Hingebung an die Wahrheit ist ein für den Christlichen Wissenschafter unentbehrlicher Bewußtseinszustand. Jesus machte es sehr klar, daß wir „wie die Kinder werden” sollten. Auch sagte er, daß wir „klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben” sein sollten. Kindlichkeit schließt eher ein Gefühl der Reinheit und Einfachheit als die Verschlingung reifen Denkens in sich. Eines der schwierigsten Dinge, die jeder von sich selber verlangen kann, ist, einfach zu sein, Eigenschaften ähnlich denen des Kindes zum Ausdruck zu bringen. Vielleicht ist nichts schwieriger zu beweisen, als Jesu Worte: „Ich kann nichts von mir selber tun”.
Für das Wachstum der christlich-wissenschaftlichen Bewegung ist nicht nur heute sondern zu allen Zeiten nichts notwendiger, als daß die Christlichen Wissenschafter über Jesu geheiligtes Beispiel nachdenken und ihm folgen, damit die „größeren Werke”, die er weissagte, in Erfüllung gehen können. Es scheint vernünftig, des Meisters Erwartung „größerer Werke” als einen Ruf sowohl nach Besserung jeder menschlichen Tätigkeit als auch nach Heilung der Kranken auszulegen; und es muß naturgemäß folgen, daß durch das ernstliche Gebet, die tatsächliche Wirklichkeit aller Dinge zu finden, jede Einzelheit des Lebens gebessert und vergeistigt werden muß. Unter der Randüberschrift „Praktische Wissenschaft” in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 128) sagt Mrs. Eddy: „Die Bezeichnung Wissenschaft richtig verstanden, bezieht sich nur auf die Gesetze Gottes und auf Seine Regierung des Weltalls, einschließlich des Menschen. So kommt es, daß Geschäftsleute und hochgebildete Gelehrte an sich erfahren haben, daß die Christliche Wissenschaft ihre Ausdauer und ihre mentalen Kräfte erhöht, ihre Menschenkenntnis erweitert, ihnen Scharfsinn und Auffassungsvermögen verleiht und sie in den Stand setzt, über ihre gewöhnliche Leistungsfähigkeit hinauszugehen”. Und sie fügt hinzu: „Eine Kenntnis von der Wissenschaft des Seins entwickelt die latenten Fähigkeiten und Möglichkeiten des Menschen. Sie erweitert die Atmosphäre des Gedankens, indem sie den Sterblichen weitere und höhere Gebiete erschließt. Sie erhebt den Denker in seine ureigne Sphäre der Einsicht und Scharfsichtigkeit”.
Geben wir, wie wir alle sollten, bei unseren einzelnen Tätigkeiten, welcher Art diese auch seien, die Notwendigkeit einer Besserung zu, sehen wir aber ein, daß es vielen von uns obliegen wird, diese Tätigkeiten längere Zeit hindurch auszuführen, und lassen wir gelten, daß es unklug und unangebracht wäre, wenn jeder sein augenblickliches Tätigkeitsfeld verließe und die Christliche Wissenschaft öffentlich ausübte, so erkennen die Christlichen Wissenschafter dennoch die Wichtigkeit des Heilens der Kranken in der Weise, wie Jesus sie forderte.
Oft sind wir geneigt, uns von der Heilarbeit, selbst geringfügiger Art, zu entschuldigen; wir scheinen sie ganz bereitwillig anderen zu überlassen. Es ist nicht außergewöhnlich, solche zu finden, die dies so sehr verallgemeinern, daß man mühelos zu dem Schlusse kommt, daß es ihnen nicht gelungen ist, die Wichtigkeit der Heilung körperlicher Schwierigkeiten einzusehen, oder daß sie dieses Heilen bis zu einem beunruhigenden Grade herabgewürdigt und in ihrer Auffassung an seine Stelle den Glauben gesetzt haben, daß eine Besserung der Angelegenheiten im allgemeinen alles sei, was not tue. Obgleich dieses Verlangen nach Wachstum in der Gnade im Grunde wesentlich ist, sollte es uns nicht dazu verleiten, ein schreiendes Bedürfnis der Menschen zu übersehen. Wäre Mrs. Eddy nicht von einem körperlichen Leiden, das ihr Leben bedrohte, geheilt worden, so hätten wir die Christliche Wissenschaft vielleicht nicht.
