Umgebung ist etwas, was vielen Menschen vielerlei Sorgen bereitet. Eine Umgebung braucht jedoch nicht das Gefühl des Unglücklichseins hervorzurufen Vielleicht ist es öfter der Glaube, daß man in einer andern Lage bessere Arbeit leisten, mehr vollbringen und in jeder Hinsicht erfolgreicher sein könnte.
Jesus entfernte sich zwar oft von den Menschen und zog sich eine Zeitlang zurück, um zu beten; aber selbst wenn er sich in einer Umgebung befand, die nicht ganz wünschenswert war, konnte er sein Denken zu Bergeshöhen geistiger Erleuchtung und der Gemeinschaft mit Gott erheben. Er hatte bewiesen, daß er in einer Umgebung sein konnte, ohne ein Teil von ihr zu sein. Ebenso verhielt es sich mit Mrs. Eddy zur Zeit ihrer Entdeckung der Christlichen Wissenschaft. Sie konnte ihr Denken über ihrer Umgebung und getrennt davon halten.
Wenn man das bescheidene Haus in Swampscott besucht, wo Mrs. Eddy wohnte, als sie nach ihrer sofortigen Wiederherstellung von den Folgen einer durch einen Unfall verursachten Verletzung zu der Entdeckung der Wissenschaft geführt wurde, die sie befähigte, sich und andere zu heilen, muß man geradezu staunen über die Größe und Erhabenheit des Denkens dieser geistiggesinnten Frau, die solche erhabenen geistigen Höhen erreichte. Wenn man andere Orte besucht, wo Mrs. Eddy in der ersten Zeit nach ihrer Entdeckung der Christlichen Wissenschaft wohnte, namentlich das kleine, niedere und sehr bescheidene Zimmer in Lynn, wo sie Wissenschaft und Gesundheit vollendete, empfindet man Hochachtung und tiefe Ehrfurcht vor der Frau, die die Menschen so liebte, daß der einzige Antrieb ihres Lebens war, mit ihnen zu teilen, was ihnen nach ihrer Überzeugung Erlösung bringen würde. Unsere Führerin schreibt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 455): „Gott wählt für den höchsten Dienst nur jemand aus, der zu einer solchen Tauglichkeit für denselben herangewachsen ist, daß jeglicher Mißbrauch der Mission zur Unmöglichkeit wird”. Und Christus Jesus und Mary Baker Eddy nehmen eine einzigartige Stellung ein.
Nach weltlicher Ansicht kann nicht jedermann hervorragende Stellungen erlangen; aber trotzdem gibt es für jeden wichtige Arbeit zu tun. Niemand sollte sich vom Irrtum verleiten lassen zu glauben, daß seine Lage unüberwindliche Begrenzungen biete; daß er durch menschliche Beziehungen oder durch Mangel an Gelegenheit gehindert sei; oder daß er nach Ausarbeitung gewisser schwieriger Probleme sofort beginnen wolle, dem Beten und dem Suchen göttlicher Führung in seiner menschlichen Erfahrung mehr Zeit zu widmen. Alle solche Vorwände sind Versuche, uns glauben zu lassen, daß gegenwärtige Gelegenheiten durch Umgebung oder durch persönliche Begrenzungen beschränkt seien. Gelegenheiten sind nicht auf einen Ort beschränkt, noch von Zeit und Ereignissen abhängig. Gelegenheit, Gutes zu tun, bietet sich immer, und dies wird in dem Maße unserer Erkenntnis dieser Tatsache bewiesen.
Mit Bezug auf Gelegenheiten oder Möglichkeiten macht Mrs. Eddy in Wissenschaft und Gesundheit (S. 128) die interessante Erklärung: „Eine Kenntnis von der Wissenschaft des Seins entwickelt die latenten Fähigkeiten und Möglichkeiten des Menschen. Sie erweitert die Atmosphäre des Gedankens, indem sie den Sterblichen weitere und höhere Gebiete erschließt”. Das Verständnis der Wahrheit über Gottes Allheit und des Menschen unauflösliche Beziehung zu Ihm entfaltet Fähigkeiten, die dem begrenzten Sinn nicht wahrnehmbar waren, und bringt Möglichkeiten oder Gelegenheiten ans Licht, die immer gegenwärtig waren, aber noch nicht erkannt wurden.
