Einer von Streit und Zwietracht zerrissenen Welt mag die Liebe als zweifelhafte Kriegswaffe sowohl für die Verteidigung als auch für den Angriff erscheinen. Aber Mary Baker Eddy bot ihren Begriff der Liebe in Ausdrücken dar, die die Welt nicht verstand, als sie im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 52) schrieb: „Der Mann ‚voller Schmerzen‘ verstand am besten die Nichtigkeit des materiellen Lebens und der materiellen Intelligenz, sowie die mächtige Tatsächlichkeit des allumfassenden Gottes, des Guten. Das waren die beiden Kardinalpunkte des Gemüts-Heilens oder der Christlichen Wissenschaft, die ihn mit Liebe wappneten”. Dies stimmt mit den Lehren des Apostels Paulus überein, der erklärte: „Die Waffen unserer Ritterschaft sind nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott, zu zerstören Befestigungen”.
Mit der Liebe gewappnet sein bedeutet also Gott, die unendliche Liebe, als die einzige tatsächliche Macht, Gegenwart und Wirklichkeit anerkennen, vor denen jede Erscheinungsform der Materialität ihre Wirklichkeitsvorspiegelung aufgeben muß. Spiegeln wir die unendliche göttliche Liebe bewußt wider, so sind wir buchstäblich mit der Liebe gewappnet. Dann sind unsere Waffen „mächtig vor Gott, zu zerstören Befestigungen”— jeden Glauben an alles, was der Liebe unähnlich ist, zu vernichten. Die göttliche Liebe trennt scharf; ihre Gegenwart schließt alles aus, was ihr vollkommenes geistiges Bild zu verdunkeln scheint. Die Christliche Wissenschaft enthüllt, daß nichts der Macht der göttlichen Liebe widerstehen kann.
Christus Jesus begegnete seinen mannigfaltigen irdischen Erfahrungen so entschieden mit dem Verständnis der Nichtsheit des Irrtums und der Allheit des Guten, daß jedes unvorhergesehene Ereignis ihn mit der Liebe gewappnet fand. Er war stets auf der Hut, stets gewappnet. Johannes schreibt von ihm: „Wie er hatte geliebt die Seinen, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende”. Die Schwächen, die Befürchtungen, die Abneigung, die Fehler und die scheinbare Stumpfheit der Jünger konnten die Kundwerdung jener heilenden, erlösenden, belebenden Liebe, die den Kernpunkt der Lehren des Meisters bildete, nicht von ihnen abwenden.
Zuweilen scheint es, daß jemand, dem Hilfe und Heilung sehr not tut, gerade die Eigenschaften bekundet, die Liebe und Mitgefühl zurückstoßen könnten, Eigenschaften, die Tadel, Aufregung und Ärger hervorrufen könnten. Aber wir finden, daß der geliebte Beispielgeber nicht einmal seinen Verräter Judas Ischariot tadelte. Er war geduldig, als Petrus ihn verleugnete, sanftmütig gegen diejenigen, die schliefen, als sie hätten wachen sollen, still vor Pilatus und erbarmungsvoll gegen den reumütigen Dieb am Kreuze neben ihm. In seiner ganzen Laufbahn bewahrte er sich sein bewußtes Einssein mit seinem himmlischen Vater, der göttlichen Liebe.
Als Nachfolger des Meisters sollte der christlich-wissenschaftliche Ausüber auf der Hut sein und jede List des Irrtums, die die lebenerhaltende Liebe scheinbar abzulenken sucht, vereiteln. Auch er muß mit der Liebe gewappnet sein. Die Liebe gibt ihm das wahre Verständnis der göttlichen Natur, der Wiedervergeltung, Groll und Entmutigung unbekannt sind. Er sollte jedem Problem, jedem unvorhergesehenen Ereignis mit jener scharfsichtigen, nie wankenden Liebe begegnen, die die Widerspiegelung der göttlichen Liebe ist. So und nur so kann er die bleibenden Tatsachen des harmonischen geistigen Seins ans Licht bringen und dadurch Sünde, Krankheit, Armut, Leid, Unwissenheit, falschen Glauben und persönlicher Eigentümlichkeit oder Vererbung zugeschriebene Charakterfehler heilen. So wird er befähigt werden, materielle Mythe und Ausflucht zu durchschauen und zu vernichten, und wird für sich und andere beweisen können, daß alle tatsächlich „der göttlichen Natur teilhaftig” werden können, wie Petrus sagt.
