Alles, was segnet, muß von Gott, dem göttlichen Gemüt, kommen und daher mental empfangen werden. Mose war dies klar, als er über die Gesetze Gottes sprach: er erkannte, daß uns diese Unterweisungen gegeben wurden, „auf daß es uns wohl gehe alle unsre Lebtage”; und in Anbetracht seiner Stellung als Gesetzgeber sprach er von der göttlichen Forderung, daß die Menschen auf göttlichen Wegen wandeln, Gott von ganzem Herzen lieben und „die Gebote des Herrn halten” sollen „und seine Rechte, die ich dir heute gebiete, auf daß dir’s wohl gehe”. Durch weitere Belehrung machte er dem Volke klar, daß sie, sollten sie von diesen rechten Wegen abweichen, dennoch zurückkehren und gehorchen können; und er ermutigte sie mit den Worten: „Der Herr wird sich wenden, daß er sich über dich freue, dir zugut, wie er sich über deine Väter gefreut hat”.
In einem der für das menschliche Wohl bestimmten Gebote heißt es: „Gedenke des Sabbattags, daß du ihn heiligest”. Wenn man bedenkt, daß das Gute dem Menschen vom Gemüt zufließt, daß die Menschen es aber annehmen müssen, um gesegnet werden zu können, ist es dann nicht seltsam, daß das, was man das mentale Gute nennen kann, auf soviel mentalen Widerstand stößt? Allzuoft zeigt sich die Neigung, zu verhindern, daß der Sabbat ein Tag der Wiederherstellung, der Erneuerung und der Wiederbelebung geistiger Anschauung sei. Zweifellos dienen die Gebote des Sittengesetzes jederzeit allen Menschen zum Wohl; und wie Mose, so wurden die Propheten, die nach ihm kamen, und auch der Messias, dessen Kommen sie voraussagten, dies gewahr.
Jesus trat der rabbinischen Lehre, daß der Sabbat nicht um des Menschen willen da sei, entgegen. Die Schriftgelehrten hatten 39 Regeln, die mit ihren vielerlei Verboten dem Volk wahrlich schwere Lasten auferlegten; aber die Jünger pflückten, als sie einmal durchs Feld gingen, Ähren, zerrieben sie in der Hand und aßen sie, weil sie hungrig waren. Der strengen Lehre des Gesetzes gemäß verstießen sie gegen die dritte dieser Regeln, die das Ernten am Sabbattage verbot. Jesus erinnerte diejenigen, die sie tadelten, daran, daß David einmal seinen und seines Gefolges Hunger dadurch stillte, daß sie die Schaubrote aßen, die nach den Kirchenbräuchen nur für die Priester bestimmt waren. Er gab offenbar zu verstehen, daß Barmherzigkeit gegen Menschen wichtiger sei als Kirchenbräuche; und die Regel, die er aufstellte, lautet: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, und nicht der Mensch um des Sabbats willen”. Jesus bestand unbedingt darauf, daß das Gesetz nicht Selbstzweck ist, sondern ein Hilfsmittel sein soll, um Liebe zu Gott und Liebe zum Menschen zu verwirklichen, und daß eine solche Gesinnung wahre Religion veranschaulicht. In ihrem Bemühen, einen gesetzlichen Zwang zustandezubringen, erregten die Schriftgelehrten durch Vermehrung ihrer Regeln — Regeln, die das gewöhnliche Volk unmöglich befolgen konnte,— fortwährend Auseinandersetzungen und Streitigkeiten über Sondergesetze, wodurch der religiöse Wert der Sabbatruhe verlorenging, aus der mit der göttlichen Liebe übereinstimmende Gesinnungen, Beweggründe und Handlungen hätten hervorgehen sollen.
Der Sabbat, wie er im 2. Buche Mose beschrieben ist, war eine menschenfreundliche Einrichtung: „Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun; aber des siebenten Tages sollst du feiern, auf daß dein Ochs und Esel ruhen und deiner Magd Sohn und der Fremdling sich erquicken”. Dieser Brauch war ein Ausdruck der Treue gegen den Herrn und ein Zeichen der Absonderung Seines Volkes von den Heiden. In der Regel feierte ihn das auserwählte Volk freudig, und es wurden viele Lieder zum Gebrauch am Sabbat geschrieben, so daß der Sabbat nicht nur zu einem Ruhetag sondern auch zu einem Freudentag wurde.