In jedem Geschlecht hat es Menschen gegeben, die sich weigerten, sich durch widrige Zustände oder die Einflüsterung von begrenzten Gelegenheiten fesseln zu lassen, z. B. Joseph. Durch den Neid, den Haß und den Verrat seiner Brüder geriet er von seinem 17. Jahre an in eine schwierige Lage nach der andern. Er wurde in eine Grube geworfen, an die Ismaeliten verkauft, die ihn wiederum an Pharaos Kämmerer verkauften. Aber trotz seiner begrenzten Umgebung zeigte es sich später in seiner Laufbahn, daß „der Herr mit Joseph war, daß er ein glücklicher Mann ward”. Und sein Meister, Pharaos Hauptmann, „sah, daß der Herr mit ihm war, . . . also daß er Gnade fand vor seinem Herrn”. Aber wieder schien der Irrtum, der sich anmaßte, als Sinnlichkeit und Eifersucht zu wirken, eine Zeitlang die Oberhand zu gewinnen, und Joseph wurde ins Gefängnis geworfen. Wir lesen jedoch, daß der Herr wieder mit ihm war, ihm Barmherzigkeit erzeigte und ihn Gnade in den Augen des Gefängnisamtmanns finden ließ. Als Ergebnis wurde Joseph zum Gefangenenaufseher gemacht, und er versah sein Amt mit außergewöhnlicher Tüchtigkeit, weil er sich der Gegenwart Gottes bewußt war.
Später wurde Joseph, wie alle Bibelleser wissen, von Pharao über ganz Ägyptenland gesetzt. Er ließ sich durch seine Umgebung nicht in seiner Arbeit hindern. Überall, wo er war, fand er nützliche und wertvolle Arbeit, und er setzte bei allem, was er tat, sein ganzes Denken ein. Andere, die mental weniger aufgeweckt waren als er, hätten wohl so sehr dem Selbstbedauern gefrönt, daß sie die ihnen gebotene Gelegenheit nicht gesehen und nicht genützt hätten. In der ganzen Erfahrung Josephs finden wir, daß er scheinbare Hindernisse in herrliche Gelegenheiten zu Dienstleistung und nützlicher Tätigkeit umwandelte
Schon viele sind wie Joseph trotz ihrer schwierigen Lagen vorwärts gekommen. Manche haben einen guten Ruf und eine gute Stellung erlangt, weil sie ungeachtet ihrer materiellen Umgebung hohen Idealen treu geblieben sind. Zahllose andere haben ebenfalls viel vollbracht, wenn ihre Werke auch nicht bekannt geworden sind. Trotzdem waren sie eine Inspiration für andere in ihrem Wirkungskreise, ähnlich wie die weiße Seerose, deren Duft alle in ihrer Umgebung erreicht, viele durch ihre Schönheit entzückt.
In seinem Buche „Moos von einem alten Haus” gibt Nathaniel Hawthorne eine schöne Beschreibung der wohlriechenden weißen Seerose. Er sagt: „Man muß sich wundern, woher diese vollkommene Blume ihre Schönheit und ihren Duft nimmt, da sie doch aus dem schwarzen Schlamm herauswächst, über dem das Wasser ruht. . . . So sehen wir auch in der Welt, daß manche Menschen nur Häßliches und Böses von denselben sterblichen Umständen sich aneignen, die das tägliche Leben anderer mit Gutem und Schönem—dem Duft himmlischer Blumen—bereichern”.