Mrs. Eddy erklärt, daß sie dort begann, wo die Kirche aufhörte, womit sie offenbar den Gedanken übermitteln will, daß sie den Weg fand, die Kranken durch das geistige Gesetz zu heilen, wie es Jesus gebot, und daß die Christliche Wissenschaft dadurch, daß sie die Kranken auf diese Art heilt, den verloren gegangenen wesentlichen Bestandteil des Christentums beweist, der im Leben des Meisters so auffallend und für Mrs. Eddy wichtig genug war, sie zu veranlassen, auf den Eckstein des Heilens die Lehre zu gründen, die sie Christliche Wissenschaft nannte. Immer hat es in allen Religionen gute Menschen gegeben. Hätten alle diese Leute das anwendbare Verständnis gehabt, das Mrs. Eddy in Bezug auf das Heilwerk Jesu offenbarte, so hätte weniger Bedürfnis für ihre Entdeckung vorgelegen.
Die Menschen hungern und dürsten nach besseren Zuständen. Gute Männer und Frauen verlangen nach Gerechtigkeit. Alle Männer und Frauen sehnen sich zur Zeit der Trübsal nach Befreiung vom Leiden. Mrs. Eddy hat auf die Wichtigkeit des Heilens der Kranken hingewiesen. Paulus sagte: „Preiset Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes”. Vielleicht drückt kein einziges Wort besser aus, was wir erreichen müssen, um uns selber und andere heilen zu können, als das Wort „Hingebung”. Viele Gesinnungszustände versperren den Menschen den Weg zur Hingebung an Gott. Einige schätzen Geld höher als alles andere. Einige begehren Stellung und Macht. Andere möchten immer gern das tun, was das Denken in gesellschaftlicher und anderer Hinsicht auf das Irdische hinund vom Geistigen ablenkt. Vielleicht ließen sich alle diese Neigungen in dem Wort „Selbstsucht” zusammenfassen. Was auch immer die falschen Wünsche seien, sie neigen eher zum irdischen Sinn hin als zum Verständnis der Beziehung des Menschen zu Gott. Von der Hingebung, die in Jesu Mahnung, daß wir wie die Kinder werden sollen, ausgedrückt ist, sind sie alle weit entfernt. Wenn Mrs. Eddy schreibt (Gedichte, S. 14):
„Deiner Stimme will ich lauschen,
Daß mein Schritt nicht strauchle;
Folgen will ich freudig Dir
Auf dem rauhen Wege”,
so weist sie offenbar darauf hin, daß sich durch Glaube und Hoffnung ein tieferes Vertrauen auf die Wahrheit des Seins im Bewußtsein entfaltet, ein Entfalten jener Eigenschaften, die den Charakter bilden, jener Eigenschaften, die man an uns und an anderen immer achtet.
Sollten wir nicht jedesmal, wenn wir geneigt sind, dem Antrieb des irdischen Sinnes zu folgen, der für den Augenblick auf die eine oder andere Art Befriedigung zu bringen scheint, einhalten und uns fragen, bis zu welchem Grade wir uns davon abwenden, unser Leben den einzigen Dingen hinzugeben, die sich der Hingebung lohnen,— nicht nur dies, sondern auch den einzigen Dingen, die in Wirklichkeit bestehen, den Dingen, die ewig sind? In der Christlichen Wissenschaft lernen wir, daß wir nicht die Schöpfer von etwas sind. Wir sind unter Gottes Gesetz die Empfänger des Segens derjenigen Eigenschaften, die von Gott herrühren, die in Wirklichkeit am meisten geliebt werden und früher oder später bewiesen werden müssen. Wir können geneigt sein, dies oder jenes zu tun; wenn aber unser Weg nicht richtig ist, kann er nur erfolglos sein, mögen wir ihn auch noch so lang einhalten, und mag er auch für den Augenblick scheinbar noch so viel bedeuten. Alles, was auch immer Gott geschaffen hat, müssen wir schließlich finden, und alles andere muß wie der Nebel vor der Sonne verschwinden. Vielleicht ist nichts entmutigender, als zu sehen, daß die Sterblichen so lang an den Dingen, die wertlos sind, festhalten und so wenig über die Notwendigkeit nachdenken, sich den Dingen hinzugeben, die wirklich und wahr sind, und die fortdauern müssen.