Zu Beginn der christlichen Zeitrechnung war der Sonntag, der erste Tag der Woche, anscheinend der Tag, an dem Gottesdienst gehalten, aber nicht mit der Arbeit ausgesetzt wurde. Unter den Judenchristen war es Brauch, außer dem Sonntag, der „der Tag des Herrn” genannt wurde, auch den Sabbat zu halten. Anscheinend setzte Konstantin im Jahre 321 n. Chr. in einer Verfassung die Feier des Sonntags als gesetzliche Pflicht ein, und mit der Zeit folgte das Kirchenrecht dem römischen Recht. In England begann die Gesetzgebung über diesen Gegenstand im 17. Jahrhundert, und seitdem ist durch eine Menge Gesetze angestrebt worden, den Sonntag als Tag der Arbeitsruhe festzusetzen. Diese Bestimmungen waren mehr oder weniger willkürlich. Sie sahen z.B. vor, daß am Sonntage Postwagen fahren konnten, während Güterbeförderer oder Fuhrleute nicht fahren durften. Eine Bestimmung sah vor, daß Leute, die am Tage des Herrn reisten, keine Entschädigung erhalten konnten, falls sie beraubt würden. Natürlich gab es allerhand Vorschriften, die den Fisch-, Fleischund Brotverkauf regelten,— für die Bäckereien gab es viele Verordnungen. In europäischen Ländern gibt es allgemein Gesetze, die den Handel einschränken und einen Ruhetag wöchentlich festsetzen. In den Vereinigten Staaten gibt es hierüber kein Bundesgesetz; daher hat jeder Staat seine Gesetze selber gemacht und macht sie immer noch selber. Körperschaften, die dem öffentlichen Wohl dienen, brauchen am Sonntag den Dienst nicht einzustellen; aber es finden keine Gerichtssitzungen statt, und die Läden sind im allgemeinen geschlossen. Der Sonntag wird allgemein als Ruhetag anerkannt; ist aber ein Angestellter gezwungen, am Sonntag zu arbeiten, so ist in keinem Staate ausdrücklich festgesetzt, daß er einen Ersatzruhetag dafür beanspruchen kann.
Für den Christlichen Wissenschafter ist es wichtig, die Quelle alles Guten zu erkennen. Wird es einmal klar, daß das schöpferische Gemüt der Ursprung ist, von dem aller Segen kommt, so wird die Aufgabe, den Segen zu empfangen, einfach. Der einzelne muß Empfänglichkeit und Freude am Empfangen des Guten pflegen,— die Fähigkeit, seine eigenen Begrenzungen wegzuräumen, das Verneinen des Guten im Denken zu berichtigen, das in manchen Fällen die rein persönliche Befürchtung sein kann, daß das Gute nicht für uns bestimmt sei, oder Besorgnis, die dem Glauben zuzuschreiben ist, daß das Böse eine dem Guten entgegenwirkende und es hemmende wirkliche Macht sei.
Wie überaus einfach ist doch die Gedankenregel, die etwa lauten könnte: Vergiß nicht deine Gelegenheit, für geistige Einflüsse und göttliche Eingebung an dem Tage der Woche empfänglich zu sein, an dem sich die Menschen im Interesse der Menschheit bemühen, die Arbeit einzustellen oder wenigstens einzuschränken! Ist der Sabbat um des Menschen willen gemacht, dann bedeuten die im mosaischen Gebot: „Gedenke des Sabbattags, daß du ihn heiligest” gegebenen Anweisungen einfach: Gedenke deiner Gelegenheiten, deine eigene Heiligkeit, deine Gesundheit, dein Glück, deine Einsicht und deine geistige Freude zu vervollkommnen! Es gibt im Leben jedes Arbeiters Zeiten, wo ihn der Gedanke an die kommende Sabbatruhe mit Dankbarkeit erfüllt. Da dann das sterbliche Gemüt zu vorübergehender Ruhe gezwungen ist, so hat der gute Arbeiter und der gütige Mensch Gelegenheit, in der Stille rechte Gedanken zu denken.
Allerlei öffentliche Gottesdienste bieten ebenfalls eine große Hilfe für besseres Denken und göttliche Eingebung, und ganz allgemein machen sich die Menschen den Dienst derer zunutze, die sie für Lehrer der Wahrheit und Rechtschaffenheit halten. Die heutige Form der Gottesdienste in den christlich-wissenschaftlichen Kirchen begann im Jahre 1895; und man darf mit Bestimmtheit behaupten, daß die Einsetzung der Bibel und des Lehrbuchs „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” durch Mrs. Eddy als bleibender Pastor immer mehr gewürdigt wird. Sie schreibt hierüber (Botschaft an Die Mutter-Kirche für das Jahr 1901, S. 11): „Wohl habe ich die Bibel und ‚Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift‘ zum Pastor für alle Kirchen des christlich-wissenschaftlichen Glaubens gemacht; dies hindert aber diesen unsern Pastor nicht, zu predigen! Meines Erachtens würde es für christliches Handeln genügen, wenn die Bergpredigt jeden Sonntag ohne Auslegung gelesen und die Woche hindurch befolgt würde. Das Wort Gottes ist ein mächtiger Prediger, und es ist nicht zu geistig, um praktisch zu sein, noch zu übersinnlich, um gehört und verstanden zu werden”.