Und so lernen wir aus den Worten und Erfahrungen anderer, daß Wachsamkeit, wenn sie mit Gerechtigkeit wesenseins ist, siegt, selbst wenn unsere Umgebung beengend, begrenzt und ungünstig zu sein scheint. Wie die Seerose ihre schönen Blütenblätter dem Lichte zukehrt und von dem schwarzen Schlamm weg-und aufwärtsstrebt, so erheben Menschen, die sich weigern, sich durch ihre Umgebung niederhalten zu lassen, ihre Gedanken zu hohen Idealen und wenden sich ab von den düsteren materiellen Annahmen, die nicht zu ihrem geistigen Selbst gehören.
Die Christliche Wissenschaft befähigt die Sterblichen, sich mental von hemmenden Lagen zu befreien. Sie lehrt die Allgegenwart Gottes und daß, weil Gott allgegenwärtig ist, an einem Ort nicht mehr von Ihm ist als an einem andern. Der Glaube, daß irgend eine Lage, in der man sich befinden mag, einen vom Guten trennen könne, ist also eine sterbliche Mutmaßung, daß das Gute begrenzt sei, und daß man außerhalb seiner Grenzen sei. Ein solcher Glaube ist falsch. Der Mensch kann so wenig von Gott wie ein Sonnenstrahl von der Sonne getrennt sein. Daher kann der Mensch unmöglich von Gelegenheit getrennt werden, weil göttliche Eigenschaften oder Merkmale so allgegenwärtig sind wie Gott selber.
Obgleich der geistige Mensch in der unbedingten Wirklichkeit stets auf seinem rechten Platze ist, kann man sich, menschlich gesehen, anscheinend in einer Umgebung befinden, die nicht recht ist, wie es bei Joseph mehrmals der Fall war. Wendet man aber zur Lösung eines solchen Problems die Lehren der Christlichen Wissenschaft nach bestem Verständnis an, so wird man entweder aus der Lage herausgehoben und in eine bessere versetzt, oder die Lage, in der man sich befindet, wird harmonischer. Die Christliche Wissenschaft befähigt einen, sich dem göttlichen Gesetz unterzuordnen und seine Hilfe für sich anzurufen. Und man sollte immer wissen, daß dieses Gesetz erwiesenermaßen einem stets gerade dort, wo man ist, zu Gebote steht, wenn man seinen Schutz und seine Führung ehrlich sucht.
Gottes Gesetz wirkt immer zugunsten des Menschen. Nur Furcht, Unwissenheit oder Sünde scheint einen des Schutzes der Führung und der Regierung dieses Gesetzes berauben zu wollen—eines Gesetzes, durch dessen Tätigkeit das göttliche Gemüt beständig die Ideen verleiht, die nötig sind, jede Lage zu meistern. Das einzige Erfordernis ist, sich von Einflüsterungen begrenzter Umgebung oder irgend einer andern Begrenzung nicht mesmerisieren zu lassen und sich zu weigern, auf das falsche Zeugnis solcher irrigen Einflüsterungen zu hören. Wenn dann diese Einflüsterungen aus Mangel an Zeugen fallen, werden wir beweisen, daß für den Menschen in Gottes Ebenbild Gelegenheit gegenwärtig ist. Die göttliche Idee Gelegenheit ist stets gegenwärtig, und diese Idee leitet den, der sie annimmt, zu der rechten menschlichen Lösung der Lage, in der er sich befindet.
Und so kann man zuversichtlich wissen, daß keinerlei Umgebung oder begrenzende Einflüsterung einen je an der Verwirklichung und Ausnützung rechter Gelegenheit hemmen oder hindern kann. Reichlich vorhandene Gelegenheit ist jedem genau in dem Maße geboten, wie er erkennt, daß er in der Wahrheit seines Seins eine Idee Gottes, daher geistig ist; daß er beständig die Eigenschaften Gottes bekundet, und daß er im Weltall des göttlichen Geistes oder Gottes lebt, webt und sein Dasein hat.