Laßt uns nicht vergessen, daß es Tausende von Menschen in der Welt gibt, die auf verschiedene Art leiden, daß viele von ihnen in solchem Maße Mißklänge zum Ausdruck bringen, wie es mancher von uns vielleicht nie für möglich gehalten hätte! Dann laßt uns eingedenk sein, daß wir durch das Verständnis der Christlichen Wissenschaft nicht nur eine Gelegenheit, sondern sogar die Fähigkeit haben, dieses Leiden wenigstens zu lindern! Wie weitreichend die Aufforderung doch ist, wenn die sogenannten Unheilbaren vollkommen geheilt werden! Diese-Gesundheit sollte erwartet werden. Dies ist die Art der Arbeit, um deren Ausführung wir uns bemühen sollten; aber es gibt nur einen Weg, sie zu vollbringen, nämlich durch Hingebung an die hohen Ziele und Vorbilder, die der Meister durch Beispiele erläuterte. Zweifellos haben viele oft lang gerungen, um von irgend einer Gemütsstimmung frei zu werden, die, wenn auch anscheinend unbedeutend, doch die Hartnäckigkeit des fleischlichen Gemüts veranschaulicht, das, wie Paulus erklärt, „eine Feindschaft wider Gott” ist. Vielleicht würde es uns zu größerer Anstrengung anspornen, wenn wir uns öfters an die Nöte der zahllosen Menschen erinnerten, die um Erleichterung flehen. Es ist das Vorrecht der Christlichen Wissenschafter, die ersehnte Hilfe zu bringen; aber sie kann in keiner andern Weise kommen als durch Hingebung an geistige Vorbilder. „Die Hingabe an das Gute”, sagt Mrs. Eddy (Wissenschaft und Gesundheit, S. 262) „vermindert des Menschen Abhängigkeit von Gott nicht, sondern erhöht sie”.
Wir können Stunden damit zubringen, daß wir über vieles reden, was für nachdenkende Menschen anregend ist. Wir können Stunden damit zubringen, daß wir zergliedern oder Lehren aufstellen, wie dies oder jenes geheilt werden könne, was wir tun oder sagen sollen. Wir können viel Zeit mit Furcht vor dieser oder jener Lehre verschwenden. Es befriedigt den Verstand, mit Ansichten zu spielen! Gewöhnlich bringt es uns jedoch nicht weit vorwärts. Wenn aber durch das Ringen im einzelnen Bewußtsein mit seiner Gemütsstimmung und anderen Zuständen das Selbst beiseitegesetzt und der Glaube an die göttliche Liebe erweckt wird, erfährt man, daß man von Tag zu Tag eine sich vertiefende Überzeugung von Gottes Gegenwart, Kraft, Erbarmen und Liebe erwirbt; dann fühlt man tatsächlich, daß man den Saum des Gewandes Christi berührt hat. Dann wird es einem offenbar, daß man nicht nur fähig ist, die Tücken des sterblichen Gemüts verstandesmäßig wahrzunehmen, sondern daß man auch jene stets aufwärts gerichtete, fortschreitende geistige Einsicht und Überzeugung hat, die einen befähigt, vollständiger zu verstehen, was Gott ist, und einem das Vertrauen einflößt, Gottes Gesetz zu beweisen. Wenn wir im geistigen Wachstum dahin kommen, wo es kein Schwanken gibt, sondern statt dessen eine unbedingte Überzeugung, die so fest steht, daß die Schwierigkeit, wenn der leidende Sinn verleugnet wird, durch das Verständnis von Gottes liebreicher Fürsorge verschwindet, dann werden wir die Frucht unseres hingebungsvollen Bemühens ernten,— das Ergebnis täglichen andächtigen Bemühens —, und das Verständnis von Gottes Gesetz wird mit immer wachsender Klarheit hervorleuchten.
Es mag wohl Menschen geben, die zur Kirche oder zur Versammlung eines Schülervereins oder zu irgend welchen anderen Versammlungen in der christlich-wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft nur hingehen, um Unterhaltung zu suchen, ohne ihre eigene Verantwortlichkeit zu bedenken. Es mag uns mehr zusagen zu versuchen, vom Morgen bis zum Abend mit dem Verstand zu arbeiten, als uns zu bemühen, uns mehr vom göttlichen Wesen, das allein das Herz befriedigt, anzueignen; aber der einzige Weg, der das tausendjährige Reich schließlich bringen wird, ist die vollständige Hingebung des Denkens und Wünschens an die Überwindung alles dessen, was Gott, dem Guten, unähnlich ist, und das Trachten mit unbedingtem, ehrlichem Ernst danach, daß der geistige Sinn allerhaben in unserem Bewußtsein herrsche. Die Kranken werden dann vollständig geheilt werden, weil der Christus, Gottes geistiges Wesen, zum Ausdruck gebracht worden ist.