Schüler der Christlichen Wissenschaft sind hierin besonders gesegnet. Sie hören, wenn sie die Sonntagsgottesdienste besuchen, keine unerwartete Darlegung der persönlichen Ansicht eines Redners, noch werden Streitpunkte erörtert. Sie sind schon mit der Lehre vertraut, wenn sie sie empfangen, weil sie während der vorausgehenden Woche Gelegenheit hatten, sich mit den entsprechenden Stellen zu befassen. So bietet der Gottesdienst Gelegenheit zur Erbauung des Denkens, zur Bereicherung des Bewußtseins mit lieblicheren Idealen und zur größeren Festigung des Verständnisses in bleibender Wahrheit.
Die Gottesdienste wirken daher klärend und ermutigend; das übliche Sichzurückziehen von der gewöhnlichen Beschäftigung und, soweit praktisch, die allgemeine Arbeitsruhe bieten Gelegenheit zur Selbstvervollkommnung, die geschätzt werden sollte. Es ist z.B. gut, wenn Christliche Wissenschafter dem Vergeben Zeit widmen. Ein Abschnitt im Gebet des Herrn scheint beständiges Erwarten von Vergebung auszudrücken. Man muß einsehen lernen, daß das gnädige, glühende und heilende göttliche Vergeben keinen Raum im Bewußtsein finden kann, wenn das Herz zu sehr von Richten und Nachtragen erlittenen Unrechts in Anspruch genommen ist. Wir müssen also auch in dieser Hinsicht unser Denken klären und vergeben lernen, da Vergeben einer der wichtigen Punkte des Christentums ist. Dann können wir die Bitte um Vergebung im Gebet des Herrn und jene wunderbare, geistige Auslegung der Bitte, die Mrs. Eddy gegeben hat (Wissenschaft und Gesundheit, S. 17), verstehen, indem wir begreifen, warum „Liebe sich in Liebe widerspiegelt”.
Der Verfasser erinnert sich lebhaft, wie einmal in einer Lehranstalt eines Sonntagsnachmittags einige Jungen allein zu Hause blieben, während die anderen bei Familien in der Stadt zu Besuch waren. Die einsamen Jungen gerieten in einen lärmenden Streit und waren überrascht, als plötzlich der Hausvater vor ihnen stand und dreinsah, als wäre er der jüngste Tag selber. Er verfuhr jedoch nicht streng, sondern ließ einen der Jungen eine Stelle im Propheten Jesaja aufsuchen, von der er soviel anführte, daß der Junge sie wiedererkennen konnte. Die Stelle steht fast am Ende des Buches, so daß er lang lesen und suchen mußte, bis er sie fand. Sie lautet: „So du deinen Fuß von dem Sabbat kehrst, daß du nicht tust, was dir gefällt an meinem heiligen Tage, und den Sabbat eine Lust heißest und den Tag, der dem Herrn heilig ist, ehrest, so du ihn also ehrest, daß du nicht tust deine Wege, noch darin erfunden werde, was dir gefällt, oder leeres Geschwätz: alsdann wirst du Lust haben am Herrn”. Jahrelang war der Betreffende für diese Begebenheit dankbar. Er schätzte nicht nur die literarische Schönheit jener Bibelstelle und die Segnungen, die denen zuteil werden, die die Wohltat des Ruhetages nicht vergessen, sondern er wünschte auch aufrichtig, daß allen Menschen mehr derartige Wohltaten zugute kommen möchten.
Es trifft zu, daß das Feiern des Sabbats ein Zeichen der Treue auf seiten der Kinder Israel war, denen Mose die Botschaft des Herrn verkündigt hatte: „Haltet meinen Sabbat; denn derselbe ist ein Zeichen zwischen mir und euch auf eure Nachkommen, daß ihr wisset, daß ich der Herr bin, der euch heiligt”. Ein Teil des Kummers der Kinder Israel in der Gefangenschaft war die Verhöhnung, die sie wegen dieses heiligen Vorrechts von den Heiden erdulden mußten. In den Klageliedern spricht der Prophet Jeremia von Jerusalem und gedenkt der wünschenswerten Dinge, darunter des Sabbats, der verlorengegangen war, als das Volk Israel in Gefangenschaft geriet. Der Prophet Amos zergliederte die Einwendungen, die die Habgier der Unehrlichen gegen die allgemeine Arbeitsruhe und die Unterbrechung des Handels erhob, und verwies darauf, daß manche in ihrem Herzen dachten: „Wann will denn der Neumond ein Ende haben, daß wir Getreide verkaufen, und der Sabbat, daß wir Korn feilhaben mögen und das Maß verringern und den Preis steigern und die Wage fälschen, auf daß wir die Armen um Geld und die Dürftigen um ein Paar Schuhe unter uns bringen und Spreu für Korn verkaufen?” Selten ist eine so strenge Anklage erhoben worden gegen diejenigen, die einer Unterbrechung ihres unehrlichen Handels, selbst nur während eines Ruhetages, feindselig gegenüberstanden; und dieses im menschlichen Bewußtsein verborgene Element macht es schwierig, Zustände zu schaffen, die allgemein zum menschlichen Wohl beitragen. Das Christentum drängt jedoch diesem Ziele zu.
