Das Beweisen ist eine der wichtigsten Pflichten der Christlichen Wissenschafter,— das Beweisen der Wirklichkeit des Guten, das Beweisen, daß alle Glückseligkeit das Erbe des Menschen ist, das Beweisen seiner göttlichen Sohnschaft. Schon zu Beginn ihres Studiums lernen sie etwas von der Allheit Gottes, des Guten, verstehen. Dann scheint die Notwendigkeit des Beweisens dieser Grundwahrheit auf jedem Gebiete des Lebens, sowohl in Familienverhältnissen als auch in anderen Beziehungen, an sie heranzutreten, wenn sie im Verständnis der Christlichen Wissenschaft fortschreiten möchten.
In der Tat hat es den Anschein, als ob die Befolgung des Rates des Paulus: „Prüfet alles, und das Gute behaltet” nirgends notwendiger sei als in Familienangelegenheiten. Das Nichtbefolgen dieser Ermahnung kann uns dessen, was in der menschlichen Erfahrung überaus zärtlich und lieblich ist, zu berauben scheinen. Die Bande, die den Austausch der Zuneigung, der zärtlichen Rücksichtnahme, des liebevollen Trostes mit sich bringen sollten, können lästige Fesseln werden, wenn sie den listigen, ruhelosen Anforderungen des sogenannten sterblichen Gemüts überlassen werden. Menschliche Verwandtschaft an sich ist keine Gewähr für Mitgefühl und Einheit des Denkens. Kinder menschlicher Eltern können in ihrem Geschmack, in ihrer Veranlagung und in ihren Fähigkeiten einander so unähnlich sein, daß es scheint, als hätten sie nichts miteinander gemein. Doch was ist lieblicher als ein harmonisches Zusammenleben von Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Schwester und Bruder?
Das Prüfen dieser Beziehungen und das Behalten dessen, was gut an ihnen ist, ist eine der Anforderungen, die an die Christlichen Wissenschafter gemeinsam mit allen Nachfolgern Christi Jesu gestellt werden. Was für ein größeres Beispiel zärtlicher kindlicher Zuneigung und liebender Fürsorge könnte man sich denken als Jesus am Kreuz, als er seine Mutter der Sorge des Jüngers, den er liebte, anvertraute? Es steht geschrieben, daß der geliebte Jünger die Mutter Jesu von jener Stunde an zu sich nahm. Aus den Erzählungen über sein Erdenleben geht klar hervor, daß der Meister ein pflichtgetreuer und liebevoller Sohn, ein helfender und treuer Freund und ein nützliches Glied der Gemeinde war. Mit besonderer Zuneigung liebte er den Apostel Johannes; eine innige Freundschaft unterhielt er mit Lazarus und dessen Schwestern; er nahm am gesellschaftlichen Leben seiner Mitmenschen teil, was seine Anwesenheit mit seiner Mutter und seinen Jüngern bei der Hochzeit zu Kana beweist; wie die anderen Jünglinge seines Standes lernte er ein Handwerk und übte es aus; kurz, er nahm an dem Leben um ihn her teil, erfreute sich dessen Segnungen und Lieblichkeiten. Auch heilte er dessen Sorgen, Sünde, Mängel, Verluste, Krankheiten und Enttäuschungen. Er prüfte alles, behielt das Gute und überwand, was nicht gut ist.