Einen tiefen Eindruck auf den Verfasser machte neulich in einer öffentlichen Versammlung die Langmut und der ruhige Ton, womit der Redner, ein Beamter, den Schwall von Fragen einer etwas gereizten Zuhörerschaft beantwortete. Diese Fragen wurden weniger in dem Verlangen nach Auskunft als zu dem Zweck gestellt, den Redner zu verwirren und zu bekritteln. Aber jede Frage wurde in gutem Glauben angenommen und mit solcher Höflichkeit, solcher Sorgfalt und solch gutem Humor beantwortet, daß der Fragesteller in jedem Falle vollständig entwaffnet zu sein schien.
Das allgemeine Verständnis und die Anwendung der in der oben angeführten Stelle erwähnten „beiden Kardinalpunkte des Gemüts-Heilens” würde die Einigkeit des Guten und die Einheit des Gemüts unter den Menschen aufrichten und so Feindschaft, Uneinigkeit, Reibung und Streit verhüten. Wie ganz anders diese Welt wäre, wenn wir alle uns entschlossen weigerten, uns durch Bosheit, Haß, Neid, Zorn, Gleichgültigkeit, Verleumdung und Grausamkeit schrecken, beleidigen oder verletzen zu lassen, weil wir dem Verständnis der „Nichtigkeit des materiellen Lebens und der materiellen Intelligenz und der mächtigen Tatsächlichkeit des allumfassenden Gottes, des Guten”, vertrauten! Und heute werden die Anschläge und die Vorwände des Irrtums durch das Verständnis der göttlichen Liebe, des unendlichen Gemüts, vereitelt und abgewiesen.
Der liebende himmlische Vater, der Jesus in so reichem Maße mit der nötigen Standhaftigkeit und Treue ausrüstete, damit er seinen mutigen Standpunkt für die Wahrheit behaupten konnte, stärkt, ermutigt und unterstützt jedes Seiner Kinder im Rechttun. Wenn die Schüler im Verständnis der Christlichen Wissenschaft wachsen, lernen sie die Trugvorstellungen und die Vorwände des materiellen Sinnes immer mehr durchschauen und das Wirkliche und Dauernde immer besser erkennen. Sie erkennen die freundliche Absicht hinter einer scheinbar ungeschickten, zaghaften Bemühung. Sie nehmen die Schönheit und den Edelsinn einer scheinbar unansehnlichen Persönlichkeit wahr. Diese richtige Wahrnehmung vernichtet den Schein und bringt das Wirkliche ans Licht. So übersieht Liebe, die das göttliche Prinzip widerspiegelt, Mängel und Fehler in lieben Angehörigen nicht, sondern führt alles Unschöne auf sein Nichts zurück und enthüllt den Menschen als das Bild des liebenden Vater-Mutter-Gottes. Dies ist gewiß Ermutigung im wahrsten Sinne!
Laßt uns alle in den Weckruf unserer unerschrockenen Führerin in ihrem stets angebrachten Aufsatze: „Andere Wege als durch Krieg” (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 278) einstimmen: „Die Regierung der göttlichen Liebe ist allerhaben. Die Liebe regiert das Weltall, und sie hat verordnet: ‚Du sollst keine anderen Götter neben mir haben‘ und: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘. Laßt uns das bißchen Glauben haben, der Berge versetzt,— einen mit dem Verständnis der Liebe gewappneten Glauben wie in der göttlichen Wissenschaft, wo das Rechte herrscht”.