Wer die durch rechte Anwendung der Sabbate zu erlangende Gelegenheit zur Ruhe, zur Erneuerung der Hoffnung, zur Wiederbelebung des Glaubens und zur Vertiefung des Bewußtseins der Liebe würdigt und schätzt, muß unbedingt das Verlangen haben, daß alle Menschen dieselbe Gelegenheit, dieselben Wohltaten und Zugang zu denselben Segnungen — Gelegenheit zu ungestörter Einheit und Gemeinschaft mit dem göttlichen Gemüt — haben sollen. Was kann geschehen, daß die Menschheit des Segens der Sabbate in größerem Umfange teilhaftig werde? Niemand wünscht zu den alten Zeiten zurückzukehren, wo der Sabbat nichts weniger als ein Genuß war, sondern sich, zum mindesten für die Kinder, zu einem Tag des Trübsinns gestaltete. Den durch die ursprüngliche Einsetzung des Sabbats beabsichtigten Trost und Segen erlangt man leichter durch das Verständnis der Bedeutung des Wortes „gedenke” als durch eine Menge Verbote. Auf christliche Art werden Aufgaben dadurch gelöst, daß wohlwollende Menschen durch Einvernehmen Frieden herbeiführen. Viel Übereinkommen ist in dieser Hinsicht schon zustande gekommen auf der Grundlage, daß ein Ruhetag in der Woche eine menschenfreundliche Einrichtung ist; aber Christliche Wissenschafter können durch ihre Würdigung geistiger Gelegenheiten das Denken ohne Zweifel auf eine noch höhere Stufe erheben. Jemand mag einwenden: Für mich ist ein Tag wie der andere, und sich damit entschuldigen, daß er Sorgenlasten den Sonntag über weiterträgt. Aber sicher ist es besser, das Gebot zu befolgen: „Gedenke des Sabbattags, daß du ihn heiligest”, und den Sabbat abzusondern von den schweren weltlichen Pflichten und Aufgaben und Tätigkeiten. Das mosaische Gesetz war sogar auf das Wohl der Lasttiere bedacht: der Ochse und der Esel dursten ruhen und sich erholen. Hieraus läßt sich schließen, daß die Menschen für sich ebenso gute Behandlung vorsehen sollten, wie sie der Barmherzige dem Tier angedeihen läßt. Ebenso wird man, wenn man rücksichtsvoll ist, auch wünschen, daß die Wohltaten der Ruhe und der Erleichterung so allgemein wie möglich seien. Die Wohltaten eines Ruhetages können also durch aufgeklärtes Wohlwollen und weitreichende Güte zugänglich gemacht werden.
Wie groß auch der Aufwand an Mühe und Selbstaufopferung sei, mit dem die Kirchen der christlich-wissenschaftlichen Bewegung gebaut und ihre Gottesdienste regelmäßig gehalten werden, der daraus erwachsende Segen wiegt alles auf. Der Christliche Wissenschafter hat Gelegenheit, sich mit der zu lesenden Lektionspredigt im christlich-wissenschaftlichen Vierteljahrsheft vertraut zu machen, und wenn er, eines Herzens und eines Sinnes mit anderen, die sich ebenso vorbereitet haben, zum Gottesdienste kommt, fühlt er, daß ihm die Wahrheit wesenhaft geworden ist. Er hat das frohe Empfinden, daß er gespeist und genährt und gestärkt und gesegnet wird; und wenn der ganze Tag, an dem Gottesdienste stattfinden, so oft wie möglich zu einem besonderen Freudentage gemacht wird, an dem man sich Zeit nimmt zur Selbstprüfung, zur Beseitigung von Zweifeln, zur Erneuerung des Glaubens und der Hoffnung und zur Stärkung der Liebe, dann wird das Vorrecht der Sonntagsruhe ein immer wiederkehrender Segen werden.