Wir erinnern uns der biblischen Geschichte, in der erzählt wird, wie Jesus, der immer bereit war, aus den Ereignissen des Tages eine Lehre zu ziehen, durch die Mitteilung, daß seine Mutter und seine Brüder mit ihm sprechen möchten, in seiner Predigt unterbrochen wurde, und wie er das Denken seiner Zuhörer auf die Verwandtschaft Gottes und Seiner geistigen Schöpfung als der einzigen unauflöslichen Beziehung hinwies, indem er sie fragte, wer denn eigentlich seine Mutter und seine Brüder seien, und dann seine Frage mit der Erklärung selbst beantwortete: „Wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mein Bruder, Schwester und Mutter”. Als er ein andermal die Schriftgelehrten und Pharisäer wegen ihrer Liebe zu Stellung, Macht und Ansehen tadelte, bemühte er sich, ihnen zu zeigen, daß alle Menschen Brüder sind, indem er ihr Denken zu der Erkenntnis Gottes als des Vaters aller erhob und ihnen riet, niemand auf Erden Vater zu nennen. Die Christlichen Wissenschafter erfahren in ihrem täglichen Leben, daß das Verständnis Gottes, der unendlichen Liebe, des göttlichen Prinzips, als ihrer einzigen Herkunft und Verwandtschaft, Harmonie und Ordnung in ihre irdischen Beziehungen bringt. In einem kurzen Aufsatz in „The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany” (S. 278, 279) mit der Überschrift „How Strife May Be Stilled” (Wie der Streit geschlichtet werden kann) hat Mrs. Eddy geschrieben: „Gott ist der Vater, der Unendliche, und diese große Wahrheit, in ihrer göttlichen Metaphysik verstanden, wird die Brüderschaft des Menschen aufrichten, die Kriege beendigen und, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen‘ beweisen”.
Die Geschichte Josephs und seiner Brüder veranschaulicht, wie Eifersucht, Haß und Verrat durch brüderliche Liebe besiegt werden können. Durch seine Selbstlosigkeit und Versöhnlichkeit wurde Joseph mit seinem Vater und seinen Vrüdern wieder vereinigt, und die Bosheit seiner Brüder wurde ausgetrieben. Daher konnte er ihnen in ihrer großen Not helfen. Durch seine Widerspiegelung der göttlichen Eigenschaften konnte er diejenigen, die seine Feinde, wenngleich Brüder nach dem Fleische, gewesen waren, segnen und die zerrissenen Familienbande wieder verknüpfen. Ist ein solcher Vorfall nicht der rechte Anfang der Aufrichtung der allgemeinen Brüderschaft? Was für ein Band außer der allgemeinen Betätigung brüderlicher Liebe gibt es, um eine solche Brüderschaft zusammenzuhalten? Wie können wir einer solchen Brüderschaft anders huldigen als dadurch, daß wir uns als würdige Brüder erweisen? Brüderschaft muß wie alles andere bewiesen werden. Sie kann nur auf geistiger Grundlage errichtet werden, nur dadurch, daß die Eigenschaften Gottes, des Geistes, zum Ausdruck gebracht werden, indem in dieser Weise unsere göttliche Sohnschaft bewiesen wird.
Was für ein schönes Beispiel brüderlicher Liebe bei geschäftlichen Abmachungen finden wir in Abrahams Vorschlag an Lot, als es ihr Gedeihen erforderte, sich zu trennen, um Weideland für ihre Herden zu finden! Wahre Brüderlichkeit eher als der Wunsch eines materiellen Vorteils befähigte den Erzvater zu sagen: „Laß doch nicht Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Gebrüder. Steht dir nicht alles Land offen? Scheide dich doch von mir. Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten; oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken”. Wir wissen, daß sich Lot die reiche Jordanebene erwählte, während der Herr dem Abraham und seinem Samen das ganze Land, soweit das Auge sehen konnte, verhieß. Die weitere Geschichte Abrahams schildert ihn als denjenigen, der den Lohn der Gerechtigkeit und der brüderlichen Liebe erntete.
Die Darlegungen der Charaktere Josephs und Abrahams durch Mrs. Eddy im Glossarium von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” bieten denen, die danach trachten, Fortschritte zu machen, um aus der Materialität herauszukommen und zu ihrem wahren Stande als Kinder Gottes zu gelangen, die beste Führung. Sie zeigen, daß rechtes Leben, reine Beweggründe und Vertrauen in das Gute über jedes scheinbare Hindernis siegen.
