oder das tun”.
Jeder muß lernen, auf diese Neigung des Planens in seinem Bewußtsein achtzugeben, das da sagt: „Morgen wollen wir” anstatt „So der Herr will, werden wir”. Je enger das Verwandtschaftsverhältnis ist, desto mehr Planen möchte oft notwendig erscheinen. Dies sieht man am besten bei der Pflege kleiner Kinder. Während der ersten Jahre des Kindes muß die Mutter auf seine Nahrung, seine Kleidung und sein Tun achtgeben; und wenn diese notwendige Pflege nicht mit Demut und Vertrauen auf die göttliche Führung geschieht, so gerät die Mutter leicht in einen Zustand gewohnheitsmäßigen Planens, der sie schließlich in einen elenden Bewußtseinszustand bringt. Würde man sagen, ein solcher Planer sei unglücklich, so wäre dies eine milde Ausdrucksweise; denn es bringt ihm doch keinen Frieden, wenn auch einer seiner Pläne in Erfüllung geht. Er fährt nur fort, neue Pläne zu schmieden und sich den Kopf zu zerbrechen, wie sie ausgeführt werden könnten. Eine solche Denkgewohnheit ist weder mit den Lehren der Christlichen Wissenschaft noch mit denjenigen irgend eines andern christlichen Glaubens vereinbar.
Für die Zukunft vorausbestimmen ist gänzlich unvereinbar mit jenem in den Sprüchen Salomos zum Ausdruck gebrachten kindlichen Glauben: „Gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen”. Lange vor der christlichen Zeitrechnung suchten und fanden diejenigen, die eine wahre Auffassung von Gott hatten, bei Ihm Führung in ihren täglichen Aufgaben. Noah, der in der Arche Geborgene, Abraham als Empfänger der Engelbesucher, Mose am brennenden Busch, Samuel, der Antworter auf die Stimme Gottes, die drei von einem Stern geführten Weisen, — das sind nur einige von vielen Beispielen, die zeigen, wie das immer gegenwärtige göttliche Gemüt den Menschen Seine Pläne zu erkennen gibt. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, betrachtete alles aufdringliche Denken, das man für einen andern ohne dessen Einwilligung ausübt, als mentale Malpraxis. Sie hielt unerlaubtes Denken für einen ebenso bedenklichen Angriff auf die Rechte des Menschen wie ein Vergehen am greifbaren oder persönlichen Eigentum eines andern. Sie betrachtete es auch als eine Verletzung der Goldenen Regel, derzufolge wir anderen das tun sollen, was wir wollen, daß sie uns tun. Könnten wir uns nicht fragen: Versuche ich es, an die Stelle der Wolkensäule bei Tag und der Feuersäule bei Nacht zu treten? Ist Gott mit Seiner unendlichen Weisheit mein Führer? Ja! Führt Er dann nicht auch die anderen? Wenn wir diese Fragen ehrlich beantworten, werden wir sehen, wie wünschenswert es ist, die Gewohnheit des menschlichen Planens aufzugeben.
Ehe man aber das menschliche Planen für andere aufgeben kann, muß man zuerst lernen, sich auf Gott zu verlassen und zu wissen, daß Er all unser Denken und Handeln leitet. Auf Seite 454 des christlich-wissenschaftlichen Lehrbuchs, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” von Mary Baker Eddy, lesen wir: „Liebe inspiriert, erleuchtet, bestimmt und führt den Weg”. Wenn man dies in den eigenen Angelegenheiten beweist, wird man nach und nach willig und bereit, alle, mit denen man sich in seinen Gedanken beschäftigt, der liebevollen Obhut dessen anzuvertrauen, der Seinen harmonischen Plan für die ganze Schöpfung mit den Worten offenbarte: „Es werde Licht!” Das Aufgeben eines aufdringlichen Sichkümmerns um die Angelegenheiten anderer schließt eine sehr umfangreiche Reinigung der ganzen Gedankenwohnung in sich; aber das daraus hervorgehende Freiwerden des Denkens für aufbauende Arbeit ist der Anstrengung wert.
Der Meisterchrist wies irriges Denken durch die Demonstration oder den Beweis der Macht rechten Denkens zurecht. Im Falle des Lazarus, der schon vier Tage im Grabe gelegen hatte, bestimmte die trauernde Familie für ihn, daß er im engen Grabe liegen bleibe. Wie sehr sich ihr Planen als falsch erwies, sollte eine Warnung sein für andere Planer, die ihre Lieben an kurzsichtige Vorausbestimmungen zu binden suchen, die ringsum von materiellen Schranken umgeben und mit einem Stein — der Irrtumsannahme — zugedeckt, verdunkelt sind, womit das sterbliche Gemüt das Licht der Wahrheit ausschließen möchte. Obgleich sie ihren Plan nicht aufgeben wollten, hieß sie Jesus zuerst den verdunkelnden Stein wegrollen. Nachdem sodann Lazarus seinen Teil an der Demonstration getan hatte und aus dem düsteren Grab herausgekommen war, war es für die Familie leicht, den letzten Schritt zu tun und ihn aufzulösen, damit er die Verantwortung, die eigene zukünftige Erlösung auszuarbeiten, auf sich nehmen konnte.
Dieser Vorfall zeigt, daß es sich um eine doppelte Auffassung der Aufgabe handelt. Manchmal muß, wie bei der Familie des Lazarus, vom Standpunkt des Plänemachers aus an sie herangetreten werden, manchmal vom Standpunkt desjenigen aus, der seine rechtmäßige geistige und körperliche Betätigung durch die Grabtücher des für ihn Planens durch andere gehindert sieht. Im letzteren Falle täte man gut, sich in die Geschichte des Lazarus, des geliebten Bruders der Maria und Martha, andächtig zu vertiefen. Man wird finden, daß Lazarus die Aufforderung des Meisters, aus dem Grabe herauszukommen, befolgen mußte, sonst hätte ihm das bloße Wegrollen des Steins nichts genützt. Der Stimme der Wahrheit muß man immer gehorchen. Die Pläne anderer sind, selbst wenn sie mit der besten Absicht gemacht sind, nicht immer der Ausdruck wahrer Weisheit; denn das sterbliche Gemüt, das von materiellen Voraussetzungen ausgeht, plant ebenso bereitwillig für das Böse wie für das Gute. „Er wird sich erkälten”, oder „er wird sein Geld verlieren” und ähnliche Äußerungen verraten die düsteren Pläne, die das sterbliche Gemüt für seine Lieben macht. Wahrheit und Liebe allein können für jedermann richtig planen; und wer es ablehnt, sich von irgend etwas anderem leiten zu lassen, kann ins volle Licht der Wahrheit treten; er unterwirft sich nur solchen Plänen, die von seinem himmlischen Vater kommen; er plant nicht für andere, noch nimmt er die für ihn erdachten Pläne anderer an. Wenn er dieses notwendige Zurückweisen falschen Denkens auf liebevolle, freundliche Weise tut, so wird er eines Tages finden, daß die Plänemacher ihn in der Tat aufgelöst haben, und daß sie ihn haben gehen lassen, weil sie zu der Einsicht gekommen sind, wieviel liebreicher als ihr sterbliches Planen „des Vaters Plan für Seinen geliebten Sohn” ist.