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Sittlicher Mut

Aus der Mai 1937-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Wenn wir an sittlichen Mut denken, erinnern wir uns sofort zweier Namen in der biblischen Geschichte: Christus Jesus und Mose. Der auf das Verständnis Gottes und Sein Gesetz gegründete sittliche Mut beider wird von der Menschheit unaufhörlich als etwas, was alle erreichen können, lieb und wert gehalten.

Mose’s sittlicher Mut hatte sich allmählich entwickelt. Er hatte seinen Ursprung im Erbarmen mit den Unterdrückten und in der Achtung vor dem Recht — in Barmherzigkeits- und Gerechtigkeitsliebe. Das Leiden seiner hebräischen Landsleute unter den Ägyptern veranlaßte ihn zu seinem Entschluß, ihre Befreiung durch die Kraft des Gottes ihrer Väter herbeizuführen, und er vollbrachte dies mit herrlichem sittlichem Mut. Und was für eine Charakterstärke er zeigte, als er das Volk in der Wüste auf seinem Zuge zum gelobten Land Kanaan sittlich unzuverlässig, eigensinnig, aufrührerisch fand und die ihm göttlich geoffenbarten Zehn Gebote aufstellte, die er den Israeliten gab, daß sie sie in Ehren halten sollten und vom Ungehorsam gegen das Sittengesetz mit seiner unvermeidlichen seelischen und leiblichen Qual befreit würden!

Wenn schon Mose’s sittlicher Mut erhaben war, was wird sich dann von dem sittlichen Mut Christi Jesu sagen lassen? Der Meister ragt in der menschlichen Geschichte hervor, weil er eine sittliche Höhe erreichte, die unbestreitbar erhaben ist. Der ganze Bericht über sein Leben veranschaulicht dies. Aber wir wollen nur die Zeit unmittelbar vor seinem durch den Kreuzesweg erbrachten Beweis, daß das Leben ewig ist, betrachten. Matthäus berichtet, daß Jesus vor Kaiphas, dem Hohenpriester, „stille schwieg”, selbst als sie falsches Zeugnis suchten, „auf daß sie ihn töteten”. Und als Pilatus, der die Macht hatte, ihn freizugeben oder zur Kreuzigung zu verurteilen, ihn fragte, ob er sich dessen bewußt sei, antwortete er: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht wäre von obenherab gegeben” (Joh. 19, 11). Das Verhalten des Meisters vor seinen Anklägern und seinem Richter — sein erhabenes Schweigen und seine furchtlose Ruhe — hat durch alle Jahrhunderte hindurch bei seinen Nachfolgern unaufhörlich Staunen über die Tiefe der Liebe und der Güte und des Verständnisses, die ihn in dieser Anfechtung stützten, hervorgerufen. Unsere geliebte Führerin Mrs. Eddy schreibt mit Bezug auf die „Waffen der Welt” (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 48): „Jesus hatte deren nicht eine, auch wählte er nicht die Verteidigungsmittel der Welt. Er tat ‚seinen Mund nicht auf‘”.

Die Christliche Wissenschaft zeigt, daß Jesu sittlicher Mut das Ergebnis seines geistigen Verständnisses, seiner Kenntnis des wirklichen Seins war. Während seines ganzen Wirkens hatte er seine Nachfolger die Wahrheit gelehrt, daß Gott der Vater des Menschen ist, und ihnen gezeigt, daß sie nie auch nur einen Augenblick von der Liebe Gottes getrennt sein konnten. Er hatte sie die Wahrheit gelehrt, daß das Leben ewig ist. Er hatte ihnen erklärt, daß das Böse eine Lüge ist. Er hatte durch das Heilen von Krankheit und das Überwinden von Sünde und Leid die Allmacht der Wahrheit bewiesen. Das alles hatte er gelehrt und bewiesen; und die geistige Wahrheit, die er verstand, erklärte und bewies, stützte seinen sittlichen Mut während seiner ganzen irdischen Laufbahn. Er hätte dieses Muts so wenig wie seines Verständnisses des wirklichen Seins beraubt werden können.

Wenn wir etwas von dem sittlichen Mut Christi Jesu besitzen wollen, müssen wir etwas von dem geistigen Verständnis erlangen, das er hatte; und dies macht die Christliche Wissenschaft möglich. Wir müssen wissen, daß Gott das eine und einzige Gemüt, der unendliche Geist, das unendlich Gute ist, und verstehen, daß das, was die Menschen Materie und Böses nennen, unwirklich ist, da Gott, der Geist, unendlich gut ist. In Wirklichkeit gibt es, wie die Christliche Wissenschaft klar macht, nichts, wovor man sich zu fürchten braucht. Da Gott das vollkommene Gemüt und der Mensch Seine vollkommene Widerspiegelung ist, erfreut sich der Mensch jetzt tatsächlich vollkommener Harmonie. Dies ist eine geistige Tatsache; und kein noch so listiger Beweisgrund des sterblichen Gemüts kann sie im geringsten umstoßen. „Das Vertrauen, welches die Wissenschaft einflößt, liegt in der Tatsache, daß die Wahrheit wirklich und der Irrtum unwirklich ist” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 368).

Sittlicher Mut tut heute der Welt sehr not, die Menschheit zu befähigen, dem Bösen, das sich dem menschlichen Bewußtsein so beharrlich als wirklich und mächtig aufdrängt, entgegenzutreten und es zu überwinden. Manchmal scheint es, als ob viele von Furcht vor dem Bösen fast gelähmt seien, wenn es seine materiellen Vernichtungswaffen aufzuhäufen scheint und die auf sittlicher Überzeugung und geistiger Erleuchtung beruhende Vernunft zu ersticken sucht. Vergessen die christlichen Völker den Gott Christi Jesu? Vergessen sie, daß Gott die Liebe ist? Erinnern sie sich nicht mehr an die Lehre des Meisters, daß das Böse eine Lüge — unwirklich — ist? Es muß durch das Verständnis geistiger Wahrheit ein Erwachen aus dem materiellen Traum kommen, wenn die Menschen von den Folgen ihrer irrigen materiellen und bösen Annahmen errettet werden wollen.

Die Christlichen Wissenschafter suchen die Menschheit zur Erkenntnis der Lage, die sich dem menschlichen Bewußtsein heute darbietet, aufzurütteln. Sie erklären beharrlich und vergegenwärtigen sich beständig, daß Gott, das Gute, allein wirklich ist und allein Macht hat. Sie behaupten inständig, daß nur Liebe — Liebe, die die Widerspiegelung der göttlichen Liebe ist — Neid, Eifersucht, Haß, Bosheit und Rache vernichten kann. Und je lauter das Böse zu schreien scheint, desto beharrlicher müssen sie im stillen und hörbar die geistige Wahrheit beteuern. Dies erfordert sittlichen Mut, der durch das Verständnis des wirklichen geistigen Seins erlangt wird — den sittlichen Mut, von dem unsere Führerin, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, ein so glänzendes Vorbild gab.

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