„Wir sind Gebrüder”! Was für ein besserer Wahlspruch könnte für den Geschäftsverkehr in der Welt gewählt werden? Zusammenarbeit, nicht Wettbewerb; Dienst, nicht mühsame Arbeit; Hilfsbereitschaft, nicht materieller Gewinn! Die rechte Auffassung von Geschäft schließt keinen Raub, kein Opfer in sich, sondern nur Geschwister mit dem gemeinsamen Zweck, das allgemeine Gute zu fördern. Am ersten Sonntag jedes Monats vernehmen diejenigen, die, wo es auch in der Welt sein möge, einem christlich-wissenschaftlichen Gottesdienst beiwohnen, aus dem Handbuch Der Mutter-Kirche „Eine Richtschnur für Beweggründe und Handlungen” (S. 40), die folgende Erklärung in sich schließt: „In der Wissenschaft regiert allein die göttliche Liebe den Menschen. Ein Christlicher Wissenschafter spiegelt die holde Anmut der Liebe wider in der Zurechtweisung der Sünde, in wahrer Brüderlichkeit, Barmherzigkeit und Versöhnlichkeit”. Das Handbuch geht sogar noch weiter und fordert von den Mitgliedern Der Mutter-Kirche, daß sie gegen alle Menschen in brüderlicher Liebe handeln: „Gott fordert, daß Weisheit, Sparsamkeit und brüderlicher Liebe alle Handlungen der Mitglieder Der Mutter-Kirche, The First Church of Christ, Scientist, kennzeichne” (S. 77). Die Forderung erstreckt sich nicht bloß auf Kirchenangelegenheiten und den Verkehr der Mitglieder untereinander, sondern auch auf alle Handlungen der Mitglieder Der Mutter-Kirche an allen Menschen, zu allen Zeiten und unter allen Umständen.
Von Zeit zu Zeit hört man die Meinung äußern, der Gedanke an die Brüderschaft des Menschen sei unpraktisch und unausführbar. Vielleicht liegt dies hauptsächlich daran, daß die Menschen sich weniger um ihre eigene Geeignetheit als nützliche Mitglieder einer solchen Brüderschaft als um die Ungeeignetheit anderer kümmern. Sie befürchten, die Aufrichtung einer allgemeinen Brüderschaft würde bedeuten, daß sie sich auf einer gemeinsamen Grundlage zu etwas bequemen müßten, was ihnen durchaus zuwider ist. Vom materiellen Standpunkte aus betrachtet mag dieser Einwand wohl annehmbar erscheinen. Doch wie ganz anders erscheint dieser Gegenstand vom christlich-wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen, wo alles folgerichtige Denken von Ursache auf Wirkung schließt,— von dem vollkommenen Gott auf die vollkommene geistige Schöpfung, von dem einen göttlichen Vater auf Sein Weltall, das von Seinen geliebten Kindern, die das göttliche Bild und Gleichnis tragen, bevölkert ist! Von diesem Gesichtspunkte aus sollte jedes einzelnen wichtigstes Bestreben sein, sich als würdig zu erweisen, in diese heilige Brüderschaft eingeschlossen zu werden. Jeder einzelne sollte danach trachten, alles, was beansprucht, das göttliche Ebenbild zu entstellen, alles, was ihn hindert, die liebevollen Eigenschaften seines Vater-Mutter Gottes zu bekunden, aus seinem Denken und Leben auszumerzen.
Wie herrlich es doch ist, zu verstehen, daß alles, was wir unter jedem, wenn auch noch so verdrießlichen Umstande zu tun haben, nur das Beweisen dessen ist, daß der Mensch das geliebte Kind Gottes ist! Werden wir versucht, geschmäht, verleumdet, angefeindet, mißverstanden, so brauchen wir nur die göttliche Liebe widerzuspiegeln, indem wir es ablehnen, uns beleidigt zu fühlen, zu grollen, Kummeroder Rachegedanken zu hegen, dagegen Milde, Freundlichkeit, Versöhnlichkeit, Großmut, Brüderlichkeit bekunden. In dem Maße, wie wir diese göttliche Sohnschaft beweisen, sind wir imstande, das, was gut ist, festzuhalten, und Zuneigung, Harmonie, Zufriedenheit, glückliche Beziehungen angesichts scheinbarer Drangsal zu erfahren. In dem Maße, wie wir nach dem Vorbild des göttlichen Gemüts einander ähnlich sind, beweisen wir, daß „wir Gebrüder sind”,— Brüder, die in unendlicher Mannigfaltigkeit die Schönheit, die Güte, den Liebreiz, die Lieblichkeit, die Anmut, die Weisheit, die Intelligenz, die Glückseligkeit und die Fortdauer des ewigen Vaters aller zum Ausdruck bringen.
